Alle wollen Wachstum
7. Mai 2012Die Europäische Kommission kommentiert grundsätzlich keine Wahlergebnisse. Doch wenn es um Griechenland geht, steht für die gesamte Europäische Union (EU) viel auf dem Spiel. Die Griechen haben überwiegend Parteien gewählt, die dem internationalen Hilfs- und Konsolidierungsprogramm skeptisch bis ablehnend gegenüberstehen. Daher könnte es durchaus sein, dass sich eine neue Regierung nicht mehr an die harten Sparauflagen gebunden fühlt. Kommissionssprecherin Pia Ahrenkilde konnte sich eine versteckte Warnung nicht verkneifen: "Die Kommission hofft und erwartet, dass sich die künftige Regierung Griechenlands an die eingegangenen Verpflichtungen halten wird." Man stehe bereit, "Griechenland weiter zu unterstützen", und hoffe auf einen "Geist der Verantwortung" bei der Bildung der neuen Regierung. Amadeu Altafaj, der Sprecher von Währungskommissar Olli Rehn, wurde noch etwas deutlicher. "Wir können viel tun, um Griechenland zu helfen, und wir tun es auch. Aber natürlich ist Solidarität keine Einbahnstraße."
Erster Schritt zum Austritt?
Joseph Daul, der Fraktionsvorsitzende der konservativen Volkspartei im Europaparlament, befürchtet allerdings schon, dass das Wahlergebnis in Griechenland zu einem Austritt aus der Währungsunion führen könnte: nämlich dann, wenn die künftigen Regierungsparteien die Spar- und Reformauflagen ablehnen. In einem Interview am Montag (07.05.2012) im Deutschlandfunk sagte er: "Ich will das nicht, aber das ist schon ein erster Schritt." Wenn eine künftige griechische Regierung diese Verpflichtungen aufgebe, "wird die Solidarität nicht weitergehen. Und dann gibt es ganz schwierige Zeiten für Griechenland."
Konjunkturprogramm erwünscht
Martin Schulz, der Präsident des Europaparlaments, warnt dagegen vor einer "Überreaktion". Auch er forderte die griechischen Parteien auf, eine Koalition zu bilden, die sich an die Verpflichtungen hält. Die EU müsse aber gleichzeitig ein umfangreiches Wachstums- und Beschäftigungsprogramm auflegen. Schulz, der frühere Fraktionsvorsitzende der Sozialisten, stimmt darin überraschenderweise mit dem FDP-Europaabgeordneten Jorgo Chatzimarkakis überein. Der griechischstämmige Politiker empfahl in einem Gespräch mit der Deutschen Welle ein "Konjunkturprogramm" - ein Wort, das man von seiner Partei in Deutschland nicht hören würde. Wahlweise verwendet er auch einen Ausdruck aus der Geschichte: Er fordert "einen großen europäischen Marshall-Plan. Das braucht nicht nur Griechenland. Das braucht auch Spanien, das braucht Irland, letztendlich wird es auch Frankreich brauchen."
Wachstum mit oder ohne neue Schulden
Das Wort "Wachstum" war aber schon vor den Wahlen in Frankreich und Griechenland in aller Munde. Plötzlich will offenbar jeder das Wachstum ankurbeln, auch der Christdemokrat Joseph Daul. Doch im Interview mit dem Deutschlandfunk warnte er vor Missverständnissen. "Zuerst müssen wir sparen. Die Sozialisten wollen Wachstum machen mit dem Geld, das wir nicht haben. Das soll heißen: mehr Schulden." Man müsse den Leuten die Wahrheit sagen: So wie bisher gehe es nicht weiter. Zwar sagt auch der Liberale Jorgo Chatzimarkakis, sowohl das Sparen als auch die Strukturreformen seien notwendig. Doch die wirtschaftlichen Ungleichgewichte innerhalb der Währungsunion zwischen Nord und Süd seien untragbar geworden. "Unser jetziges Modell ist gescheitert. Der jetzige Binnenmarkt, der ganze Landstriche ausbluten lässt, kann nicht als Erfolgsmodell bezeichnet werden. Er hilft wenigen, und er schadet vielen." Die Gewinner, so Chatzimarkakis, seien vor allem die Deutschen mit ihren riesigen Überschüssen. "Die Deutschen müssen irgendwann begreifen: Du kannst nicht über lange, lange Zeiträume deine Nachbarn mit deinen eigenen Produkten überschwemmen, ohne zu erwarten, dass die irgendwann auch mal von deinem Gewinn profitieren wollen."
Begriffsverwirrung
Das Problem ist: Spätestens seit der Doppelwahl in Frankreich und Griechenland reden alle von notwendigen Wachstumsinitiativen und dass Sparen allein nicht weiterhelfe. Doch jeder versteht etwas anderes darunter. Es hat sogar schon einmal einen EU-Gipfel zu diesem Thema gegeben. Bald soll es wieder einen geben. Es wird spannend sein zu erfahren, ob die EU diesmal auf einen einheitlichen Begriff kommt.