Freiheit in Gefahr?
17. November 2012Unabhängigkeit und Genauigkeit, dafür stand über Jahrzehnte hinweg die BBC. Vor einigen Tagen feierte die "alte Tante", wie der britische Sender oft liebevoll genannt wird, das 90-jährige Bestehen. Doch die Feierlichkeiten waren nur ein kurzes Intermezzo in einer schweren Krise, in der sich die einst so ehrwürdige Institution befindet. Die BBC scheine "wie ein Kartenhaus" zusammenzufallen, so Claire Fox, Leiterin des britischen Think-Tanks "Institute of Ideas".
Ausgelöst wurde die Krise durch einen Missbrauchsskandal um den früheren Star-Moderator Jimmy Savile, und der Rücktritt von Generaldirektor George Entwistle ist der vorläufige Höhepunkt. Dabei hatte Entwistle sein Amt erst vor kurzem angetreten. Kurz nach Saviles Tod im vergangenen Jahr hatten Journalisten vom Vorzeigeprogramm "Newsnight", einer investigativen Nachrichtensendung, von Gerüchten gehört, Savile sei in Fälle von Kindesmissbrauch verwickelt gewesen. Bei ihren Recherchen wurden die Reporter ausgebremst. Stattdessen wurde zu Weihnachten eine bunte Gedenksendung ausgestrahlt, die Savile würdigte. Aus den Gerüchten sind inzwischen behördliche Ermittlungen geworden.
Ein Vertuschungsversuch?
In Großbritannien wird derzeit heftig spekuliert, ob die BBC einen Vertuschungsversuch unternommen habe. Der Sender selbst erklärte, der damalige und inzwischen ebenfalls zurückgetretene Chefredakteur von "Newsnight", Peter Rippon, habe die Geschichte aus redaktionellen Gründen zurückgezogen. Politiker und britische Zeitungen wollten der Behauptung jedoch keinen Glauben schenken. Sie fordern, Praxis und Standards der BBC auf den Prüfstand zu stellen.
Die britischen Printmedien haben in den letzten 18 Monaten viel Prügel einstecken müssen. Der Grund: ein Abhörskandal, bei dem Journalisten der inzwischen eingestellten Boulevardzeitung "News of the World" - die zum Murdoch-Konzern gehörte - die Telefone hunderter Prominenter abgehört haben sollen. Eine öffentliche Kommission unter Lordrichter Brian Levenson untersucht derzeit den Skandal.
"Die Pressefreiheit steht zur Debatte"
Claire Fox geht davon aus, dass die Levenson-Kommission womöglich dazu führt, dass die gesamte britische Presse künftig stärker reguliert wird. "Ich glaube, dass die Levenson-Ermittlung für die Medien sehr schlecht ist. Wir befinden uns in einer Situation, in der die Pressefreiheit an sich zur Debatte steht." Letztlich versuchten diejenigen, die von der Levenson-Kommission beschuldigt werden, ihrerseits nun die BBC an den Pranger zu stellen.
Chandu Krishnan, der Direktor der britischen Sektion von Transparency International, zeigt sich ebenfalls besorgt über die britische Presse. Er glaubt, dass die Levenson-Kommission zwei grundlegende Probleme ans Licht bringt. Erstens: "Das Verhältnis zwischen gewissen Journalisten und gewissen Politikern ist viel zu eng." Zweitens seien die Besitzverhältnisse der Medien stark konzentriert. Krishnan hält das Risiko von Korruption im derzeitigen System für "sehr hoch".
Selbst Premierminister David Cameron hat vor der Levenson-Kommission eingeräumt, das Verhältnis zwischen Politikern und den Medien sei bisweilen "zu gemütlich“.
Sowohl die Krise der BBC als auch die Levenson-Kommission machen grundlegende Probleme einer rund um die Uhr sendenden Medienlandschaft "on-demand" deutlich. In dem dauernden Ehrgeiz, Zuschauer zu gewinnen, scheint es, als verlören manche Medien ihre moralischen Standards aus den Augen. "Newsnight"-Moderator Jeremy Paxman sprach nach dem Rücktritt des BBC Direktors in einer Erklärung von einer "großen Schande". Er wirft dem Sender vor, zu viel Geld in das Management gesteckt zu haben, während die Budgets der einzelnen Programme gekürzt worden seien.
Konzentration aufs Entertainment
Auch Claire Fox glaubt, dass die BBC sich zu sehr auf Entertainment und Öffentlichkeit konzentriert habe. "Gelitten hat darunter der investigative, wahrheitssuchende Journalismus. Stattdessen hat sich die BBC für seichte Dokumentarfilme entschieden." Sie hofft, dass die BBC bald wieder zum schonungslosen, neutralen Journalismus zurückfinde.
Die "Kultur der Untersuchungskommissionen" in Großbritannien bereitet ihr Unbehagen. "Ich glaube, dass diese ganzen Kommissionen die üble Atmosphäre noch verschlimmern werden. Die Leute achten doch jetzt schon die ganze Zeit darauf, was sie sagen und zu wem", sagt die Expertin. Statt einen klaren Kopf zu behalten, würden alle sich beeilen, die vergangenen Fehler zu beheben. "Die Leute sehen doch den Wald vor lauter Bäumen gar nicht mehr." Auch das sei im Übrigen eine Art Vertuschung.