NATO berät über Südflanke
13. Mai 2015"Wir sorgen uns nicht so sehr um die Krisen um uns herum, sondern eher um die Russen, die nicht mehr kommen", sagt der Rezeptionist in einem Strand-Hotel in Antalya. In dem schicken Resort ist die Presse für das NATO-Ministertreffen untergebracht.
Die türkische Stadt Antalya liegt rund 800 Kilometer von Syrien entfernt. Von den Kriegen und Terroristen des "Islamischen Staates" dort fühlten sich die Menschen hier nicht bedroht, bestätigt Politikwissenschaftler Tarik Oguzlu der Deutschen Welle. "Sie sorgen sich eher um die Wirtschaftskrise in Russland, nicht um das Schicksal der Ukraine".
Der türkische Politikwissenschaftler lehrt an der Universität von Antalya und beschäftigt sich vor allem mit Sicherheitspolitik. "Die Menschen gehen nicht davon aus, dass die Türkei von islamistischen Terroristen angegriffen wird". Auch der andere große Konflikt mit Russland im Osten um die Ukraine sei im Bewusstsein sehr weit weg.
Streit um die Ost-Flanke
Doch in diesem Jahr kommen kaum noch russische Touristen in die großen Ferienanlagen rund um Antalya. Die Wirtschaftskrise und die Folgen der Sanktionen in Russland in Folge des Ukraine-Konflikts und des gesunkenen Ölpreises bekommen auch die Hoteliers, Taxifahrer, Souvenirverkäufer im Gastgeberland des NATO-Treffens zu spüren.
"Auch die Regierung der Türkei denkt, dass sich die NATO zu sehr um ihre Ostflanke kümmert", sagte Politikwissenschaftler Tarik Oguzlu. Intern wurde das laut EU-Diplomaten von einigen anderen NATO-Außenministern aus südlichen Staaten wie Italien ebenfalls kritisiert. Nach außen hin gab sich der türkische Premierminister Ahmet Davutoglu in Antalya aber entschlossen. Er kündigte an, dass sich auch die Türkei an der "schnellen Eingreiftruppe" beteiligen wird, die Russland abschrecken und den östlichen Mitgliedsstaaten ein Gefühl der Sicherheit vermitteln soll.
Der Generalsekretär der NATO, Jens Stoltenberg, nahm die Ankündigung dankbar zur Kenntnis und wies auf die geografische Sonderrolle des Landes hin, dass als einziges NATO-Mitglied an Iran, Irak und Syrien grenzt und damit auch an Gebiete, die direkt vom "IS" kontrolliert werden.
Hinter den Kulissen gibt es allerdings handfesten Streit über die Rolle der Türkei in der Allianz. Die türkischen Beziehungen zu einigen arabischen Staaten, Ägypten und Israel seien schlecht. Die Türkei versuche immer noch, sich mit einer eigenständigen Außenpolitik zu profilieren und als Regionalmacht gegenüber Iran zu positionieren.
Ankara fordert mehr Engagement
In der Türkei wird heftig darüber diskutiert, ob eine Mitgliedschaft des Landes in der NATO überhaupt noch vorteilhaft sei. "Es gibt in der Türkei eine Art Stimmung gegen die NATO und gegen den Westen. Diese herrscht nicht nur bei den Eliten, sondern auch bei der allgemeinen Öffentlichkeit vor", so Oguzlu. Dennoch messe die Türkei als Staat der NATO immer noch große Bedeutung bei, vor allem wegen der chaotischen Entwicklung im Mittleren Osten.
Offiziell steht die Regierung zur Allianz. Das machte auch der türkische Premierminister Davutoglu deutlich. Er lud die Staats- und Regierungschefs überraschend zum übernächsten Gipfeltreffen 2018 in die Türkei ein. Oberstes Ziel Ankaras im Syrien-Konflikt ist es, das Regime von Staatschef Bashar al-Assad zu beseitigen.
In der Vergangenheit hat die Türkei Rebellengruppen unterstützt, die zum IS zählen. IS-Kämpfer, auch aus Europa und den USA, sollen massenhaft über die Türkei nach Syrien und Irak einsickern. Die Türkei weist die Vorwürfe zurück und verlangt ihrerseits von der NATO mehr Engagement.
Die NATO hat der Türkei Raketenabwehrsysteme vom Typ Patriot bereit gestellt. Das reiche nicht, bemängelt die türkische Seite. Bei den Außenministern der NATO setze sich langsam die Erkenntnis durch, dass man sich nicht nur auf die Ostflanke und Russland konzentrieren dürfe.
Die Türkei fordert von der NATO eine Flugverbotszone über dem Norden Syriens und des Iraks. Bislang sind die USA und andere NATO-Partner dazu nicht bereit, sondern attackieren die IS-Kämpfer lieber mit gezielten Luftangriffen, nicht aber die syrische Armee.
NATO bleibt in Afghanistan
Die Türkei will natürlich auch die Kurden, die nach einem eigenen Staat streben, in der unübersichtlichen Gemengelage nicht gestärkt sehen. "Der Syrien-Konflikt geht jetzt bald ins fünfte Jahr", klagte der türkische Ministerpräsident. Sieben Millionen Syrer lebten inzwischen in der Türkei.
Die Konflikte im Nahen Osten bis hin zum Jemen werden von vielen NATO-Außenministern vor allem als innerarabische Konflikte wahrgenommen, als "Konfessionskriege" zwischen Sunniten und Schiiten. Da sollte sich der Westen, so gut es geht raushalten. "Wir starten nicht den nächsten Kreuzzug gegen irgendein muslimisches geprägtes Land", meinte ein NATO-Diplomat.
Einen konkreten Beschluss hatten die Minister wenigstens zu vermelden. Die Ausbildungs- und Unterstützungsmission für Afghanistan soll auch nach 2016 fortgesetzt werden. Die Truppenzahl soll gegenüber den heute 13000 stationierten Soldaten sinken. Die Mission soll dann von einem Zivilisten geleitet werden, kündigte NATO-Generalsekretär Stoltenberg an.