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Gesellschaft

Angst vor häuslicher Gewalt in Nahost

Maram Shahatit kk
2. April 2020

Auch in arabischen Ländern werden Frauen von ihren Männern geschlagen. Die Corona-Krise verschärft das Phänomen. Die DW hat mit betroffenen Frauen und Sozialarbeiterinnen in der Region gesprochen.

Spanien Protest vor dem Justizministerium in Madrid
Bild: Reuters/S. Perez

Am vergangenen Wochenende schlug die tunesische Ministerin für Frauen und Familie, Asmaa as-Suhairi, Alarm: Die Zahl misshandelter Frauen habe sich in ihrem Land seit der wegen des Coronavirus verhängten Ausgangssperre verfünffacht. Die Zahl bezog sich auf Daten, die in der Zeit zwischen dem 23. und 27. März erhoben wurden. Konkrete Zahlen nannte die Ministerin nicht.

Tunesien verfüge landesweit über acht Frauenhäuser, erklärte as-Suhairi. Um diese von der derzeit steigenden Nachfrage zu entlasten, sind jetzt verstärkte rechtliche Maßnahmen geplant. So werde das tunesische Justizministerium offensiver als bisher ein Gesetz aus dem Jahr 2017 zur Anwendung bringen, kündigte die Ministerin an. Dieses ermöglicht es, Personen, die häusliche Gewalt gegen Familienmitglieder ausüben, ihres Hauses oder ihrer Wohnung zu verweisen. Auf diese Weise sollen Opfer häuslicher Gewalt in Tunesien besser geschützt werden.

Gegen häusliche Gewalt: Demonstration in AnkaraBild: picture-alliance/NurPhoto/A. Gocher

Körperliche Gewalt gehört in Nahost und Nordafrika, der sogenannten MENA-Region, für viele Frauen zum Alltag. Die arabische Zeitung "Al-Araby al-Jadeed" zitierte im März eine Studie der amerikanischen Princeton-University, derzufolge im Jemen, in Marokko, Ägypten, dem Sudan und in Algerien bereits ein Viertel aller Frauen von ihrem Partner geschlagen worden seien.

Zwar haben laut einer Studie der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) rund die Hälfte der MENA-Staaten inzwischen Gesetze gegen häusliche Gewalt erlassen. Doch die schützten die betroffenen Frauen bislang noch nicht ausreichend effektiv, so HRW weiter.

"Gewalt ist Teil meines Lebens"

Gewalt in der Ehe ist oftmals kein einmaliges Phänomen. Oft wird sie über Jahre oder sogar Jahrzehnte praktiziert, sagen Experten. "Körperliche Gewalt ist zu einem Teil meines Lebens geworden", sagt auch Wadia Mahmoud (Name von der Redaktion geändert) im Gespräch mit der DW. "Sie ist mit so vertraut wie Essen, Trinken und die Luft, die ich atme. Ich kenne nichts anderes."

Der DW ist ihre richtige Identität und ihr Wohnort bekannt. Die rund 50 Jahre alte Frau lebt jedoch in solcher Angst vor ihrem Ehemann und dessen sozialen Umfeld, dass sie öffentlich nicht nur unter einem Pseudonym reden, sondern auch nicht das Land erwähnt sehen möchte, in dem sie lebt.

Wadia heiratete vor mehr als 30 Jahren einen jungen Mann aus ihrer Verwandtschaft. Bereits seit damals leidet sie unter häuslicher Gewalt. Sich von dem prügelnden Mann loszusagen, vermochte sie nicht: "Immer wenn er mich schlug, suchte ich Schutz im Haus meiner Eltern. Doch ich hielt es nicht lange aus. Um keinen Skandal zu verursachen, kehrte ich immer wieder zu ihm zurück." 

Sorge um die Kinder

In ihrer Familie ist Wadia Mahmoud nicht die einzige Person mit einer langen Leidensgeschichte: "Ich habe acht Töchter und einen Sohn. Auch sie kennen nichts anderes als Gewalt." Noch größer als ihre eigene Angst wurde so ihre Sorge um das Wohlergehen der Kinder. Denn sobald sie außer Haus war, schlug und unterjochte ihr Mann auch die gemeinsamen Kinder, berichtet sie.

"Meine Kinder weinten am Telefon und riefen nach mir. So kehrte ich immer wieder zurück", sagt Wadia Mahmoud. "Und immer, wenn ich nach einer Entbindung wieder nach Hause kam, musste ich feststellen, dass meine Kinder daheim Blutergüsse hatten. Überall hatten sie blaue Flecken: im Gesicht, an den Gliedmaßen, auf dem Rücken! Wie kann eine Mutter einen solchen Anblick ertragen?!" sagt sie. „Lieber werde ich selbst geschlagen, als dass man meinen Kindern auch nur ein Haar krümmt!"

Leere Straßen, volle Wohnungen. Szene aus Beirut, 21. MärzBild: picture-alliance/AP Photo/H. Ammar

Zumindest in einem Punkt fand Wadia Mahmoud Erleichterung: Oftmals war ihr Mann arbeitsbedingt über Wochen nicht zu Hause. "Das gab mir Gelegenheit, durchzuatmen und der Normalität zu entkommen, wenn auch immer nur für kurze Zeit. Wenn man mein Mann unterwegs war, dann war das für mich und meine Kinder immer wie ein Fest."

Doch nun haben die Quarantänemaßnahmen und die Ausgangssperre in ihrem Land dazu geführt, dass Wadias Mann sich dauernd zu Hause aufhält. Für sie sei das ein Albtraum, sagt Wadia. Dies gelte umso mehr, als ihrer Töchter nun verheiratet und aus dem Haus seien. "Mein Mann ist nervös, der Mangel an Zigaretten und Kaffee macht ihn wahnsinnig. Während der Quarantäne stehen mein Sohn und ich ihm nun ganz allein gegenüber."

"Ich ertrage das nicht länger!"

Wie Wadia befindet sich auch Um Ali (Name von der Redaktion geändert) seit langem in einer Notlage. Sie ist vor einiger Zeit aus einem arabischen Land in die Türkei geflohen, wo sie derzeit lebt. Ihr Mann schlage sie und ihre Kinder täglich, sagt sie im Gespräch mit der DW. "Einmal hat er sogar gedroht, mich zu verbrennen, weil ich mich weigerte, ihm sexuell zu Diensten zu sein", sagt sie.

Angesichts der fortwährenden Gewalt fürchtet Um Ali, auch in der Türkei könnte eine komplette Ausgangssperre verkündet werden. Für sie würde das bedeuten, dass sie nicht arbeiten könnte und immer zu Hause und damit stets in unmittelbarer Nähe ihres Mannes wäre. "Ich gehe davon aus, dass ich dann noch mehr geschlagen und beleidigt würde. Ich ertrage das nicht länger!"

Auch Kinder leiden

Sorgen macht man sich auch im palästinensischen Gazastreifen. Die Sozialarbeiterin Alaa Aknes arbeitet in einer Notfallklinik im Gazastreifen, in der auch Opfer häuslicher Gewalt behandelt werden. Quarantäne und gesundheitliche bedingte Ausgangssperren stellten für die Familien eine ganze neue, ungewohnte Situation dar. Sollten sie verschärft umgesetzt werden, dürften einige Menschen Schwierigkeiten haben, darauf angemessen zu reagieren, fürchtet Aknes. Sie gehe davon aus, dass Gewalt gegen Frauen und Kinder - die Schwächsten der Gesellschaft – in diesem Fall zunehmen werde. "Diese Gewalt kann sowohl physisch wie psychisch ausgeübt werden", sagt sie.

In Erwartung der Krise. Szene aus dem Gazastreifen, 30. März Bild: picture-alliance/ZUMAPRESS/Imageslive/A. Hasaballah

Die traditionelle Rolle von Frauen in der arabischen Welt könnte dazu führen, dass sie jetzt stärker als andere unter psychischen und physischen Druck geraten, befürchtet Aknes. Aber auch Kinder liefen Gefahr, als Blitzableiter für die Wut Erwachsener missbraucht zu werden. "Das bereitet ihnen zusätzliches Leiden. Denn sie verstehen ja gar nicht, was um sie herum passiert."

Psychologische Prävention

Das Zusammenleben vieler Familienmitglieder in einem nach außen abgeschlossenen Wohnraum über längere Zeit hinweg sei eine große Belastung für die Beziehungen untereinander, meint auch die libanesische Sozialarbeiterin Rania Suleiman. Gerade das in Nahost sehr häufige Zusammenleben auf engstem Raum und die stete Sorge um die eigene Gesundheit könnten in den Familien erheblichen sozialen Druck erzeugen. "Der entlädt sich dann in körperlicher Gewalt gegen Frauen und Kinder."

"Unter diesen Bedingungen müssen die Frauen in hohem Maße auf die Bedürfnisse der Familie reagieren", sagt die libanesische Sozialarbeiterin. „Das bedeutet hohen Alltagsstress. Erfüllen sie die Anforderungen nicht so, wie der Mann es möchte, laufen sie Gefahr, körperlich misshandelt zu werden."

Ihre palästinensische Kollegin Alaa Aknes rät Frauen darum, stets ihre offiziellen Dokumente wie Personalausweis und Krankenversicherung, aber auch – sofern vorhanden - entsprechende Notrufnummern von Hilfsorganisationen bereitzuhalten und möglichst frühzeitig Vertrauenspersonen zu identifizieren, die ihnen im Ernstfall Hilfe leisten könnten. Allerdings gebe es teils auch andere Maßnahmen, um das Gewalt-Risiko zu minimieren. Um Spannungen innerhalb der Familie abzubauen, lohne zumindest der Versuch, Aufgaben im Haushalt möglichst unter allen Familienmitgliedern aufzuteilen. Dies zwinge dann auch alle Familienmitglieder zur Verantwortung.

 

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