1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Anklage wegen Völkermord in Myanmar unwahrscheinlich

Verena Hölzl aus Yangon
11. September 2018

Der internationale diplomatische Druck auf Myanmars Generäle wegen der Gewalt gegen die Rohingya-Volksgruppe wächst. Der Vorwurf des Völkermords steht im Raum. Dennoch müssen sie so bald keine Bestrafung fürchten.

Myanmar Soldaten in Rakhine
Bild: Getty Images/AFP

Der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag (ICC) hatte sich vergangenen Woche prinzipiell für zuständig erklärt, eine Anklage gegen Angehörige des Militärs Myanmars wegen der massenhaften Vertreibung von Angehörigen der Rohingya-Volksgruppe im vergangenen Jahr einzuleiten. Bei diesen Vertreibungen handele sich möglicherweise um Verbrechen gegen die Menschlichkeit, so die Begründung des Gerichts.

Nun hat die neue UN-Menschenrechtskommissarin Michelle Bachelet dem ICC Unterstützung zugesichert: Ein "unabhängiger internationaler Mechanismus für Myanmar" soll – analog zu dem bereits eingerichteten Mechanismus  zur Untersuchung von Kriegsverbrechen in Syrien - Beweise für Verbrechen des Militärs Myanmars "sammeln, bewahren und analysieren." Damit sollen die einleitenden Untersuchungen des ICC unterstützt werden, sagte Bachelet in ihrer  ersten Rede vor dem UN-Menschenrechtsrat.

Auch Myanmars Armeechef Min Aung Hlaing müsste sich laut einem Expertenbericht der UN Völkermordvorwürfen stellen Bild: picture-alliance/dpa/V. Savitsky

Myanmar kooperiert nicht mit dem ICC

"Das Gericht hat ein deutliches Signal an Myanmars Generäle gesendet, dass sie sich darauf gefasst machen müssen, zur Rechenschaft gezogen zu werden", sagte Biraj Patnaik, Südasien-Direktor von Amnesty International. Doch wie wahrscheinlich ist es, dass es dazu kommt? Chefanklägerin Fatou Bensouda hat nach der Entscheidung die Möglichkeit, Vorermittlungen aufzunehmen, durch die es zu einer formellen Anklage kommen kann. Aber dass Militärangehörige Myanmars wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder Kriegsverbrechen oder gar wegen Völkermordes verurteilt werden und dann auch tatsächlich ihre Strafe abbüßen, ist sehr unwahrscheinlich.

Dafür gibt es verschiedene Gründe. Zum einen ist das Haager Tribunal bei seinen Ermittlungen in der Regel auf die Kooperation der Länder angewiesen, in denen sich die Verbrechen zugetragen haben. Myanmar hat den Internationalen Strafgerichtshof nicht anerkannt, damit also signalisiert, dass es nicht kooperiert. Offiziell wurde die Entscheidung des Strafgerichtshofs von der Führung Myanmars als "Ergebnis eines fehlerhaften Verfahrens" bezeichnet und sei außerdem "von fragwürdigem juristischem Wert."

Anklage zunächst nur im Zusammenhang mit den Vertreibungen nach Bangladesch möglichBild: CARE/J. Bose

Völkermord-Vorwurf vom Verfahren ausgeschlossen

Bangladesch hingegen, wohin rund 700.000 Rohingya vor dem Militär Myanmars geflohen sind, hat den ICC anerkannt. Myanmars Generäle könnten deshalb zunächst nur wegen Vertreibung und Verfolgung angeklagt werden, eben weil diese Tatbestände auch das Nachbarland Bangladesch betreffen. Alles, was sich auf dem Staatsgebiet Myanmars zugetragen hat, ist also zunächst von den Untersuchungen des ICC ausgeschlossen, wie Adama Dieng, UN-Sonderberater für die Prävention von Völkermord, bestätigt. Dazu gehört folglich auch der Völkermord an den Rohingya, den eine UN-Untersuchungskommission Ende August sechs birmanischen Kommandeuren in einem Bericht vorgeworfen hat.

Menschenrechtsgruppen fordern außerdem, Myanmars Generäle auch wegen Kriegsverbrechen in anderen Minderheitengebieten zu belangen. Die Untersuchungskommission der UN hatte in ihrem Bericht Verbrechen gegen die  Kachin- und Shan-Minderheit herausgestellt. Eine vollumfängliche Untersuchung, die den Völkermord-Vorwurf und Verbrechen gegen andere Minderheiten umfasst, wäre erst dann möglich, wenn der UN-Sicherheitsrat die Situation in Myanmar an den ICC verwiese. Hierin besteht eine weitere Hürde vor einer Strafverfolgung der Militärs. Ein Veto durch Russland und vor allem China, das enge strategisch-wirtschaftlichen Verflechtungen mit dem südlichen Nachbarn hat, wäre nicht überraschend. 

Zu viel versprochen? Der damalige UN-Generalsekretär Kofi Annan bei der Gründung des Internationalen Strafgerichtshofes 1998 in Rom Bild: picture-alliance/dpa/L. Del Castillo

Geringe praktische Auswirkungen von Gerichtsentscheidungen

Selbst wenn es nur zu einer Anklage gegen Armeeangehörigen Myanmars im Zusammenhang mit den Vertreibungen käme, bedeutete das nicht unbedingt, dass diese auch vor dem ICC in Den Haag erscheinen würden. 2008 etwa klagte das Gericht Omar al-Bashir, den nach wie vor amtierenden Präsidenten von Sudan, unter anderem wegen Völkermord in Darfur an. Al-Bashir reist seit Jahren frei durch den afrikanischen Kontinent, ohne Verhaftung befürchten zu müssen. Viele Kritiker bemängeln außerdem die langwierigen Verfahren. Von den 26 Fällen, die seither verhandelt wurden, sind nur vier Personen verurteilt worden. Bis zum ersten Schuldspruch, der Verurteilung des kongolesischen Milizenführers Thomas Lubanga, vergingen zehn Jahre.

Und nicht immer schaden Verfahren vor dem Internationalen Strafgerichtshof den Angeklagten. In Kenia soll Uhuru Kenyatta Ausschreitungen nach den Wahlen von 2007 angezettelt haben, die mindestens 1300 Tote forderten. Der Internationale Strafgerichtshof erhob Anklage wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit. "Niemand sagt uns Kenianern was wir zu tun haben", sagte er in Den Haag stolz. 2013 wählten ihn die Kenianer zu ihrem Präsidenten.

Der ehemalige UN-Generalsekretär Kofi Annan bezeichnete die Etablierung des Internationalen Strafgerichtshof einst als "einen großen Schritt in Richtung einer universellen Garantie von Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit." Das Tribunal sei ein Geschenk der Hoffnung für künftige Generationen. Von einer Garantie hingegen war und kann nicht die Rede sein.

 

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen