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Bauen unter Extrembedingungen

Silke Bartlick17. Oktober 2013

Vor kurzem hat eine neue indische Forschungsstation in der Antarktis ihren Betrieb aufgenommen. Entwickelt wurde sie von einem deutschen Team. Die Herausforderungen waren immens.

Die indische Forschungsstation Bharati in der Antarktis, die von einem deutschen Team entwickelt wurde (Bild: NCAOR)
Bild: NCAOR

Der arktische Sommer ist kurz. Maximal vier Monate scheint die Sonne. Dann steigen die Temperaturen auf erträgliche Minusgrade um die zehn Grad, es schneit seltener, der Wind flaut ab. Nur in diesem Zeitraum kann man den entlegenen Kontinent erreichen, per Schiff oder von Südafrika aus mit russischen Frachtflugzeugen. Andreas Nitschke war in den letzten Jahren dreimal in der Antarktis. Er hat dort gebaut, die Polarstation "Bharati", das bemerkenswerteste Projekt in seiner Karriere als Bauingenieur.

Von Norddeutschland in die Antarktis

Im Jahr 2006 hatte das indische National Centre for Antarctic and Ocean Research (NCAOR) einen internationalen Wettbewerb zur Planung einer neuen indischen Forschungsstation in der Antarktis ausgeschrieben. Nitschkes Team, die Hamburger IMS Ingenieurgesellschaft, gewann ihn als Federführer eines Konsortiums, zu dem auch Architekten und Gebäudetechniker zählen, und erhielt im November 2008 dann den Bauauftrag. "Unser Vorschlag war der beste von allen", sagt Andreas Nitschke. Möglich wurde das sicher auch, weil die Ingenieure zuvor die deutsche Antarktis-Station Neumayer III geplant hatten. Sie kannten die Herausforderungen der Antarktis nur zu gut und haben mit einer ebenso klugen wie eleganten Lösung auf sie reagiert.

Die Anlieferung der Station: Eine logistische HerausforderungBild: IMS/bof

"Bahrati", die neue indische Forschungsstation, besteht aus 134 hochwertigen Schiffscontainern. Die wurden in Deutschland komplett eingerichtet, gestrichen und mit der nötigen Elektrik sowie Fenstern und Türen versehen. So, ausgestattet und entsprechend gesichert, wurden die Container in die belgische Hafenstadt Antwerpen transportiert und von da in die Antarktis verschifft. Häfen und Kaianlagen gibt es dort natürlich nicht, sagt Andreas Nitschke. Die Schiffe rammen sich einfach in das Eis vor der Küste hinein. Das ist selbst im Sommer anderthalb Meter dick, es trägt also. "Dann kann der Kran das Material auf das Eis absetzen. Und man hat Schneeraupen mit Anhängern, damit werden die Container zur Baustelle transportiert". Und dort zusammengesetzt und schließlich mit einer Fassadenhülle versehen.

Logistische Meisterleistung

Die Logistik, sagt Andreas Nitschke, sei die größte Herausforderung, wenn man in der Antarktis bauen will. "Man kommt da nur sehr schwer hin. Und wenn man da ist, kommt man schlecht wieder weg". Deshalb führt jeder Verlust von Material und jede Nachlieferung nicht nur zu Verzögerungen, sondern auch zu extrem hohen Kosten. Weshalb alles umsichtig geplant sein will und genügend Material für mögliche Reparaturen vor Ort sein muss. Weiteres Problem: für die Ausführung des Baus musste der kurze arktische Sommer von vier Monaten reichen. Mit einem Trick haben die Norddeutschen das kleine Zeitfenster optimal genutzt. Im ersten arktischen Sommer 2011 haben sie das Fundament vorbereitet, den felsigen Untergrund geebnet und Betonwände gesetzt, auf denen das eigentliche Gebäude verankert werden sollte. Im Sommer darauf kamen dann die Container und wurden auf Stahlstützen über dem Fundament aufgebaut. Die Forschungsstation ist nämlich aufgeständert, wie das in der Fachsprache heißt. Denn wenn das Gebäude auf dem Boden stünde, erläutert Andreas Nitschke, "würde es vom Schnee einfach zugeweht werden".

Ein Bau auf StelzenBild: IMS/bof

Die Forschungsstation "Bharati" ist ein Projekt mit vielen Beteiligten: Inder haben es in Auftrag gegeben, indische Wissenschaftler nutzen die Anlage seit ihrer Fertigstellung im März 2013. Arbeiter aus Polen, Tschechien und Deutschland haben sie errichtet, koreanische Hubschrauberpiloten transportierten die Baumaterialien, auf dem russischen Containerschiff waren Ukrainer, Weißrussen und Litauer beschäftigt. Und in der Nähe der Station arbeiten Chinesen, Russen, Australier und Amerikaner. "Es ist sehr international in der Antarktis", erzählt Andreas Nitschke. Zahlreiche Länder unterhalten dort Forschungsstationen, zeigen Flagge. Die Antarktis gehört niemanden, beherbergt aber viele Rohstoffe. "Hinter denen sind alle her. Und wer dort präsent ist, kann vielleicht irgendwann einmal seine Claims abstecken".

Übungsraum für Toleranz

Alle, die längere Zeit in der Antarktis sind, kommen anders wieder, sagt Andreas Nitschke dann noch. Toleranz lerne man dort und den Umgang mit anderen Kulturen. Bei Konflikten könne man sich weder aus dem Weg gehen noch vor Gericht ziehen. "Wer wissen will, wie es ist, wenn es keine Ellbogengesellschaft gibt, der sollte dort hingehen". Aber er muss schon das Besondere lieben. Und genügsam sein. Im Winter sinken die Temperaturen unter minus 40 Grad, wochenlang wird es nicht hell, frische Lebensmittel sind Mangelware. Auf der indischen Forschungsstation arbeiten im Sommer an die 60 Menschen, im Winter sind 15 vor Ort.

Platz zum Entspannen: Die LoungeBild: IMS/bof

Sie verfügen über eigene Kabinen, Küche, Büros, eine Reparaturwerkstatt, Lager- und Kühlräume, eine Krankenstation mit Operationsraum, einen Gymnastik- und einen Entertainmentraum mit Kino und Tischfußball sowie eine geräumige Lounge und einen Gebetsraum. Dass all das aus Containern besteht, sieht man den Räumen nicht an. Um den Energieverbrauch weiter zu reduzieren, ist der Bau einer Windenergieanlage geplant, bereits jetzt verfügt die Station über eine eigene Meerwasser-Entsalzungsanlage und eine biologische Abwasserreinigung. "So eine Antarktis-Station ist eine Welt für sich", sagt Andreas Nitschke, "vergleichbar mit einem Schiff auf hoher See". Nur, dass das Schiff nicht so lange auf See bleibt wie die Station in den acht Wintermonaten von der übrigen Welt abgeschnitten ist. Derzeit wird die indische Forschungsstation - "Bharati" bedeutet übrigens "kleines Indien" - als beispielhaftes Gebäude in einer Wanderausstellung des British Council präsentiert. Aktuell im schottischen Glasgow, demnächst auch in Deutschland.

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