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PolitikAsien

Ankara riegelt seine Ostgrenze ab

Felat Bozarslan
20. August 2021

Nach dem Sieg der Taliban stellt sich Ankara auf eine Massenzuwanderung ein. An der Grenze zum Iran entsteht nun eine Mauer. "Sie wird den Zustrom nicht stoppen", sagt der Migrationsforscher Orhan Deniz im DW-Interview.

Prof. Dr. Orhan Deniz I Migration-Experte an der Yüzüncü Yıl Universität Türkei
Orhan DenizBild: privat

Die Machtergreifung der Taliban wird nicht nur Afghanistan von Grund auf verändern. Die gesamte Region wird die Auswirkungen des Machtwechsels spüren: Nachbarländer wie der Iran oder Pakistan bereiten sich auf massive Fluchtbewegungen vor. Auch die Türkei macht sich auf eine Masseneinwanderung gefasst und hat damit begonnen, eine Grenzmauer zum Iran hochzuziehen. Rechtzeitig vor der Ankunft afghanischer Flüchtlinge soll die iranisch-türkische Grenze dicht sein. Für die türkische Regierung hat ein Rennen gegen die Zeit begonnen - nach offiziellen Angaben sind bereits 150 Kilometer fertiggestellt.

Orhan Deniz ist Dekan der Yüzüncü Yil Universität in Van. Die ostanatolische Stadt gilt als Tor für Einwanderer, die überwiegend aus Afghanistan in die Türkei einreisen. Seit 25 Jahren forscht Deniz zur illegalen Einwanderung und zum Schleusergeschäft an der türkisch-iranischen Grenze. Im DW-Interview äußerte er sich skeptisch über den Nutzen einer Grenzmauer.

DW: Ist bereits festzustellen, dass sich afghanische Bürger nach der Machtergreifung der Taliban ins Ausland abgesetzt haben?

Orhan Deniz: Die Migration wurde durch die Rückkehr der Taliban und ihrem repressiven Regime in Gang gesetzt. Mit dem Siegeszug der Taliban wird eine neue Einwanderungswelle unumgänglich sein. Die Menschen in Afghanistan versuchen zwangsläufig, sich aus einer unsicheren Umgebung in eine sichere zu retten. Die Länder, die davon am stärksten betroffen sein werden, sind Pakistan und der Iran. Doch wir erwarten auch, dass einige der Einwanderer in die Türkei weiterziehen werden. Tatsächlich befindet sich die wichtigste Transitlinie - in Bezug auf irreguläre Migrantenströme -  in der Türkei. Die türkisch-iranische Grenze ist eine der wichtigen Migrationskorridore der Welt.

Im Eilverfahren errichtet die Türkei an der iranischen Grenze eine MauerBild: Mesut Varol/AA/picture alliance

Wann ist zu erwarten, dass die Wanderungsbewegung, die Sie gerade prognostiziert haben, die Türkei erreicht?  

Wir spüren die Auswirkungen der Einwanderungswelle durch die Machtergreifung der Taliban noch nicht, aber die Zeit wird kommen. Wir werden die Auswirkungen auf die Migration in 15 bis 20 Tagen sehen. Wenn die Taliban, wie versprochen, eine Generalamnestie aussprechen, wird das Ausmaß der Migration stark reduziert. Egal was passiert: Wir werden bis zu einem gewissen Grad betroffen sein - wenn auch nicht so sehr wie der Iran. Wenn es einen Zustrom von Einwanderern in den Iran gibt, wird er sich wahrscheinlich auch auf unsere Grenze auswirken.

Welche Maßnahmen hat die Türkei an ihren Grenzen ergriffen?

An der türkisch-iranischen Grenze wurde, wie wir wissen, schon einmal der Bau einer Mauer begonnen - sie wird zusätzlich mit Gräben und Drahtzäunen abgesichert werden. Darüber hinaus wurden weitere Maßnahmen ergriffen: Die Zahl der Wachtürme und Außenposten wurde erhöht. Auch werden Drohnen die Grenzlinie überwachen.

Glauben Sie, dass diese Vorkehrungen an der türkisch-iranischen Grenze die Einwanderung begrenzen kann?

Diese Maßnahmen werden nicht überall Wirkung zeigen, da das Grenzgebiet weitestgehend gebirgig ist. Im Winter wird es sehr schwierig sein, dieses Gebiet zu kontrollieren - die Grenze verläuft an manchen Stellen auf einer Höhe von mehr als zwei- oder sogar dreitausend Metern. Diese schwierigen natürlichen Bedingungen können einen Vorteil für Menschenschmuggler darstellen, weil die Grenzkontrolle dadurch erschwert wird - Nebel oder bewölktes Wetter bieten gute Bedingungen für eine illegale Einwanderung. Gleichzeitig ist die Einwanderung in so einem unwirtlichen Gebiet auch sehr gefährlich: Bei nebeligem Wetter oder bei Schneestürmen können sich Flüchtlinge verirren. Jedes Jahr werden nach der Schneeschmelze 40 bis 50 Einwanderer geborgen.

Afghanen warten nach ihrer Ankunft im türkischen Tatvan am Montag auf den Weitertransport durch SchlepperBild: Ozan Kose/AFP/Getty Images

Sind Sie also der Auffassung, dass die Grenzmauer, die zurzeit in hoher Geschwindigkeit an der iranischen Grenze errichtet wird, wirkungslos ist?

Beispiele für Mauern, wie an der iranischen Grenze, gibt sehr viel in der Welt - es gibt insgesamt 67 solcher Barrieren. Es wäre falsch, zu erwarten, dass bestehende oder neu gebaute Mauern den Zustrom von Einwanderern vollständig stoppen. Es gibt in der Welt einige Beispiele, wo die Mauer keine großen Auswirkungen zeigt. Sie hat zumindest eine psychologische Wirkung - die Erwartung jedoch, dass sie Einwanderung vollständig verhindert, stimmt so aber nicht.

Würde es andere Optionen geben, um die Grenze abzusichern?

Die Einwanderer werden sich die Gebiete aussuchen, wo keine Mauer steht und danach ihre Routen bestimmen. Und an vielen Stellen ist nicht die geeignete Topographie vorhanden, um eine Mauer zu bauen - es sind oft Gegenden mit sehr steilem Gelände. Zudem gibt es an der iranischen Grenze auch verminte Stellen. Nun ist gerade eine Minenräumung im Gange, um die Mauer bauen zu können. Dabei ist die abschreckende Wirkung durch Minen viel eher gegeben, als durch eine Mauer.

Was müsste also stattdessen getan werden, um irreguläre Migration zu verhindern?

Die Migrationskapazität der Türkei ist jetzt ausgeschöpft, sie quillt über. Es gibt rund sieben Millionen offizielle und inoffizielle Einwanderer in der Türkei - und das ist noch eine optimistische Zahl. Mit anderen Worten: Einer von elf Einwohnern in der Türkei ist ein Flüchtling. Es ist unvermeidlich, dass sich diese Einwanderer in Großstädten ansammeln, sich untereinander organisieren. Das führt zwangsläufig zu Konflikten und Spannungen mit den Einheimischen. Die sozialen Risiken und die Risiken für die Sicherheit sind dramatisch. Daher führt kein Weg daran vorbei, die Grenzen zu kontrollieren und die Einwanderung zu begrenzen. Es bedarf einer lautstarken Aussage von ganz oben, dass die Migrationskapazität der Türkei erschöpft sind, dass die Grenzen geschlossen sind und die Einreise verboten ist.

Aus dem Türkischen adaptiert von Daniel Derya Bellut

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