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TerrorismusDeutschland

Anschlag von Magdeburg: Welche Warnungen gab es im Vorfeld?

David Ehl mit Agenturen
23. Dezember 2024

Schon vor seiner Amokfahrt auf dem Magdeburger Weihnachtsmarkt war Taleb A. kein Unbekannter. Die deutschen Behörden hatten Hinweise unter anderem aus Saudi-Arabien erhalten und ihm ein Gefährderanschreiben geschickt.

Deutschland, Magdeburg | Weihnachtsmarkt spiegelt sich in Pfütze nach tödlicher Autoattacke
In stiller Erschütterung: der Magdeburger Weihnachtsmarkt ist geschlossen und bis auf wenige Sicherheitskräfte menschenleerBild: Klaus-Dietmar Gabbert/dpa/picture alliance

Zum Entsetzen über die Todesfahrt auf dem Magdeburger Weihnachtsmarkt mischt sich zunehmend die Frage: Warum ist es den deutschen Behörden nicht gelungen, die Tat zu verhindern? Taleb A. hatte am Freitagabend ein gemietetes Auto hunderte Meter weit durch das Gedränge gesteuert - fünf Menschen sind tot, 235 wurden verletzt. Direkt danach wurde er festgesetzt und inzwischen inhaftiert. Schon wenige Stunden danach gerieten erste Details über den 50-Jährigen an die Öffentlichkeit, die zeigen: Der Mann aus Saudi-Arabien war kein Unbekannter. Und viele Details werfen Fragen auf - etwa an der Qualifikation des psychiatrischen Facharztes. Ein Überblick über die wichtigsten Warnungen.

Mehrere Hinweise aus Saudi-Arabien

Taleb A. war 2006 nach Deutschland gekommen. Zehn Jahre später stellte er einen Asylantrag aufgrund politischer Verfolgung in seinem Heimatland Saudi-Arabien, der wenige Monate später auch bewilligt wurde. Die saudischen Behörden hatten A. offensichtlich weiter auf dem Schirm: Im Vorfeld der Magdeburger Todesfahrt schickten sie mehrere Warnungen nach Deutschland. Laut einem Bericht des britischen Rundfunks BBC ergingen drei sogenannte Verbalnoten an deutsche Geheimdienste und eine weitere an das Auswärtige Amt, in denen von extremistischen Einstellungen A.s die Rede war.

Saudi-Arabien will den deutschen Ermittlern nun weiteres Material zur Verfügung stellen. Das Königreich ist trotz Defiziten im Bereich der Menschenrechte für Deutschland ein politisch und wirtschaftlich wichtiger Partner.

Nach einem dieser Hinweise leitete das Bundeskriminalamt (BKA) im November 2023 ein Ermittlungsverfahren ein. Der Präsident der auf Bundesebene tätigen Ermittlungsbehörde, Holger Münch, räumte im öffentlich-rechtlichen Fernsehsender ZDF ein, die Sache sei unspezifisch gewesen. "Er hat auch verschiedene Behördenkontakte gehabt, Beleidigungen, auch mal Drohungen ausgesprochen. Er war aber nicht bekannt, was Gewalthandlungen angeht", sagte Münch.

"Kein schlechtes Gewissen"

Auch die Polizei im mitteldeutschen Bundesland Sachsen-Anhalt, in dem A. wohnte, hatte ihn auf dem Radar. Der öffentlich-rechtliche Sender MDR berichtete über ein sogenanntes Gefährderanschreiben der Polizei Magdeburg, das ihm zugestellt worden sei, nachdem Beamte ihn nicht persönlich angetroffen hätten. Deutsche Ermittlungsbehörden nutzen den Arbeitsbegriff "Gefährder" für Personen, von denen möglicherweise eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit ausgeht. Im juristischen Kontext hat er keine Bewandtnis.

Nur wenige Augenblicke nach der tödlichen Amokfahrt nahmen Polizisten Taleb A. (links am Boden, neben dem beschädigten Tatfahrzeug) festBild: TNN/dpa/picture alliance

A. wurde ermahnt, weil er der Kölner Staatsanwaltschaft im August 2023 eine E-Mail geschickt hatte, in der der Satz fiel: "Daher habe ich kein schlechtes Gewissen für die Ereignisse, die in den nächsten Tagen passieren werden (...)." Aus Sicht der Magdeburger Polizei war das eine abstrakte Drohung. Sie forderten A. auf, solche Aussagen in Zukunft zu unterlassen.

Tat mit "internationaler Beachtung" angedroht

Wie inzwischen bekannt wurde, erfuhr das BKA jedoch schon etliche Jahre früher von ähnlichen Aussagen A.s: 2015 gaben Beamte aus dem nordostdeutschen Bundesland Mecklenburg-Vorpommern einen entsprechenden Hinweis weiter. A. hatte dort Teile seiner Facharzt-Ausbildung absolviert und war mit der Landesärztekammer in Streit über die Anerkennung von Prüfungsleistungen geraten. Er drohte eine Tat an, die "internationale Beachtung" finden würde und erwähnte in dem Zusammenhang den kurz zuvor verübten Anschlag auf den Boston-Marathon. Weil er der Kammer gedroht hatte, wurde Taleb A. 2013 zu einer Geldstrafe verurteilt.

Damals habe es auch eine Wohnungsdurchsuchung gegeben, sagte nun der aktuelle Landesinnenminister Christian Pegel bei einer Pressekonferenz. Hinweise auf konkrete Anschlagspläne habe es damals nicht gegeben. Laut einem Bericht der "Süddeutschen Zeitung" erfolgte 2014 in Mecklenburg-Vorpommern eine Gefährderansprache - bei der A. auch angetroffen worden sei.

Mehrere Warnhinweise über soziale Netzwerke

Taleb A. beteiligte sich rege am öffentlichen Diskurs, immer wieder auch mit islamophoben und radikalen Aussagen. Er bemühte sich aktiv um Interviews bei etablierten Medien - dazu nahm er auch Kontakt mit der DW auf - und betrieb einen X-Account mit zuletzt mehr als 40.000 Followern. Der früheren Bundeskanzlerin Angela Merkel, die im Flüchtlings-Sommer 2015 eine Abriegelung der deutschen Grenzen ablehnte, wünschte A. in einem Posting den Tod für ihr "kriminelles Geheimprojekt, Europa zu islamisieren". Positiv äußerte er sich zuletzt hingegen über die in Teilen als rechtsextrem eingestufte Oppositionspartei AfD sowie den libertären US-Multimillionär Elon Musk.

Mehrere Nutzer meldeten einzelne Posts - allerdings offenbar nicht immer bei den richtigen Stellen. So wurde im Spätsommer 2023 nach eigenen Angaben das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge eingeschaltet. Es teilte nun mit: "Da das Bundesamt keine Ermittlungsbehörde ist, wurde die hinweisgebende Person, wie in solchen Fällen üblich, direkt an die verantwortlichen Behörden verwiesen."

Warum blieben Warnungen folgenlos?

Zuletzt stand Taleb A. auch als Angeklagter im Fokus mehrerer Gerichtsverfahren: In Berlin wurde er wegen Missbrauchs von Notrufnummern zu einer Geldstrafe verurteilt. Mehrere in der Flüchtlingshilfe tätige Personen warfen ihm zudem Verleumdung vor, weil er sie "seit Jahren terrorisiert" habe. In dem Prozess sagte er im Oktober 2024, er wolle Europa vor der Islamisierung retten, wozu die deutschen Gerichte nicht in der Lage seien.

In Summe werfen alle Hinweise, Warnungen und persönlichen Aussagen von Taleb A. die Frage auf, ob die Sicherheitsbehörden schon vor der Tat in Magdeburg weitere Schritte unternehmen hätten müssen.

BKA-Chef Holger Münch muss erklären, warum Taleb A. durch das Raster der Ermittler gefallen ist (Archivbild)Bild: Kay Nietfeld/dpa/picture alliance

Der Terrorismusexperte Peter Neumann vom Londoner King's College sagte dem ZDF, A. passe nicht so richtig in die gängigen Schemata der Behörden hinein. BKA-Chef Münch sprach von einem "untypischen Täter". Und auch der Leitende Oberstaatsanwalt von Magdeburg, Horst Walter Nopens, sagte, vor einem Jahr sei zwar ein Verfahren gegen den Mann gelaufen. Aber: "Wir hatten den jetzt nicht im Fokus, dass der solche Straftaten begeht dieser Art und Güte."