Sprache ist nicht neutral, dafür will die Unwort-Jury die Menschen sensibilisieren. Den Begriff "Anti-Abschiebe-Industrie" prägte der CSU-Politiker Alexander Dobrindt im Mai 2018. Und sorgte damit für Diskussionen.
Anzeige
Es war letztes Jahr im Frühling. Der CSU-Politiker Alexander Dobrindt hatte Klagen gegen die Abschiebung abgelehnter Asylbewerber als Sabotage des Rechtsstaats bezeichnet und von einer "Anti-Abschiebe-Industrie" gesprochen. Diesen Ausdruck kürte eine Jury aus Sprachwissenschaftlern nun zum "Unwort des Jahres 2018". Die Begründung: Dobrindt unterstelle damit denjenigen, die abgelehnte Asylbewerber rechtlich unterstützten, die Absicht, auch kriminell gewordene Flüchtlinge schützen zu wollen, um damit Geld zu verdienen.
Eine solche Äußerung von einem wichtigen Politiker einer Regierungspartei zeige, "wie sich der politische Diskurs sprachlich und in der Sache nach rechts verschoben hat und sich damit auch die Sagbarkeitsregeln in unserer Demokratie auf bedenkliche Weise verändern", sagte die Sprecherin der "Unwort des Jahres"-Jury, Nina Janich, am Dienstag (15.01.) in Darmstadt.
Begriffe, die das Klima vergiften
Die Aktion "Unwort des Jahres" gibt es seit 1991. Gekürt wird jedes Jahr ein Begriff, der gegen das "Prinzip der Menschenwürde" oder gegen die "Prinzipien der Demokratie" verstößt. Für das Jahr 2016 war die Wahl auf "Volksverräter" gefallen, 2017 wurde der Ausdruck "Alternative Fakten" zum "Unwort des Jahres" ernannt.
Die "Unworte des Jahres" von 2007 bis 2021
Seit 1991 benennt eine Jury das "Unwort des Jahres" und stellt damit besonders zynische Begriffe an den Pranger. Das waren die Unworte seit 2007:
Bild: Leonid Shcheglov/BelTA/AP/dpa/picture alliance
2021: Pushback
Das Wort Pushback fiel 2021 immer wieder in den Debatten um die europäische Migrationspolitik. Es bezeichnet das Zurückdrängen von Geflüchteten an den Landesgrenzen durch Grenzschutzbeamte. Die Jury stellt sich gegen den Begriff, weil er einen menschenfeindlichen Prozess beschönige und selbst von Kritikerinnen und Kritikern dieser Abschiebepraxis unreflektiert verwendet werde.
Bild: Leonid Shcheglov/BelTA/AP/dpa/picture alliance
2020: Corona-Diktatur
Der Ausdruck "Corona-Diktatur" wird seit Beginn der öffentlichen Diskussion um Pandemie-Maßnahmen von der "Querdenker"-Bewegung und rechtsextremen Propagandisten verwendet. Die Unwort-Jury findet, er stehe im Widerspruch zu den ausdrücklich in der Bundesrepublik erlaubten Demonstrationen und er verharmlose das Leben in tatsächlichen Diktaturen. Erstmals wählte die Jury außerdem ein zweites Unwort.
Bild: Imago Images/Eibner
2020: Rückführungspatenschaften
Diesen 41 mal vorgeschlagenen Begriff führte die EU-Kommission im September 2020 für einen neuen Mechanismus der Migrationspolitik ein: Mitgliedsstaaten, die sich weigerten, Geflüchtete aufzunehmen, sollen sich solidarisch zeigen, indem sie die Abschiebung abgelehnter Asylbewerber übernehmen. Dies als „Rückführungspatenschaften“ zu bezeichnen, hält die Jury für zynisch und beschönigend.
Bild: picture-alliance/dpa/I. Kjer
2019: Klimahysterie
2018 lag das Klima zwar auch schon im Argen, aber seitdem Greta Thunberg die weltweite "Fridays for Future"-Bewegung ins Rollen brachte, ist der Klimawandel in aller Munde. Und zwar so oft, dass Spötter und Kritiker despektierlich das Wort "Klimahysterie" prägten.
Bild: picture alliance/dpa/APA/H. Punz
2018: Anti-Abschiebe-Industrie
Diesen Begriff prägte der CSU-Politiker Alexander Dobrindt im Mai 2018 in einem Interview zur Asyldebatte. Die Jury unter Leitung von Nina Janich (Foto) kürte den Ausdruck zum "Unwort des Jahres", weil Dobrindt damit denjenigen, die abgelehnte Asylbewerber rechtlich unterstützten, die Absicht unterstelle, auch kriminell gewordene Flüchtlinge schützen zu wollen, um damit Geld zu verdienen.
Bild: picture-alliance/dpa/A. Arnold
2017: Alternative Fakten
Wer kennt sie nicht - die "alternativen Fakten" von US-Präsident Trump. Erstmals nahm seine Beraterin Kellyanne Conway im Januar 2017 diese Worte in den Mund, um in der Polit-Talksendung "Meet the Press" eine falsche Aussage des damaligen Pressesprechers des Weißen Hauses, Sean Spicer, zu rechtfertigen: Es ging darum, dass die Amtseinführung Trumps angeblich die bestbesuchte überhaupt war.
Das Unwort des Jahres 2016 wurde aus 594 Vorschlägen ausgewählt. Diese Vokabel "ist ein typisches Erbe von Diktaturen, vor allem der Nationalsozialisten", urteilte die Jury 2016. Als Vorwurf gegenüber Politikern (hier: Sören Herbst von Bündnis 90/Die Grünen) sei das Wort diffamierend und würge die für die Demokratie notwendigen Diskussionen in der Gesellschaft ab.
Bild: Sören Herbst
2015: Gutmensch
Im Jahr 2015 spaltete die Flüchtlingsdebatte die Nation. Der Duden definiert jemanden als "Gutmensch", "der sich in einer als unkritisch, übertrieben oder nervtötend empfundenen Weise im Sinne der Political Correctness verhält". Ehrenamtliche Flüchtlingshelfer so zu beschimpfen, diffamiere "Toleranz und Hilfsbereitschaft pauschal als naiv, dumm und weltfremd", urteilte die Jury.
Bild: Imago/C. Ohde
2014: Lügenpresse
Es gibt Begriffe, die nach Ansicht von Sprachkritikern niemand in den Mund nehmen sollte. Dazu gehört "Lügenpresse": Das Wort diente bereits im Ersten Weltkrieg als Kampfmittel, die Nationalsozialisten diffamierten so unabhängige Medien, und zuletzt schrieben Anhänger der Pegida-Bewegung das Wort auf ihre Plakate. Eine solch pauschale Verurteilung gefährde die Pressefreiheit, befand die Jury.
Bild: picture alliance/dpa/D.Naupold
2013: Sozialtourismus
"Mit dem Begriff wird von einigen Politikern und Medien gezielt Stimmung gegen unerwünschte Zuwanderer, insbesondere aus Osteuropa, gemacht", war sich die Jury bei der Wahl des Unworts 2013 einig. Man unterstelle ihnen, Sozialleistungen abgreifen zu wollen. Die Kombination aus "sozial" und „Tourismus“ sei besonders polemisch, weil es suggeriere, die Zuwanderung aus Not sei eine Vergnügungsreise.
Bild: picture-alliance/dpa
2012: Opfer-Abo
Geprägt wurde der Begriff von dem prominenten Wetter-Moderator Jörg Kachelmann. Nachdem er in einem Vergewaltigungsprozess freigesprochen worden war, beklagte er sich in einem Interview, Frauen hätten in der Gesellschaft ein "Opfer-Abo". Die Jury (Bild: Nina Janich) kritisierte, dass er damit Frauen "pauschal und in inakzeptabler Weise" unter den Verdacht stelle, sexuelle Gewalt zu erfinden.
Bild: picture-alliance/dpa/A. Dedert
2011: Döner-Morde
Jahrelang kursierte das Wort, um die Morde an acht türkischen und einem griechischen Unternehmer zu benennen. Man ging von einer internen Fehde aus und verkannte, dass die Mordserie von der rassistischen Terrorgruppe NSU verübt wurde. Mit dem Wort "Döner", einer türkischen Speise, habe man rassistisch eine ganze Bevölkerungsgruppe bezeichnet und die Opfer diskriminiert, so die Jury.
2010: alternativlos
Geprägt wurde der Begriff von Kanzlerin Angela Merkel in Bezug auf die Finanzhilfe für das bankrotte Griechenland. Später sei das Wort "alternativlos" von Politikern inflationär gebraucht worden, so die Jury. Es suggeriere fälschlicherweise, "dass es bei einem Entscheidungsprozess von vornherein keine Alternativen und damit auch keine Notwendigkeit der Diskussion und Argumentation" gebe.
Bild: picture alliance/dpa
2009: betriebsratsverseucht
In einer Fernsehsendung hatte der Angestellte eines Unternehmens öffentlich erklärt, dass Abteilungsleiter dieses Wort für Arbeitnehmer verwenden, die sich im Betriebsrat für ihre Interessen einsetzen. "Die Wahrnehmung von Arbeitnehmerinteressen stört zwar viele Unternehmen, sie als 'Seuche' zu bezeichnen, ist indes ein sprachlicher Tiefpunkt im Umgang mit Lohnabhängigen", befand die Jury 2009.
Bild: picture alliance / dpa
2008: Notleidende Banken
Der Begriff stelle das Verhältnis von Ursachen und Folgen der Weltwirtschaftskrise auf den Kopf, begründete die Jury 2008 ihre Wahl. Die Banken seien mit ihrer Finanzpolitik die Verursacher der Krise, die Last hätten aber die Steuerzahler zu tragen. Die Banken als notleidende Opfer zu stilisieren, entspreche nicht der Realität.
Bild: picture-alliance/ dpa
2007: Herdprämie
Das Betreuungsgeld, das Eltern erhalten, die ihre Kinder zuhause erziehen, wurde von Kritikern der Finanzspritze in "Herdprämie" umgetauft. Damit degradiere man vor allem Frauen, auch solche, die der Kindererziehung zuliebe ihre Karriere unterbrechen oder aufgeben zu "Heimchen am Herd", befand die Jury und kürte das Wort zum schlimmsten sprachlichen Missgriff des Jahres 2007.
Bild: picture-alliance/ ZB
16 Bilder1 | 16
In diesem Jahr waren 508 verschiedene Begriffe als Vorschläge für das "Unwort des Jahres" eingegangen. Nur etwa 60 davon entsprachen aber überhaupt den Kriterien der sprachkritischen Aktion, so Janich. Knapp 15 Wörter habe die Jury in die engere Wahl einbezogen. Darunter waren auch die Begriffe "Menschenrechtsfundamentalismus" und "Ankerzentrum".
Am häufigsten vorgeschlagen wurde der Begriff "Asyltourismus" sowie der vom AfD-Vorsitzenden Alexander Gauland verwendete Begriff "Vogelschiss". Beim Bundeskongress der AfD-Nachwuchsorganisation hatte der Vorsitzende der rechtspopulistischen Partei "Alternative für Deutschland" gesagt: "Hitler und die Nazis sind nur ein Vogelschiss in über 1000 Jahren erfolgreicher deutscher Geschichte." Der Satz fiel nach einem Bekenntnis Gaulands zur Verantwortung der Deutschen für den Nationalsozialismus mit Millionen ermordeten Juden und Millionen Kriegstoten.
Für Sprache sensibilisieren
Verantwortlich für die viel beachtete Auswahl des Unworts ist eine Jury aus vier Sprachwissenschaftlern und einem Journalisten, die durch einen jährlich wechselnden Gast ergänzt wird. Die Aktion selbst ist institutionell unabhängig. Sie will einen bewussten Umgang mit Sprache fördern, indem sie auf Begriffe hinweist, die diskriminieren, irreführen oder demokratische Prinzipien verletzten. Die Jury wählt dabei aus Vorschlägen aus, die jeder im Internet einreichen kann.
"Uns geht es um Wörter, die im öffentlichen deutschen Diskurs wie selbstverständlich verwendet werden und bei genauerer Analyse doch diffamierend oder diskreditierend sind", so Nina Janich gegenüber der "Süddeutschen Zeitung".