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Kunst

Anselm Kiefer in Paris: "Für Paul Celan"

22. Dezember 2021

Auf persönlichen Wunsch des französischen Präsidenten Macron zeigt Anselm Kiefer im Pariser Grand Palais Ephémère Monumentalwerke zur Dichtung Paul Celans.

Mehrere große Gemälde Anselm Kiefers stehen im Pariser Grand Palais Ephémère
Erstmals stellt ein Künstler im Pariser Grand Palais Ephémère seine Werke aus - Anselm Kiefer widmet die Ausstellung dem Dichter Paul Celan Bild: Sabine Glaubitz/picture alliance/dpa

Die Franzosen lieben ihn, und er liebt die Franzosen: Seit 1992 lebt Anselm Kiefer in Frankreich, wenn er nicht gerade auf Reisen ist. In seiner Wahlheimat gilt er als der französischste aller deutschen Künstler. 2011 wurde er wurde vom damaligen Kulturminister Frédéric Mitterand mit dem "Ordre des arts et lettres" (deutsch: Orden für Künste und Literatur) ausgezeichnet. 2015/2016 widmete das Centre Pompidou ihm eine große Retrospektive, und 2020  wurden Kunstwerke von ihm im Panthéon, dem Ruhmestempel für Frankreichs große Männer und Frauen, eingeweiht - die erste Auftragsarbeit an diesem illustren Ort seit 100 Jahren. Seither gilt Anselm Kiefer auch als französischer Staatskünstler.

Kiefer ist auch der erklärte Lieblingskünstler des amtierenden französischen Präsidenten, die beiden sollen sich sogar schon duzen. Und so hat Emmanuel Macron den 76-jährigen Maler und Bildhauer persönlich dazu eingeladen, seine monumentalen Werke im Pariser Event-Gebäude Grand Palais Ephémère auszustellen. Titel der Schau: "Pour Paul Celan" - "für Paul Celan".

Gute Freunde: der deutsche Künstler und der französische Präsident Bild: Ludovic Marin/AP Photo/picture alliance

Der Dichter, dem die Hommage gilt, war genau wie Kiefer ein deutsch-französischen Grenzgänger. Beide Männer fanden in Frankreich eine zweite Heimat, und beide eint die lebenslange Auseinandersetzung mit den Gräueltaten des Dritten Reichs.

Traumata der Vergangenheit

Celan, 1920 im damaligen Rumänien in einer deutschsprachigen jüdischen Familie geboren, und seine Eltern wurden 1942 von den Nazis in ein Ghetto umgesiedelt. Sein Vater starb in einem Zwangsarbeiterlager, seine Mutter wurde erschossen. Zeit seines Lebens machte Paul Celan sich Vorwürfe, seine Eltern im Stich gelassen zu haben - seine Gedichte spiegeln das Trauma des Überlebenden wider.

Anselm Kiefer erblickte im März 1945, zwei Monate vor der offiziellen Kapitulation Deutschlands, im schwäbischen Donaueschingen das Licht der Welt. Und obwohl er selbst nicht den Krieg miterleben musste, setzt er sich schon sein ganzes Künstlerleben lang mit der Nazivergangenheit der Deutschen auseinander und bannt die Schrecken dieser Zeit auf seine monumentalen Leinwände. Die Verse Celans sind für ihn eine unerschöpfliche Inspirationsquelle, seit er als Jugendlicher dessen Gedicht "Todesfuge" über die systematische Vernichtung der Juden las.

Hommage an Paul Celan

Paul Celan auf einem Passfoto von 1938 - lange bevor die Nazis ihn ins Ghetto deportiertenBild: Public Domain

Jetzt also hat Kiefer den lyrischen Werken Celans, der 1948 nach Paris übersiedelte, einen ganzen Gemäldezyklus gewidmet. In sein Tagebuch, das er während der Vorbereitung für die Ausstellung im Grand Palais Éphémère führte, schrieb er: "Celan betrachtet nicht nur einfach die Leere, er hat sie erfahren, erlebt, durchdrungen. (...) Die Sprache von Paul Celan kommt von so weit her, aus einer ganz anderen Welt, die wir bis jetzt noch nicht betreten haben, sie wirkt auf uns wie die eines Außerirdischen. Es fällt uns schwer, sie zu verstehen, wir verstehen nur hier und da mal einen Bruchteil. Wir versuchen es, ohne je das große Ganze erfassen zu können. Ich habe es in aller Demut sechzig Jahre lang versucht. Nun schreibe ich sie auf meine Bilder, ein Unterfangen, dem ich mich widme wie einem Ritual."

Kunst mit Monumentalcharakter

Und Kiefer braucht Platz, wenn er seinem Ritual huldigt. Er ist kein Mann des Klein-Klein, seine Werke haben Monumentalcharakter. Nachdem er sich 1992 im südfranzösischen Örtchen Barjac auf dem 25 Hektar großen Gelände einer ehemaligen Seidenweberei niedergelassen hatte, baute er dort Häuser, die als "Behälter einer Werke" dienten. 2007 gab er sein Atelier  auf und siedelte in die ausgedienten Lagerhallen eines Kaufhauses vor den Toren von Paris um; hier nennt er 60.000 Quadratmeter sein eigen, auf denen die Kunst sich im wahrsten Sinne des Wortes ganz groß präsentieren kann.

Ein Bunker aus der deutschen Grenzbefestigung im Zweiten Weltkrieg: Kiefer hat ihn mit Mohn gespickt: "Für Paul Celan - Mohn und Gedächtnis" Bild: Sabine Glaubitz/picture alliance/dpa

Denn Kiefers Gemälde sind riesig, auch in der "Pour Paul Celan"-Schau messen sie bis zu 4 mal 13 Meter. 23 an der Zahl sind es, die er im Grand Palais Éphémère in Paris gegenüber vom Eiffelturm auf 10.000 Quadratmetern ausgestellt sind. Es ist ein Übergangsbau, der während der Renovierung des eigent­lichen Grand Palais als Ausstellungsfläche dient. Später, im Jahre 2024, soll er als Austragungsstätte für die Judo- und Ringwettkämpfe bei den Olympischen Spiele dienen.

"Wie soll das gehen, Celan in einer Räumlichkeit, die für die Olympischen Spiele gebaut wurde? Ist das nicht geradezu unmöglich, ja lästerlich?", machte sich Kiefer in seinem Tagesbuch Gedanken über den Ort der Ausstellung - nachzulesen Im Katalog zur Schau. Und weiter: "Deine großen Gemälde, in denen du Celan zitierst: Ist das nicht so, als würdest du Celan auf einer Litfaßsäule plakatieren? Solltest du die Bilder nicht lieber anzünden und in aller Öffentlichkeit die Asche verbrennen?"

Apokalyptisches Szenario 

Kiefer hat sie nicht verbrannt, sondern das Grand Palais Éphémère in den Schauplatz einer Kunst-Apokalypse verwandelt. Man muss den Blick wandern lassen, um die gigantischen Leinwände in ihrer vollen Pracht zu erfassen. Sonnenblumen, Farne und viel Blei sind  beherrschende Elemente, Krieg, Holocaust und die deutsche Schuld die immer wiederkehrende Motive in Kiefers Kunst.

Mit Kreide hat der Künstler Zeilen aus Paul Celans Versen auf die Gemälde aufgetragen. Sie tragen Titel wie "Aus Herzen und Hirnen sprießen die Halme der Nacht", "Denk dir - die Moorsoldaten" oder "Auf der Klippe - für Paul Celan". 

Der Ausstellungskatalog zitiert angesichts dieser imposanten Bilderwelt den Filmemacher Alexander Kluge. Kiefers Gemälde hauchten den Versen Celans Leben ein, sagt er: "Sie kommentieren sie, und im Gegenzug erfüllen die Texte des Poeten die Gemälde mit Kraft." 

Sie beschwören aber auch ein Europa des Grauens herauf, das die Besucher frösteln und "Nie wieder" denken lässt. Eine kleine Fußnote am Rande der Schau: Keinen Kilometer entfernt stürzte Celan sich am 20. April 1970 von einer Brücke in die Seine. Vermutlich war es Selbstmord. Die Vergangenheit hat ihn nie losgelassen.

Die Ausstellung Anselm Kiefer: "Pour Paul Celan" läuft noch bis zum 11. Januar 2022 im Grand Palais Éphémère in Paris.

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