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Politik

Angst vor wachsendem Antisemitismus

8. März 2018

Der Streit um das polnische "Holocaust-Gesetz" fällt zusammen mit der Erinnerung an die Ausreisewelle 1968. Unter Juden in Polen wächst die Sorge vor antisemitischer Hetze und Übergriffen. Frank Hofmann aus Warschau.

Symboldbild Judentum
Bild: DW/P. Kajszczak

Juden beklagen zunehmenden Antisemitismus in Polen

04:45

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Großrabbiner Michael Schudrich sitzt in seinem Büro in der orthodoxen Synagoge in Warschau. Bücher quellen aus allen Regalen. Es ist gemütlich und doch geschäftig: Schudrich tippt vor dem Gespräch noch eine E-Mail in den Computer. Seit 28 Jahren lebt der in New York geborene Sohn eines US-Rabbiners im Land seiner Großeltern. Diese waren vor dem Zweiten Weltkrieg in die USA ausgewandert. Er hatte das sozialistische Polen bereits als Student besucht wie viele: um die deutschen Konzentrationslager zu besuchen, Auschwitz vorneweg. Nachdem der Eiserne Vorhang gefallen war, zog Schudrich dann nach Warschau.

Vor dem Zweiten Weltkrieg und der Vernichtung der europäischen Juden durch Nazi-Deutschland lebten dort mehr als 3,3 Millionen Juden. Ohne Schudrichs unermüdliche Arbeit wäre das jüdische Leben im demokratischen Polen wahrscheinlich nicht wieder gewachsen: Immerhin 12.000 gläubige Juden gibt es wieder im Land und damit auch ein aktives Gemeindeleben in Warschau, in Lodz, in Krakau und anderen Städten. Im Schaukasten vor seinem Büro hängen zahlreiche Auszeichnungen für den 62-Jährigen.

Großrabbiner in Polen: Michael SchudrichBild: DW/P. Kajszczak

Niemand will reden

Doch über diesen Erfolg will außer Schudrich im Moment kaum jemand mit Journalisten sprechen. Aus Angst: Seit kurzem gebe es vermehrt antisemitische Angriffe auf Gemeindemitglieder selbst im öffentlichen Raum wie in der Straßenbahn - vor allem aber im Internet, "zum Glück bislang keine körperlichen Übergriffe", sagt der Großrabbiner. Und das alles wegen "diesem Gesetz", das seit dem 1. März regelt, wie über die Geschichte Polens unter deutscher Nazi-Herrschaft geredet und geschrieben werden darf. Und zwar so, dass jedwede polnische Verantwortung ausgeschlossen ist. Für die Kritiker - vor allem in Israel und den USA - schränkt Polen die Wissenschafts- und Redefreiheit ein. Darauf reagierte wiederum die politische Rechte in Polen mit antisemitischer Kritik  "damit war es aus der Büchse", sagt der liberale Publizist Konstanty Gebert. Und das zu einem unglücklichen Moment: In diesen Wochen wird in ganz Polen an die antizionistische Rhetorik der regierenden Kommunisten 1968 erinnert.

Antizionistische Rhetorik 1968

Wie anderswo in der Welt waren auch in Warschau damals Studenten auf die Straße gegangen, die gegen das Establishment protestierten. Die kommunistische Partei lenkte die Wut auf die wenigen polnischen Juden im Land. Mehrere Tausend Holocaust-Überlebende packten daraufhin die Koffer und verließen das Land. "Antisemitismus hat es in Polen immer schon gegeben", sagt Konstanty Gebert. "Ein Antisemit ist bei uns sehr wahrscheinlich auch ein nationalistischer katholischer Fundamentalist, ein autoritärer und wahrscheinlich auch homophober Mensch." Gebert wirft der regierenden Partei "Recht und Gerechtigkeit" deshalb vor, sich von der extremen Rechten im Land nicht deutlich zu distanzieren.

Zwei Generationen Judentum in Polen: Konstanty Gebert (rechts)...Bild: DW/P. Kajszczak

Seine Familie war 1968 bewusst im Land geblieben - als der Eiserne Vorhang gefallen ist, waren sie eine der wenigen. Das bringt ihm besondere Autorität ein: Das Problem sei vor allem die Diskussion um das "Holocaust-Gesetz" und wie die Frage politisch von der rechtspopulistischen Regierung und der führenden Partei PiS instrumentalisiert werde. Nur ihre Geschichtsauffassung habe Gültigkeit. "Historiker, die generell andere Positionen vertreten, werden in Zukunft nicht mehr finanziert", glaubt Paweł Śpiewak, der Direktor des Jüdischen Historischen Instituts in Warschau. Mit fatalen Folgen: Über die heftige Kritik aus Israel war womöglich auch die Regierung in Warschau überrascht und hat zugesichert, das Gesetz nicht anzuwenden bis der Oberste Gerichtshof im Land darüber entschieden hat.

...und sein Sohn Jan Gebert.Bild: DW/P. Kajszczak

Polen boykottieren?

Doch der Schaden ist da: In der Warschauer Synagoge eilt Großrabbiner Michael Schudrich die Treppen hinunter zum Versammlungsraum. Er hetzt zwischen zwei wichtigen Terminen: Drei Tage zuvor war er erst aus Israel zurückgekehrt von der Sitzung des Verwaltungsrates der Jewish Agency for Israel ("Jüdische Agentur für Israel"). Es ist die größte Organisation, die Juden weltweit hilft nach Israel zu immigrieren. Dem Vernehmen nach wurde dort die Frage gestellt, ob die Organisation zu einem Boykott gegenüber Polen aufrufen soll - und damit dem Land, das tausende Juden jedes Jahr besuchen, um der Opfer des Holocaust in Auschwitz zu gedenken. Michael Schudrich schüttelt den Kopf: "Es wird Zeit, dass die lauten Stimmen auf beiden Seiten abrüsten."

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