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Politik

Lübcke-Mord: Das Netz der rechten Terroristen

29. April 2020

Nach dem Mord an einem deutschen Politiker im Jahr 2019 werden jetzt zwei Männer angeklagt. Das Tatmotiv: rechtsextremer Hass auf politische Gegner. Sind es aber wirklich nur zwei Personen, die hinter der Tat stehen?

Deutschland Stephan E. in Karlsruhe
Juli 2019: Der Tatverdächtige wird nach dem Haftprüfungstermin beim Bundesgerichtshof zu einem Hubschrauber gebrachtBild: picture-alliance/dpa/U. Deck

Elf Monate nach dem Mord an dem Regierungspräsidenten von Kassel, Walter Lübcke, hat die Bundesanwaltschaft jetzt Anklage gegen den mutmaßlichen Täter Stephan E. erhoben. "Ausschlaggebend für die Tat war die von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit getragene völkisch-nationalistische Grundhaltung von Stephan E.", so die Ankläger in einer Presseerklärung. Der 46-Jährige soll außerdem bereits Jahre zuvor versucht haben, einen geflüchteten Iraker hinterrücks zu erstechen - aus demselben Motiv. Seinem mutmaßlichen Komplizen Markus H. wirft die Bundesanwaltschaft Beihilfe zum Mord vor. Der Christdemokrat Walter Lübcke war im Juni 2019 vor seinem Haus erschossen worden.

Trauergottesdienst für den ermordeten CDU-Politiker Walter Lübcke im Juni 2019Bild: picture-alliance/dpa/S. Pförtner

Der Mord an Walter Lübcke ist im politischen Deutschland mehr als nur ein Mord. Es geht in diesem spektakulären Fall nicht nur um einen mutmaßlichen Täter und seinen mutmaßlichen Helfer: es geht um deutsche Zustände. Denn das Opfer war ein entschlossener Unterstützer der Flüchtlingspolitik von Angela Merkel. Walter Lübcke kämpfte als Kommunalpolitiker in seiner Region Kassel seit 2015 an der Seite der Bundeskanzlerin für die Aufnahme hilfsbedürftiger Menschen aus Syrien. Dafür haben ihn viele Bürger unterstützt. Und einige gehasst. Der mutmaßliche Täter Stephan E. gehört zu letzteren. Laut Anklage beschloss er, Walter Lübcke zu töten. Denn die Hassparolen in den Sozialen Medien gegen die Flüchtlingspolitik sollen ihm nicht gereicht haben. Sein Motto: "Taten statt Worte" - das Motto vieler rechter Terroristen.

Inlandsgeheimdienst nennt AfD "geistige Brandstifter"

Dieser Mord zog weite Kreise. Der Inlandsgeheimdienst brachte ihn sogar mit einer ganzen Partei in Verbindung, der "Alternative für Deutschland", kurz AfD, die mit rassistischen, flüchtlings- und islamfeindlichen Parolen lautstark die deutsche Politik aufmischt. Der Nachrichtendienst nennt Teile der AfD rechtsextrem und "geistige Brandstifter". Sie bilde den Nährboden für reale Gewalt. So auch im Fall Walter Lübcke. Aber was heißt das konkret für die juristische Aufarbeitung des Mordes an Walter Lübcke: wie groß ist das Netz des mutmaßlichen Täters am Ende wirklich?

Die Staatsanwälte des Generalbundesanwalts klagen jetzt also zwei Männer an. Stephan E soll der Täter sein. Die Staatsanwälte sagen: In einer Sommernacht 2019 fährt er mit dem Auto zum Haus des Politikers Walter Lübcke. Als der auf seiner Terrasse eine Zigarette raucht, erschießt Stephan E. ihn. Später gesteht er die Tat. Und dass er einen Helfer hatte, der ihm die Tatwaffe besorgt. Auch er wird jetzt angeklagt. Stephan E. ist zum Tatzeitpunkt bereits mehrfach vorbestraft und seit vielen Jahren fest in der rechtsextremen Szene verankert. In einem Waffendepot bunkerte er neben Pistolen auch eine Maschinenpistole und eine Pump-Gun.

Nach dem Lübcke-Mord: Demonstration gegen rechte Gewalt in BerlinBild: picture-alliance/dpa/C. Soeder

Stephan E. gesteht die Tat, widerruft aber später. Er nennt sich einen Einzeltäter. Gleichzeitig recherchieren antifaschistische Gruppen und Journalisten immer mehr Kontakte und Verbindungen in die rechte Szene. Die unabhängige Rechercheplattform EXIF stößt auf zahlreiche Verbindungen zwischen Stephan E. und organisierten Neonazis. Gemeinsam mit seinem mutmaßlichen Helfer Markus H. nimmt er im Laufe der Jahre an zahlreichen rechtsextremen Aufmärschen teil. Er hat Kontakt zu Mitgliedern der "Kampfgruppe Adolf Hitler", Combat 18. Kurz: er ist eine zentrale Figur in der gewaltbereiten rechten Szene seiner Region. Nach seiner Festnahme findet die Polizei bei ihm sogenannte "Feindeslisten", in denen er mögliche Ziele für Anschläge gesammelt hat.

Parallelen zum "Nationalsozialistischen Untergrund"

An dieser Stelle kommt eine der brisantesten Verbindungen ins Spiel: der Inlandsgeheimdienst des Bundeslandes Hessen und sein Mitarbeiter Andreas Temme. Der ist der Kontaktmann der Sicherheitsbehörde in die Kasseler Neonazi-Szene. Und laut offiziellen Angaben war er mit Stephan E. befasst. Der Kontakt ist deswegen so brisant, weil Temme in einen der spektakulärsten deutschen Kriminalfälle verwickelt ist: der rassistischen Mordserie des selbsternannten "Nationalsozialistischen Untergrund". Die Mörderbande hatte im Jahr 2006 auch einen jungen Mann in Kassel ermordet: Halit Yozgat wurde in seinem Internetcafé aus nächster Nähe erschossen. Am hellichten Tag. Alle Anwesenden im Café hörten die Schüsse. Nur ein Zeuge nicht: Andreas Temme. Der Verbindungsmann will lediglich privat in dem Internetcafé gesurft haben. Später finden die Ermittler Abschriften von Adolf Hitlers "Mein Kampf" bei ihm. Seine Aussagen sind widersprüchlich und hanebüchen. Experten widerlegen sie größtenteils. Aber die hessische Regierung sperrt die Akten zum Fall für Jahrzehnte.

Der Mord an dem Politiker Walter Lübcke weist einige Ähnlichkeiten zum Mord an Halit Yozgat auf. Beide wurden aus nächster Nähe erschossen. In beiden Fällen gibt es kein Bekennerschreiben. Und es gibt laut Rechercheplattform EXIF neben dem Geheimdienstmann Temme eine weitere Verbindung: der mutmaßliche Helfer Markus H. taucht auch im Zusammenhang mit dem Mord an Halit Yozgat auf. Die Polizei wurde auf ihn aufmerksam, weil er auffällig häufig die Internetseiten zum damaligen Ermittlungsstand aufgerufen hatte. Am Ende notierte die Polizei zur Vernehmung: "Nicht weiter relevant".

Der Prozess im Mordfall Walter Lübcke kann nach der Anklageerhebung demnächst beginnen. Aber Beobachter bezweifeln schon im Vorfeld, dass er wirklich Klarheit über die Netzwerke hinter dem Täter bringen wird. Dazu würde die Anklage zu kurz greifen. Zahlreiche Opferverbände und zivilgesellschaftliche Beobachter fürchten: mit der Anklage wolle der Staat einen reibungslosen Prozess organisieren. Die volle Wahrheit über die Hintergründe könnte dabei aber auf der Strecke bleiben.

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