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Warum sich Menschen gerne gruseln

Ann-Christin Herbe
29. Oktober 2019

Angst und Lust sind auf den ersten Blick zwei unterschiedliche Gefühle. In der Realität gehören sie aber zusammen. DW-Reporterin Ann-Christin Herbe versucht zu verstehen, warum sich Horror-Fans so gerne gruseln.

Horrorwood - Gruselszene im Movie Park Bottrop
Bild: Movie Park Germany

Oh Gott, ich will da nicht durch - aber hier stehen bleiben kann ich auch nicht. Mein Herz klopft. Mein Mund ist trocken. Dichter Nebel verschleiert den Weg vor mir. Die bedrohliche Musik aus den Lautsprechern erhöht meine Alarmbereitschaft. Ich mache einen Schritt in den Nebel hinein. Plötzlich taucht vor mir ein Mutant mit glühenden Augen auf und schreit mich an, ich schreie mit und renne los.

Eine junge Frau zeigt lachend auf mich. Wer zuletzt lacht, ist allerdings ein blutverschmierter Bauarbeiter, der hinter ihr steht und sie anstupst. Ihr Lachen wird zum Schrei, als er sie verfolgt und seine rostige Schaufel funkensprühend über den Boden zieht.

Das Grusel-Schloss von Graf Dracula

04:48

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Mehr dazu: Angst und Grusel: Woher kommt es, wenn man allein Zuhause ist?

Das Geschäft mit dem Gruseln

Der Mutant und der Bauarbeiter sind nur zwei der 280 aufwendig kostümierten Monster, die während der "Halloween Horror Show" im Movie Park Germany in Bottrop durch die Gegend streifen und die Besucher erschrecken. Zusätzlich zu den frei streunenden Gruselgestalten gibt es Horror-Häuser – extra entworfen, um die Besucher mit ihren schlimmsten Ängsten zu konfrontieren.

Während ich schon in der Schlange für eine solche Attraktion fast einen Nervenzusammenbruch erleide, scheinen sich die meisten um mich herum aufrichtig auf den Horror zu freuen. Wie kann man sich bitte freiwillig zu Tode erschrecken lassen und auch noch Spaß daran haben? 

Das Spiel mit Angst und Erregung

Die Antwort der Psychologen auf meine Frage lautet: Angstlust. Auf den ersten Blick zwei sehr gegensätzliche Emotionen. In der Realität spricht man allerdings zu Recht von gemischten Gefühlen. Das Bewusstsein schwankt in Momenten der Angstlust. "Etwas versetzt uns in Angst und Schrecken und kurz darauf wird uns klar, dass wir ja gar nicht in Gefahr sind", sagt Psychologe Peter Walschburger von der Freien Universität Berlin und Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Psychologie.

Der Ursprung dieses Gefühlsgemischs ist tief im Menschen verankert. Angst hat einen Überlebensvorteil, sie warnt vor Gefahr und der Wunsch nach Erregung und Lustbefriedigung sichert die Fortpflanzung. Aber um als Teenager oder Erwachsener Angstlust empfinden zu können, muss im frühen Kindesalter erst Urvertrauen in einer sicheren Umwelt aufgebaut werden. "In dem Maße, wie das Kind Vertrauen und Geborgenheit erfahren konnte, kann es sich für neue Erfahrungen öffnen", so Walschburger. 

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Flucht oder Kampf

Was genau im Gehirn passiert, wenn ein Mensch Angst hat, erklärt der Psychologe am Beispiel eines abendlichen Waldspaziergangs. "Sie sind bereits grundsätzlich etwas angespannt und nehmen plötzlich eine schlängelnde Bewegung im Laub wahr", skizziert Walschburger. Eine Struktur im limbischen System, das im Gehirn für die Verarbeitung von Emotionen zuständig ist, gibt ein Warnsignal – Achtung Gefahr, Schlange! Das führt sehr schnell und ohne großes Nachdenken zu einem Flucht- oder Angriffsimpuls.

Wie wir nun regieren ist unterschiedlich. Das Großhirn veranlasst einige Menschen, einen Moment innezuhalten und rational zu reflektieren. Ein zweiter Blick entlarvt die vermeintliche Schlange als harmlosen Ast – die Angst ist gebannt, es folgt Erleichterung. Andere sind aber so massiv alarmiert, dass sie zu dieser Reflektion nicht in der Lage sind und einfach nur der Situation entkommen wollen oder aggressiv reagieren.

Wie das Ende des Spaziergangs im Gedächtnis abgespeichert wird, gibt bereits eine Tendenz für das Verhalten in der Zukunft. "Wer die Situation überstanden hat, stärkt sein Selbstbewusstsein und wird auch in Zukunft weiter abends im Wald spazieren gehen. Wer hingegen weggerannt ist, wird seinen Handlungsradius in Zukunft einschränken und den Wald abends eher meiden", erklärt der Psychologe. 

Dem wollen wir lieber auf der Leinwand begegnen als auf der Straße Bild: Imago/Agencia EFE

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Horror als Ventil der Wunschvorstellung

Angstlust funktioniert also vor allem dann, wenn sich der Mensch trotz Schrecksituation sicher fühlt. Zum Beispiel bei einem Horrorfilm im Kino. "Horror bietet uns die sichere Variante von Grusel, den wir in der realen Welt nicht wollen oder nicht haben können", sagt der Kulturwissenschaftler Christian Lenz von der Technischen Universität Dortmund. Denn im Kino kann der Zuschauer einfach die Hand vor die Augen halten und zu Hause mit einem Knopfdruck den Fernseher ausschalten. Das unbewusste Gefühl von Sicherheit schützt.

Den Reiz am Gruseln habe ich mittlerweile verstanden. Aber das Konzept Horrorfilm wirft eine weitere Frage auf: Warum schauen sich Menschen brutale Morde auf der Leinwand an, die sie in der Realität sicher verurteilen würden? "Der Mörder im Film kann die Aktionen ausleben, die man selbst eben nicht ausleben kann. Jeder hat schon mal gedacht 'Könnte ich doch nur'. Das wirkt dann auf den Zuschauer wie eine Projektionsfläche", erklärt Lenz.

Ich denke an gestern Abend zurück, als ich im Auto unterwegs war. Ein anderer Fahrer hat mich geschnitten und ich würde nicht dafür garantieren, dass meine Schimpferei jugendfrei war. "Hätten Sie in einem Cabrio gesessen und alle hätten es mitbekommen, wäre die Hemmschwelle größer gewesen", vermutet Lenz. Horror und insbesondere Horrorfilme bieten also ein Ventil für Gedanken und Handlungswünsche, die nicht mit gesellschaftlichen Normen vereinbar sind.

Obwohl ich sie jetzt besser kenne, werden die Angstlust und ich vermutlich keine Freunde mehr. Ich bleibe an Halloween lieber zu Hause und verteile Süßes statt Saures. 

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