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Angst vor Entführungen bleibt

Stephanie Höppner6. Juli 2013

Die Lage für Christen in Syrien bleibt nach wie vor dramatisch: Priester werden getötet, zwei Bischöfe bleiben nach wie vor verschwunden. Auch Entwicklungshelfer geraten ins Visier.

Syrische Rebellen inspizieren einen Tank. . Foto: AFP/Getty Images)
Bild: Mezar Matar/AFP/Getty Images

Gute Nachrichten: Zwei der drei entführten deutschen Entwicklungshelfer der Organisation "Grünhelme" sind wieder frei. Die beiden Männer, ein Industriemechaniker und ein Bautechniker, sind nach Angaben des Auswärtigen Amtes mittlerweile wohlbehalten auf dem Weg nach Deutschland. Das Schicksal des dritten entführten Mannes, eines Ingenieurs, ist dagegen noch unklar. Der Krisenstab des Außenministeriums arbeite weiter mit Hochdruck an der Klärung des Falls, sagte ein Ministeriumssprecher. Die Hilfsorganisation mit Sitz in Troisdorf bei Bonn selbst wollte sich deshalb gegenüber der Deutschen Welle nicht äußern.

Die Männer waren Mitte Mai aus ihrer Wohnung im Ort Harem an der Grenze zur Türkei entführt worden. Die Männer hatten sich um die Zivilbevölkerung gekümmert und waren "in der Bevölkerung von Harem besonders gern gesehen", hieß es auf der Internetseite des Vereins, der sich weltweit in Krisenregionen beim Wiederaufbau engagiert.

Hilfsorganisationen wollen nicht auffallen

Doch trotz der Freude über die Wiederkehr der Männer warnen Hilfsorganisationen weiterhin vor der Lage in dem Gebiet. "Es gibt ein großes Gefahrenpotenzial, entführt zu werden oder bei bewaffneten Auseinandersetzungen verletzt zu werden", erklärt Simone Pott, Pressesprecherin der Welthungerhilfe, im Interview mit der DW. Deshalb setzt die Organisation darauf, einen Großteil der Hilfe über einheimische Partner vor Ort beziehungsweise durch einheimische Mitarbeiter erledigen zu lassen, um so weniger aufzufallen.

Mehr als acht Millionen Menschen und damit rund 40 Prozent der syrischen Bevölkerung sind laut der Welthungerhilfe auf Hilfe angewiesen. Davon seien die Hälfte Flüchtlinge im eigenen Land, etwa 1,6 Millionen hätten in Nachbarländern Zuflucht gesucht. Aufgrund der Not habe sich auch die Welthungerhilfe vor einem halben Jahr entschlossen, erstmals in Syrien tätig zu werden.

"Ein Restrisiko bleibt": Welthungerhilfe-Sprecherin Simone PottBild: Welthungerhilfe

Einmal stündlich anrufen

Der Arbeitsweg der Welthungerhilfe: Die Hilfsgüter werden in der Türkei eingekauft und in Lastwagen bis zur syrischen Grenze gebracht. An dem Grenzübergang in Kilis werden sie umgeladen, denn die Wagen dürfen die Grenze nicht passieren. Die Fahrer - oft Einheimische - bringen die Güter schließlich an die Verteilungsorte, dort werden sie weiter verteilt. Die Welthungerhilfe oder eine Partnerorganisation überprüfen die jeweiligen Vorgänge.

"Es gibt natürlich Schutzmaßnahmen und Sicherheitsvorkehrungen, die eine gewisse Routine für uns darstellen, denn wir arbeiten nicht nur in Syrien in einem schwierigen Umfeld", sagt Welthungerhilfe-Sprecherin Pott. Zu den Standards gehören: Keine Fahrten in der Dunkelheit, alle Aktionen werden angemeldet, die Mitarbeiter rufen stündlich im Büro an. "Wir versuchen natürlich die Mitarbeiter so gut es geht zu schützen, allerdings bleibt in Kriegssituationen immer ein gewisses Restrisiko, das wir nicht ausschließen können."

Besonders gefährlich sind die Checkpoints. "Sie wissen nicht, wer da steht, und ob er sie durchwinkt, oder selbst einen Teil der Ladung haben möchte", erzählt Pott. Als Hilfsorganisation sei die Welthungerhilfe verpflichtet, dass alle Güter auch ankommen. "Wenn sie bei 28 Checkpoints überall etwas abgeben oder zahlen müssen, dann führt es das Prinzip der humanitären Hilfe ad absurdum."

Bischöfe blieben verschwunden

Auch die christliche Minderheit lebt in ständiger Angst. Seit dem Bombenanschlag im Februar 2012 in Aleppo, bei dem 28 Christen starben, häufen sich die Übergriffe: Im Oktober wurde ein Priester skalpiert und ermordet, vor wenigen Tagen ist ein anderer Geistlicher enthauptet worden. Seit dem 22. April sind der syrisch-orthodoxe Erzbischof von Aleppo, Gregorios Yohanna
Ibrahim, und der griechisch-orthodoxe Bischof der gleichen Stadt,
Bulos Jasidschi, verschwunden. Der Diakon und Fahrer von Bischof Ibrahim wurde getötet. Die Geistlichen waren in einem Gebiet westlich von Aleppo unterwegs, das von der oppositionellen Freien Syrischen Armee kontrolliert wird.

Auch von Bischof Bulos Jasidschi fehlt jede Spur - seit 75 TagenBild: picture-alliance/dpa

"Je länger die Erzbischöfe verschwunden bleiben, desto aussichtsloser erscheint den Christen ihre Zukunft in Syrien", sagte der Vorsitzende des Bundesverbandes der Aramäer in Deutschland, Danyel Demir, der die christlichen Syrer in Deutschland vertritt. Der Vorfall sei für die syrische Opposition peinlich, da sie die die jüngsten Versicherungen der meist sunnitischen Aufständischen, sie würden die religiösen Minderheiten achten und schützen, konterkarieren. "Bei diesem Entführungsfall seit 75 Tagen hat man keine verlässlichen Angaben über den Zustand der Bischöfe, über ihren Verbleib, über Motive oder Forderungen der Täter." Am Samstag (06.07.2013) demonstrierte der Bundesverband der Aramäer für die Freilassung der Bischöfe in Frankfurt.

Christliche Minderheit schrumpft

Etwa zehn Prozent der rund 20 Millionen Einwohner Syriens sind Christen. Die größten Gruppen stellen die Griechisch-Orthodoxen mit rund 500.000 Gläubigen und die Katholiken mit 420.000 Menschen. Sie bilden die zweitstärkste christliche Gemeinschaft im Nahen Osten nach den Kopten in Ägypten. Die Christen sind politisch gesehen gespalten - einige unterstützen das System Assads, andere sind Anhänger des Aufstands. "Als einzige nicht-muslimische Glaubensgruppe werden sie von allen Konfliktparteien gleichermaßen der Kollaboration mit dem jeweiligen Gegner verdächtigt", schreibt der wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages.

Nach Ansicht des Verbandsvorsitzenden Demir könnte der Anteil der Christen in den kommenden Wochen und Monaten deutlich schwinden. "Solche brutalen Massaker an Christen verfehlen ihre Wirkung nicht und jagen den restlich verbliebenen Christen sehr viel Angst ein", sagte Demir im DW-Gespräch. "Eines weiß man ganz sicher. Diese Bischöfe waren der Grund dafür, dass die Christen in Syrien geblieben sind."

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