1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Ankara sieht Biden mit Skepsis entgegen

Daniel Derya Bellut | Hilal Köylü
11. November 2020

Die Beziehungen zwischen Ankara und Washington hatten zuletzt Höhen und Tiefen. Doch unterm Strich hat die türkische Regierung enorm vom Kurs von US-Präsident Trump profitiert. Wird Biden die Karten neu mischen?

Türkei Joe Biden und Recep Tayyip Erdogan Pressekonferenz in Ankara
Bild: picture alliance/AP Images/K. Ozer

Die Abwahl von US-Präsident Donald Trump und der bevorstehende Machtwechsel im Weißen Haus wird mit großer Wahrscheinlichkeit einen Politikwechsel in den USA herbeiführen. Auch außenpolitisch werden durch die Wahl Joe Bidens die Weichen neu gestellt werden. Besonders die bilateralen Beziehungen zwischen Ankara und Washington könnten sich vollkommen neu gestalten.

Der plötzliche Rücktritt des türkischen Finanzministers Berat Albayrak am vergangenen Wochenende ist schon ein erstes Anzeichen für einen Kurswechsel: Dem Regierungspolitiker, der gleichzeitig der Schwiegersohn von Präsident Recep Tayyip Erdogan ist, gelang es jahrelang nicht, Lösungen für die katastrophale Wirtschaftslage zu finden. Dennoch wurde er vom türkischen Präsidenten wegen seiner guten Beziehungen zum Weißen Haus geschätzt. Besonders mit Trumps Schwiegersohn Jared Kushner soll Albayrak regelmäßig im Kontakt stehen. Nach dem Ende der Trump-Präsidentschaft werden Albayraks US-Beziehungen keine Pluspunkte mehr sein. Daher musste er gehen, schlussfolgern Experten - auch wenn Albayrak seinen Rücktritt mit gesundheitlichen Problemen begründet.

Trump mischt sich in Ermittlungen gegen Ankara ein

Vor der US-Wahl war jeder Gesprächskanal zu Trump existenziell für die Belange des türkischen Präsidenten – vor allem, wenn es darum ging, Ermittlungen und Sanktionen zu verhindern. Eine im Oktober erschienene Recherche der New York Times dokumentierte, wie die türkische Regierung mehrfach die Trump-Administration beeinflusste. Unter Anderem soll der US-Präsident Ermittlungen der New Yorker Staatsanwaltschaft gegen die staatliche türkische Halkbank behindert haben.

Gegen die Bank wird ermittelt, weil sie im Verdacht steht, US-amerikanische Sanktionsgesetze umgangen zu haben, um Milliarden Dollar an Gold und Bargeld in den Iran zu schleusen. Das brisante an dem Halkbank-Skandal ist, dass Personen aus dem innersten Zirkel Erdogans - wie der ehemalige Wirtschaftsminister Mehmet Zafer Caglayan - in die illegalen Geschäfte involviert gewesen sind. 

Top-Diplomat: Das Ende des präsidialen Dialogs

Der ehemalige türkische Außenminister und Botschafter Yaşar Yakış geht davon aus, dass informelle Absprachen auf präsidialer Ebene, wie vor der US-Wahl üblich, von Joe Biden nicht zu erwarten sind. "Jeder weiß jetzt, dass sich Trump tatsächlich auf Erdogans Bitten in die Arbeit der amerikanischen Justiz eingemischt hat." Biden werde Intervention dieser Art nicht zulassen. "Die Justiz wird wieder zur gängigen Praxis zurückkehren", so der Ex-Diplomat.

Der ehemalige türkische Außenminister Yasar Yakis erwartet von Joe Biden eine härtere Gangart gegenüber AnkaraBild: privat

Immer wieder hat Ankara den amerikanischen Präsidenten in der jüngsten Vergangenheit düpiert. Trump polterte zwar jedesmal, aber er machte seine Drohungen nie wahr. So kündigte er an, die Türkei "wirtschaftlich zu vernichten", sollten türkische Streitkräfte in Nordsyrien einmarschieren. Ankara ließ sich jedoch nicht von seinem Kurs abbringen: Sobald Washington seine Truppen aus dem Norden Syriens abgezogen hatte, nutzen die türkischen Streitkräfte die Gunst der Stunde: Ankara begann im Oktober 2019 eine Militäroperation gegen die Kurdenmiliz YPG – enge Verbündete der US-Amerikaner. 

Mit Verhandlungsgeschick konnten Wirtschaftssanktionen jedoch trotz des Affronts abgewendet werden: Bei einem Treffen in Ankara Mitte Oktober 2019 einigten sich Erdogan und US-Vizepräsident Mike Pence auf eine fünftägige Waffenruhe in Nordsyrien, um eine von YPG-Milizen befreite Sicherheitszone zu errichten. Im Gegenzug verzichtete Washington auf Wirtschaftssanktionen.

Offensive gegen die kurdische YPG-Miliz: Türkische und russische Truppen im Oktober 2019 im Norden SyriensBild: picture-alliance/AA/Turkey‚´s Defense Ministry

Keine Sanktionen für russische Raketen

Bereits im Mai 2019 hatte die türkische Regierung die Beziehungen zu Washington auf die Probe gestellt. Die Türkei entschied sich, ihren Luftraum mit dem russischen Raketenabwehrsystem S-400 abzusichern. Wochenlang machte Washington Druck auf die türkische Regierung, um sie doch noch davon abzubringen, den Raketen-Deal mit Russland abzuschließen und dafür das amerikanische Luftabwehrsystem Patriot zu kaufen. Doch die Androhung von Sanktionen und sogar ein Ultimatum beeindruckten den türkischen Präsidenten wenig - die Türkei kaufte das russische Waffensystem. Ein Affront nicht nur für Washington, sondern auch für die gesamte NATO – schließlich gilt Russland als geostrategischer Gegner des Transatlantischen Bündnisses.

Doch auch dieser Affront sollte letzten Endes kein Nachspiel haben. Sanktionen hat Trump bisher nicht verhängt. Experten gehen davon aus, dass sich diese Nachsicht gegenüber Ankara nun ändern wird: "Biden wird Druck auf Ankara ausüben und die amerikanischen Institutionen wieder zum Laufen bringen. Er wird sich nicht groß mit persönlichen Gesprächen mit Erdogan aufhalten", so die Politologin Sezin Öney.

Persönliche Verbundenheit: US-Präsident Trump und sein türkischer Amtskollege ErdoganBild: Reuters/Presidential Press Office/M. Cetinmuhurdar

US-Kongress will Sanktionen durchsetzen

In den vergangenen Monaten positionierte sich der US-Kongress deutlich kritischer zur Politik Erdogans als der noch amtierende US-Präsident. Immer wieder drängten US-Abgeordnete darauf, gegen die Türkei sogenannte CAATSA-Sanktionen zu verhängen. Das Bundesgesetz (Countering America's Adversaries Through Sanctions Act), das im Juni 2017 von Trump selber eingeführt wurde, wird bereits gegen Länder wie Iran, Nordkorea und Russland eingesetzt. Sowohl im Senat als auch im Repräsentantenhaus überwiegt Unterstützung dafür, die Türkei dieser Liste hinzuzufügen.

Ex-Außenminister Yakış verweist darauf, dass der amtierende Präsident Trump alles daran gelegt habe, die CAATSA-Sanktionen aufzuschieben; das würde sich nun nach dem Machtwechsel ändern. "Biden wird alles tun, was die Gesetze vorschreiben und schließlich auch CAATSA umsetzen. Wir werden sehen, welche Sanktionen er wählen wird, aber Biden wird die Entscheidung, die das (legislative) Systems beschlossen hat, umsetzen."

Biden will "Erdogan besiegen"

Dass nicht nur der US-Kongress, sondern auch Joe Biden selber eine kritische Haltung gegenüber der türkischen Politik an den Tag legt, ging aus einem Interview aus dem vergangenen Dezember hervor. In der TV-Show "The Weekly" nannte er den türkischen Präsidenten einen "Autokraten" und rief zur Unterstützung der türkischen Opposition auf, "um Erdogan zu besiegen". Der türkische Präsident gratulierte dem gewählten Präsidenten Biden am Dienstag zu seinen Wahlsieg. Bedankte sich aber auch bei Trump, "der mit seinen weitsichtigen Entscheidungen unsere Beziehungen weitergebracht hat."

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen