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Politik

Angst vor einem neuen Krieg in Gaza

20. Juli 2018

Schüsse an der Grenze, Kampfjets und Panzer bombardieren zahlreiche Ziele im Gazastreifen: Der Konflikt zwischen Israel und der Hamas ist gefährlich eskaliert. Die Sorge vor einem vierten Krieg wächst.

Palästina Israel fliegt nach Schüssen auf Soldaten massive Luftangriffe in Gaza
Bild: Getty Images/AFP/B. Taleb

Israel und die im Gazastreifen regierende Hamas könnten an der Schwelle eines neuen Kriegs stehen: Einwohner berichten von mehreren schweren Explosionen in der Stadt Gaza. Israels Luftwaffe habe Hamas-Militärposten angegriffen, bestätigt die Armee. An der Grenze sei es zu gewaltsamen Ausschreitungen gekommen. Mittlerweile ist die Rede von mehreren Toten. In israelischen Medien nennt man die Eskalation bereits den "schlimmsten Zwischenfall seit dem Gaza-Krieg 2014". Doch die Situation hat sich bereits in den vergangenen Tagen und Wochen zugespitzt. 

"Die Leute sind besorgt. Als vor ein paar Tagen heftig bombardiert wurde, war der Markt sofort leer. Die Leute sind nach Hause", erzählt Nidal al Harazeen, Verkäufer im alten Markt von Gaza-Stadt. "Wer ein bisschen Geld in der Tasche hat, gibt es im Moment nicht aus, man weiß ja nicht, was noch kommt." Keiner wolle hier ein Krieg sehen wegen Drachen und aufgeblasenen Kondomen mit Brandsätzen.

"Israel und Ägypten haben uns eingeschlossen", sagt der junge Mann. "Man fühlt sich hier selbst wie ein Ballon, der von allen immer weiter aufgeblasen wird bis er irgendwann explodiert." Seit der Eskalation vom letzten Wochenende ist die Stimmung in Gaza noch ernster als sonst. Auch im Falafel-Laden gegenüber. "Die Leute haben Angst vor einem neuen Krieg. Aber die Verzweiflung ist so groß, das manche sogar denken vielleicht braucht es einen Krieg, damit sich etwas an dieser miserablen Situation ändert", sagt Riyad al Zebda, der alles andere als einen neuen Konflikt sehen will.

Fragile Waffenruhe schürt Angst vor neuem Krieg

Ein neuer Krieg zwischen Hamas und Israel wird seit dem letzten Wochenende nicht mehr ausgeschlossen: Seit Wochen lassen Palästinenser selbstgebastelte Drachen oder mit Helium gefüllte Kondome und Luftballons, an denen Brandsätze hängen, steigen -im Zuge der Freitagsdemonstrationen. Diese setzen Felder und Wälder in Israel in Brand. Der Sachschaden ist hoch, Menschen kamen dabei bislang nicht zu Schaden.

Ein Ort der Verwüstung Bild: DW/T. Kraemer

Die israelische Armee greift im Gegenzug militärische Posten der Hamas im Gazastreifen an und feuert neben die sogenannten "Kite Terror Squads". Allerdings lehnt es der Armeechef ab, die Drachenflieger gezielt zu töten - wie es von manch israelischem Politiker gefordert wird.

Am vergangenen Wochenende eskalierte die Situation innerhalb weniger Stunden: Hamas und andere militante Gruppen beschossen daraufhin mit Raketen und Mörsergranaten Felder und Orte rund um den Gazastreifen, Israels Armee flog Luftangriffe - die schwerwiegendsten seit dem Krieg 2014. Dabei wurden am Sonntag zwei palästinensische Jugendliche in Gaza-Stadt getötet. Ägypten und die Vereinten Nationen vermitteln eine Waffenruhe, doch die gilt als fragil und wurde bereits mehrmals gebrochen.

"Die Drachen sind keine Nuklearwaffen"

Der öffentliche Druck auf die israelische Regierung ist stetig gewachsen, eine Antwort auf die sogenannten "Terrordrachen" zu finden. Hamas müsse auch die Drachenfliegerei stoppen, sonst drohe eine größere Militäroperation. "Wir sind bereits inmitten einer Militärkampagne. Die Israeli Defence Force (IDF) ist jedenfalls vorbereitet für alle Szenarios", warnte Premierminister Benjamin Netanyahu erneut bei einem Besuch im Süden Israels diese Woche.

Israels Premierminister Benjamin Netanyahu droht mit einer MilitäroperationBild: Reuters/A. Awad

"Israel versucht die Bedrohung durch die Drachen größer zu machen als sie ist. Die Drachen sind keine Nuklearwaffen. Es ist ein Vorwand, um Gaza zu bombardieren", sagt dagegen Ghazi Hamad, Hamas-Politiker in Gaza-Stadt. "Wir versuchen eine Eskalation, einen Krieg zu vermeiden. Aber auch die internationale Gemeinschaft sollte Druck auf Israel ausüben, seine militärische Aggression gegen die Menschen in Gaza zu stoppen." Aus politischen Kreisen heißt es, dass sich die verschiedenen Fraktionen in Gaza mit Hilfe ägyptischer Vermittlung darauf geeinigt hätten, das Drachenfliegen nach und nach einzudämmen.

Israel schränkt Warenzufuhr weiter ein

Am Montag hatte Israels Premier Netanjahu den Druck auf Gaza mit neuen Maßnahmen erhöht, die die langjährige Blockade weiter verschärfen: Palästinensische Fischer dürfen erneut nur noch drei statt sechs Seemeilen ins Mittelmeer rausfahren. Die Warenzufuhr über Kerem Shalom, den einzigen Warenübergang zwischen Israel und dem Gazastreifen, wurde weiter eingeschränkt. Nahrungsmittel und Medizin sind davon nicht betroffen, aber es wird kein Treibstoff mehr geliefert - zumindest bis Sonntag. Auch wenn es mittlerweile wieder Treibstoff aus Ägypten gibt, ist der Bedarf an Diesel und Benzin für Generatoren hoch, um für den mangelnden Strom im Gazastreifen zu kompensieren.

Yishai Cohen (links) und Rami Gold (rechts) vom Kibbutz Beeri sind jeden Tag unterwegs, um Brände auf den Feldern zu löschen.Bild: DW/T. Kraemer

Im Kibbuz Nahal Oz, nur rund einen Kilometer Luftline von Gaza-Stadt entfernt, aber doch Welten auseinander, schaut Evyatar Hanan oft auf sein Handy. Er hat sich mit einer Gruppe von anderen Freiwilligen organisiert, um bei Bränden zu helfen - gemeinsam mit der lokalen Feuerwehr. "Am Anfang war es Chaos, aber jetzt sind wir besser organisiert", sagt der junge Israeli, der seit drei Jahren in Nahal Oz lebt.

"Es bleiben kaum zehn bis 15 Sekunden"

In der Ferne, hinter dem Grenzzaun, sind die Häuser von Gaza-Stadt zu sehen. Dazwischen liegen die Felder des Kibbuz und ein weiterer Sicherheitszaun rund um den Ort. "Das letzte Wochenende war wirklich schlimm. Wir haben viel Zeit im Schutzraum verbracht", erzählt Hanan. Weil der Ort so nahe an Gaza liegt, bleiben kaum zehn bis 15 Sekunden, bevor Raketen oder Mörsergranaten einschlagen.

Fast alle paar Meter gibt es bunt bemalte mobile Betonbunker, jedes Haus hat einen Schutzraum und auch die Schule ist mit mehreren Meter hohen Betonwänden verstärkt. "Es fühlt sich ein wenig an wie vor dem Zuk Eitan (Protective Edge) vor vier Jahren. Man weiß nicht, was noch kommt", sagt Hanan und denkt dabei an den Krieg zwischen Israel und Gaza/der Hamas im Sommer 2014.

Vermittlungen mit internationaler Hilfe

Sowohl Ägypten als auch die Vereinten Nationen agieren als Vermittler um die Situation weiter zu beruhigen. Der Sondergesandte der Vereinten Nationen, Nickolay Mladenov, hatte angekündigt, dass man an einem Plan für Gaza arbeite, der die humanitäre Situation verbessern soll. Doch es müsse alles getan werden, um einen vierten Krieg zu vermeiden.

In Gaza kann man nur abwarten. "Die Situation wird jeden Tag schwieriger, wir hoffen, dass die Welt hierher schaut, aber da habe ich wenig Hoffnung. Unsere Regierungen kümmern sich auch nur um sich selbst, wir sind denen doch egal", meint Sabreen Al Ayoube, die zum Einkaufen unterwegs ist. Und die Sorge bleibt, das falsches Taktieren beider Seiten oder einzelne Zwischenfälle im Grenzgebiet zu einer größeren Konfrontation führen könnten. "Mit dieser Ungewissheit muss man hier leben", sagt ein anderer Passant. "Ein Krieg kann jederzeit kommen - ohne Vorwarnung."

 

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