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Die Antarktis vor der Klimakatastrophe

Ajit Niranjan
23. Juni 2021

Der Antarktis-Vertrag schützt das Gebiet um den Südpol vor menschlichen Eingriffen, wie etwa dem Rohstoffabbau. Doch der Klimawandel macht genau diesen Schutz zunichte.

Packeis und Treibeis vor der Küste der Antarktis
Anstelle einer geschlossenen Eisfläche gibt es immer mehr abgebrochenes Treibeis in der Antarktis Bild: picture-alliance/dpa/blickwinkel/A. Rose

Als der Antarktis-Vertrag vor 60 Jahren in Kraft trat, ahnten seine Unterzeichner nicht, wie erfolgreich er sein würde. Die Staats- und Regierungschefs einigten sich darauf, den unbewohnten Kontinent, der doppelt so groß wie Australien ist, frei von Krieg, Waffen und Atommüll zu halten. Sie legten außerdem fest, die südliche Polarregion, die zu 98 Prozent aus Eis besteht, der internationalen Wissenschaft zu widmen. Zudem darf kein Staat dort Gebietsansprüche geltend machen. 

In den folgenden Jahrzehnten wurde die Antarktis durch weitere Regeln, die den Abbau von Mineralien und an Ölbohrungen verhinderten, zum größten Naturschutzgebiet der Welt. Doch jetzt untergräbt der Klimawandel diesen Schutz.

Pinguine gehören zu den wenigen Arten, die sich in der Antarktis auf Land bewegenBild: picture-alliance/Xinhua/L. Shiping

Etwa 90 Prozent des weltweiten Süßwassers sind im antarktischen Eisschild eingeschlossen. Und während sich die Erde aufheizt, schmelzen die Gletscher und werden immer brüchiger. Ihr Kollaps würde Küstenstädte von New York bis Jakarta im Wasser versinken lassen.

Die Staats- und Regierungschefs haben sich verpflichtet, die Erwärmung in diesem Jahrhundert auf deutlich unter zwei Grad Celsius zu begrenzen - doch ihre aktuelle Politik wird die Welt um fast drei Grad aufheizen, befürchtet die in Deutschland ansässige Forschungsgruppe Climate Action Tracker.

Drei Grad plus: das Ende der Antarktis-Gletscher

Eine Studie, die im Mai in der Zeitschrift Nature veröffentlicht wurde, zeigt: Ein globaler Temperaturanstieg von drei Grad Celsius würde zu einer "schlagartigen Beschleunigung" der antarktischen Eisschmelze führen und damit einen "schnellen und unaufhaltsamen" Anstieg des Meeresspiegels auslösen. 

In der Zeitschrift Science Advances erschien nun eine Studie, die belegt, wie das Schelfeis, das den 175.000 Quadratkilometer großen Pine-Island-Gletscher umgibt und stützt, an immer mehr Stellen abbricht. Fehlt das schützende Schelfeis, gelangt warmes Wasser an den Gletscher - mit fatalen Folgen. "Wenn sich der schnelle Rückzug des Schelfeises fortsetzt, könnte dies den Gletscher weiter destabilisieren, und zwar viel früher als erwartet", schreiben die Autoren.

Schon jetzt trägt schmelzendes Eis aus dem Pine-Island-Gletscher erheblich zum globalen Anstieg des Meeresspiegels bei: Mehr als ein Viertel des gesamten Schmelzwassers aus der Antarktis stammt aus diesem Gletscher.

Der größte schwimmende Eisberg der Welt, A-76, hat sich im Mai vom antarktischen Eisschild gelöstBild: ESA/REUTERS

Alessandro Antonello, Historiker an der University of Flinders in Australien, hat ein Buch über die Umweltpolitik in der Antarktis geschrieben. Er ist überzeugt: "Die zentrale ökologische Herausforderung für die Antarktis ist heute zweifellos der Klimawandel."

54 Vertragsparteien haben sich verpflichtet, die Antarktis schützen, nur 29 sind stimmberechtigt. Dazu gehören Staaten wie die USA und Deutschland, historisch gesehen große Verschmutzer, ebenso wie Schwellenländer mit hohem Treibhausgas-Ausstoss wie China, Indien und Brasilien. "Es gibt da definitiv ein gewisses Maß an Heuchelei", sagt Antonello.

Die Antarktis - Frieden und Wissenschaft gewidmet

Der Antarktis-Vertrag wurde 1959 von 12 Ländern unterzeichnet, deren Wissenschaftler in der Region tätig waren, zwei Jahre später trat er in Kraft. Die Parteien einigten sich darauf, dass die Region "ein Naturreservat sein soll, das dem Frieden und der Wissenschaft gewidmet ist".

Für Supermächte wie die USA und die ehemalige Sowjetunion (UdSSR) - die in den nächsten drei Jahrzehnten Stellvertreterkriege in Asien, Afrika und Südamerika führen sollten - wurde die Antarktis zu einem seltenen Ort der Zusammenarbeit inmitten der atomaren Drohungen des Kalten Krieges.

In anderen diplomatischen Räumen hätten sich die Vertreter dieser Länder "an die Brust getrommelt und gebrüllt", erzählt Sridhar Anandakrishnan, Glaziologe an der Penn State University in den USA. Aber bei den Treffen des Antarktis-Vertrags "konnten sie offiziell und offen reden".

Der Antarktis-Vertrag ermöglicht friedliche wissenschaftliche Zusammenarbeit über Nationen und Konflikte hinweg Bild: Ashley Cooper/Reuters

Für die Wissenschaftler bedeutete die Zusammenarbeit unter anderem, dass sie ihre Flugzeuge auf den Forschungsbasen der anderen Länder auftanken konnten, was in dieser lebensfeindlichen Region auch lebensnotwendig ist, sowie Erkenntnisse austauschten. Teams von Wissenschaftlern sammelten in der Antarktis Klimadaten, die Hunderttausende von Jahren zurückreichen, und 1985 entdeckten sie ein gefährliches Loch in der darüber liegenden Ozonschicht.

Jeder in der Antarktis ist aus "altruistischen Gründen" dort, sagt Anandakrishnan, der seit 1985 an 23 wissenschaftlichen Expeditionen in die Region teilgenommen hat. "Wir sind dort für etwas, von dem wir hoffen, dass es größer ist als wir selbst und im Dienst der Gesellschaft steht."

Bohrungen am Nordpol, Fischerei am Südpol

Die Polarregionen der Erde erwärmen sich schneller als der Rest des Planeten. Aber anders als die Arktis am Nordpol, die zum Mittelpunkt geopolitischer Spannungen geworden ist, weil das schmelzende Eis reiche Ressourcen freilegt, gibt es in der Antarktis am Südpol außer einigen Kohle- und Ölreserven kaum bekannte Mineralien oder Brennstoffe, die ausgebeutet werden könnten. Das hat dazu beigetragen, das Gebiet vor der Aufmerksamkeit der Rohstoffindustrie zu schützen.

In der Arktis, am Nordpol, löst das schmelzende Eis einen Ansturm auf Ressourcen wie Erdgas und -öl ausBild: picture-alliance/AA/S. Anisimov

Zusammen mit der unwirtlichen Landschaft - das dicke Eis und das raue Wetter würden jede kommerzielle Förderung extrem kostspielig machen - hat das Verbot von Bergbau und Bohrungen des Antarktis-Vertrags die Region um den Südpol von allen menschlichen Eingriffen freigehalten, wissenschaftliche Erkundung ausgenommen. Das Verbot gilt unbefristet und kann erstmals im Jahr 2048 überprüft werden.

Für die Gewässer rund um die Antarktis sieht es allerdings weniger rosig aus.

"Der Klimawandel verändert die Landschaft in der Antarktis drastisch", sagt Laura Meller, Ökologin und Polarexpertin bei Greenpeace Nordic, die sich erfolgreich für den Schutz der Region vor Bergbau und Bohrungen eingesetzt hat. "Für das Leben im Wasser, das den Kontinent umgibt, ist das eine drastische Veränderung." 

Antarktische Gewässer in Gefahr

Der Schwarze Seehecht und andere Fischarten werden im Südpolarmeer rund um die Antarktis immer noch gejagt, ohne die Nachhaltigkeit zu berücksichtigen. Seevögel wie Albatrosse und Sturmvögel verfangen sich in riesigen Netzen als Beifang, ihre Kadaver werden ins Meer geworfen.

Auch die Krill-Fischerei boomt: 400.000 Tonnen fingen die Fischer 2019 im Südpolarmeer. Die winzigen Lebewesen sind ein Eckpfeiler im antarktischen Ökosystem, sie dienen als Nahrung für Pinguine, Robben, Fische und Wale. Die Mini-Krebstiere, die nur in einem engen Temperaturbereich überleben können, sind auch wichtige Helfer im Kampf gegen den Klimawandel. Denn Krill speichert klimaschädliches Kohlendioxid, weil sich die Krebstierchen von kohlenstoffreichem Phytoplankton an der Meeresoberfläche ernähren und dichte Fäkalpellets auf den Meeresboden regnen lassen. Durch solche Prozesse werden jedes Jahr fünf bis zwölf Gigatonnen CO2 gespeichert., wie eine 2019 in der Zeitschrift Nature veröffentlichte wissenschaftliche Untersuchung zeigt.

Der Antarktis-Vertrag schützt das Ökosystem an Land, regelt aber nicht das Leben im Meer. Dieser Bereich ist durch ein Zusatzprotokoll des Vertrags geregelt und wird von seit 1982 von einer eigenen Kommission geregelt. Sie legt Fangbeschränkungen für die Krill-Fischerei fest - doch die Verluste in der Krill-Bestände durch den Klimawandel werden dabei bisher nicht berücksichtigt.

Pinguine finden immer weniger Nahrung aufgrund von Fischerei und KlimawandelBild: Reuters/A. Meneghini

Weniger klar ist der Schutz von Meerestieren geregelt, die zum Brüten an Land kommen, wie etwa Pinguine. "Es gibt eine Grauzone", sagt Ricardo Roura, Spezialist für die Polarregionen und leitender Berater für die Antarctic and Southern Ocean Coalition (ASOC), eine Organisation, die Naturschutzgruppen aus der Region vertritt. 

Umweltprobleme durch Antarktis-Tourismus

Rechtsunsicherheit gilt auch in Sachen Tourismus. Rund 70.000 Reisende besuchen jedes Jahr die Antarktis, hauptsächlich im Sommer. Das sind zwar nicht viele angesichts der Größe des Kontinents, doch sie besuchen zumeist dieselben wenigen Orte, und genau dort gibt es die meisten Auswirkungen des Tourismus. 

In der Antarktis verschwindet Abfall nicht. Die Region ist extrem kalt trocken und es gibt kaum Raubtiere - der Müll wird deshalb erst dann abgebaut, wenn ein Gletscher schmilzt und ihn in die Ozeane trägt. Die Wissenschaftler in der Region gehen daher mit ihrem Müll inzwischen sehr bewusst um, berichtet Gletscherforscher Anandakrishnan. "Sie sagen sich: Will ich wirklich mein Bonbonpapier hier wegwerfen, an dem dann in zehntausend Jahren eine Robbe erstickt?"

Doch mit wachsenden Touristenzahlen könnte die Durchsetzung der Schutzbestimmungen des Antarktis-Vertrags immer schwieriger werden. Die Antarktis hat keine Polizei und - ohne eine souveräne Regierung - ist es immer noch unklar, wer für grössere Schäden aufkommen würde, die von ausländischen Besuchern oder etwa Schiffshavarien mit einer Ölpest verursacht werden könnten.

Dennoch ist der Antarktis-Vertrag als Beispiel für globale Zusammenarbeit noch immer einzigartig. Denn dass sich die Staaten heute auf ein ähnliches Vertragswerk einigen könnten, halten Experten für mehr als unwahrscheinlich. Oder, wie Anandakrishnan sagt: "Es hätte nicht den Hauch einer Chance, heute verabschiedet zu werden."

Adaption aus dem Englischen: Jeannette Cwienk

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