Annalena Baerbock übernimmt Leitung der UN-Vollversammlung
Veröffentlicht 2. Juni 2025Zuletzt aktualisiert 2. Juni 2025
Lange war Annalena Baerbock nicht weg von der großen internationalen Bühne: Bis Anfang Mai, als Friedrich Merz (CDU) zum neuen Bundeskanzler gewählt wurde, war die 44 Jahre alte Grünen-Politikerin noch Außenministerin Deutschlands, wenn auch zuletzt nur geschäftsführend. Jetzt, etwas mehr als drei Wochen später, wurde sie in New York zur neuen Präsidentin der Vollversammlung der Vereinten Nationen (UN) gewählt. Allerdings nicht wie üblich einstimmig per Akklamation, sondern in einer geheimen Abstimmung. Die hatte - nach Angaben von Diplomaten - Russland verlangt. Eine kleine Gemeinheit aus Moskau. Als Ministerin hatte Baerbock den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine stets heftig und offen kritisiert. Am Ende erhielt sie 167 von 193 möglichen Stimmen in New York.
Ein Jahr lang wird die frühere Parteivorsitzende und Kanzlerkandidatin ihrer Partei die Treffen in New York leiten und vorbereiten. Kein besonders renommierter Posten, denn er erfordert viele Gespräche hinter verschlossenen Türen über Themen, die in der Vollversammlung besprochen werden sollen.
Aber im nächsten Jahr wird ein neuer Generalsekretär der Vereinten Nationen gewählt, und Baerbock wird auch diese Wahl mit vorbereiten, in Zusammenarbeit mit den UN-Botschaftern der 193 Mitgliedstaaten. Der bisherige Generalsekretär António Guterres ist bis Ende 2026 im Amt. Im September dieses Jahres wird Baerbock offiziell in ihr neues Amt eingeführt.
Noch von der alten Regierung vorgeschlagen
Im März wurde bekannt, dass die alte Minderheits-Regierung aus Sozialdemokraten und Grünen Baerbock für den Job in New York vorgeschlagen hatte. Es war schon länger bekannt, dass dieser Posten der westeuropäischen Staatengruppe zusteht und Deutschland einen Kandidaten dafür vorschlagen darf.
Der damalige Regierungssprecher Steffen Hebestreit sagte Ende März in Berlin, Baerbock sei "hochqualifiziert für den Job". Die Personalie sei auch mit der künftigen Regierung abgesprochen worden, also mit Friedrich Merz als baldigem Bundeskanzler.
Merz befand sich zu der Zeit in Koalitionsgesprächen mit der SPD. Baerbock selbst sagte damals in Berlin: "Als Präsidentin, sollte ich gewählt werden, werde ich allen 193 Mitgliedstaaten dienen, großen wie kleinen. Als ehrliche Vermittlerin. Als einende Kraft. Mit offenem Ohr. Und offener Tür."
Baerbock: Die Charta der Vereinten Nationen hochhalten
Ende April reiste Baerbock dann ein letztes Mal als deutsche Außenministerin ins Ausland, auf die dänische Insel Bornholm. Dort sagte sie im Gespräch mit mehreren Journalisten über ihre mögliche neue Rolle, auf die sich sichtbar freute: "Wir sind in einer Situation, in der uns so bewusst ist wie selten zuvor, wie wichtig unsere Verfassung, das Grundgesetz, die europäische Friedensordnung, die Charta der Vereinten Nationen sind." 80 Jahre gebe es die Vereinten Nationen, und ihre Werte müssten jeden Tag verteidigt und hochgehalten werden.
Eigentlich war Helga Schmid für den Posten vorgesehen
Allerdings verlief die Vergabe des Postens alles andere als geräuschlos: Denn eigentlich hatte Deutschland die viel geachtete Diplomatin Helga Schmid für den Job in New York vorgesehen. Schmid, 1960 geboren, hat im Auswärtigen Amt eine Bilderbuchkarriere hingelegt. Sie war unter anderem Büroleiterin des früheren Außenministers Joschka Fischer, der von 1998 bis 2005 im Amt war - und ebenfalls von den Grünen kam. Später galt sie als eine der Hauptautorinnen der Atomvereinbarung der EU und weiterer Staaten mit dem Iran, die 2015 erfolgreich abgeschlossen, später aber von US-Präsident Donald Trump in seiner ersten Amtszeit aufgekündigt wurde.
Heftige Kritik an Baerbock von Christoph Heusgen
Die plötzliche Nominierung Baerbocks rief umgehend irritierte Reaktionen hervor. Kritisch gesehen wurde auch, dass die geschäftsführende Ampelregierung den Posten im Eiltempo vergab.
Der frühere Vorsitzende der "Münchner Sicherheitskonferenz" (MSC), Christoph Heusgen, sagte in einem Interview mit dem Berliner "Tagesspiegel", es sei "eine Unverschämtheit, die beste und international erfahrenste deutsche Diplomatin durch ein Auslaufmodell zu ersetzen". Helga Schmid habe zuletzt die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) als Generalsekretärin "vor dem Auseinanderfallen geschützt", so Heusgen, der einige Jahre außen- und sicherheitspolitischer Berater der früheren Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) war.
Auch der frühere deutsche Außenminister Sigmar Gabriel (SPD), nannte Helga Schmid eine "großartige Diplomatin", von der Baerbock viel lernen könne.
Baerbock wirbt mit ihren Kontakten im Nahen Osten
Annalena Baerbock selber brachte dann später auf Bornholm gerade ihre Zeit als Deutschlands Außenministerin, vom Dezember 2021 bis zum Mai dieses Jahres, als Vorteil ins Gespräch: "Ich war als Außenministerin sehr viel in der Welt unterwegs. Auch in Regionen, die etwas weiter weg sind, oder im Nahen Osten. Das hätte ich mir bei meinem Amtsantritt auch nicht denken können, dass ich einige Golf-Staaten und arabische Länder öfters besuche als europäische EU-Partner, aufgrund der herausfordernden Situation im Nahen Osten. Das schafft auch mit diesen Ländern nochmal intensivere Verbindungen."
Eine nimmermüde Reise-Diplomatin
Tatsächlich war Baerbock in ihrer Zeit als Ministerin mit so vielen internationalen Baustellen befasst wie kaum einer ihrer Vorgänger: Immer wieder besuchte sie die Ukraine, warb stärker noch als der damalige Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) für westliche Waffenlieferungen, kritisierte das angreifende Russland offen und klar. Und immer wieder versuchte sie nach dem Ausbruch des Gaza-Krieges im Oktober 2023, mäßigend auf die israelische Regierung bei ihrem Vorgehen im Konflikt einzuwirken, allerdings mit wenig Erfolg.
Umzug nach New York ohne Bundestagsmandat
Aber Baerbock erwarb sich den Ruf einer nimmermüden Diplomatin, die bei allen Problemen ihr Betätigungsfeld gefunden hatte. Und so wird sie hoffen, den Ein-Jahres-Job in New York nutzen zu können: als Sprungbett für neue Aufgaben. Sie will deshalb - dem Vernehmen nach - auch ihr Bundestagsmandat niederlegen und in die US-Metropole umziehen.