Sprache ist nicht neutral, dafür will die Unwort-Jury die Menschen sensibilisieren. Den Begriff "Anti-Abschiebe-Industrie" prägte der CSU-Politiker Alexander Dobrindt im Mai 2018. Und sorgte damit für Diskussionen.
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Es war letztes Jahr im Frühling. Der CSU-Politiker Alexander Dobrindt hatte Klagen gegen die Abschiebung abgelehnter Asylbewerber als Sabotage des Rechtsstaats bezeichnet und von einer "Anti-Abschiebe-Industrie" gesprochen. Diesen Ausdruck kürte eine Jury aus Sprachwissenschaftlern nun zum "Unwort des Jahres 2018". Die Begründung: Dobrindt unterstelle damit denjenigen, die abgelehnte Asylbewerber rechtlich unterstützten, die Absicht, auch kriminell gewordene Flüchtlinge schützen zu wollen, um damit Geld zu verdienen.
Eine solche Äußerung von einem wichtigen Politiker einer Regierungspartei zeige, "wie sich der politische Diskurs sprachlich und in der Sache nach rechts verschoben hat und sich damit auch die Sagbarkeitsregeln in unserer Demokratie auf bedenkliche Weise verändern", sagte die Sprecherin der "Unwort des Jahres"-Jury, Nina Janich, am Dienstag (15.01.) in Darmstadt.
Begriffe, die das Klima vergiften
Die Aktion "Unwort des Jahres" gibt es seit 1991. Gekürt wird jedes Jahr ein Begriff, der gegen das "Prinzip der Menschenwürde" oder gegen die "Prinzipien der Demokratie" verstößt. Für das Jahr 2016 war die Wahl auf "Volksverräter" gefallen, 2017 wurde der Ausdruck "Alternative Fakten" zum "Unwort des Jahres" ernannt.
Unwort des Jahres: "Biodeutsch" - Hier gibt es alle Unwörter von 2013 bis 2024
Seit 1991 benennt eine Jury das "Unwort des Jahres" und stellt damit besonders zynische Begriffe an den Pranger. "Biodeutsch" ist das Unwort des Jahres 2024.
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Biodeutsch ist Unwort des Jahres 2024
Mit dem Wort "biodeutsch" würden Menschen vor dem Hintergrund
vermeintlich biologischer Abstammungskriterien eingeteilt und diskriminiert. So begründete die Jury der sprachkritischen "Unwort"-Aktion ihre Entscheidung. Mehr als 2.000 Einsendungen waren für das Unwort des Jahres am Institut für Germanistische Sprachwissenschaft an der Uni Marburg eingegangen.
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2023: Remigration
Mit "Remigration" wies die Jury auf die Umdeutung eines an sich neutralen Begriffes hin. Sozialwissenschaftler verstehen unter "Remigration" das Phänomen, wenn Menschen nach einem Lebensabschnitt im Ausland wieder in ihr Herkunftsland zurückkehren. Rechtsextreme Gruppierungen aber, darunter auch die AfD, benutzten das Wort als Kampfbegriff, um Menschen mit Migrationshintergrund abzuschieben.
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2022: Klimaterroristen
Mit dem Ausdruck "Klimaterroristen" wurden 2022 Akteurinnen und Akteure bezeichnet, die sich für die Umsetzung von Klimaschutzmaßnahmen und die Erreichung der Ziele des Pariser Klimaabkommens einsetzten. Die Jury kritisierte die Verwendung des Ausdrucks, weil somit Protestierende mit Terroristen gleichgesetzt würden. Zudem träten so die inhaltlichen Forderungen in den Hintergrund.
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2021: Pushback
Das Wort Pushback fiel 2021 immer wieder in den Debatten um die europäische Migrationspolitik. Es bezeichnet das Zurückdrängen von Geflüchteten an den Landesgrenzen durch Grenzschutzbeamte. Die Jury stellte sich gegen den Begriff, weil er einen menschenfeindlichen Prozess beschönige und selbst von Kritikerinnen und Kritikern dieser Abschiebepraxis unreflektiert verwendet werde.
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2020: Corona-Diktatur
Der Ausdruck "Corona-Diktatur" wird seit Beginn der öffentlichen Diskussion um Pandemie-Maßnahmen von der "Querdenker"-Bewegung und rechtsextremen Propagandisten verwendet. Der Jury zufolge stehe er im Widerspruch zu den ausdrücklich in der Bundesrepublik erlaubten Demonstrationen und verharmlose das Leben in tatsächlichen Diktaturen. Erstmals wählte die Jury außerdem ein zweites Unwort.
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2020: Rückführungspatenschaften
Diesen 41 mal vorgeschlagenen Begriff führte die EU-Kommission im September 2020 für einen neuen Mechanismus der Migrationspolitik ein: Mitgliedsstaaten, die sich weigerten, Geflüchtete aufzunehmen, sollen sich solidarisch zeigen, indem sie die Abschiebung abgelehnter Asylbewerber übernehmen. Dies als "Rückführungspatenschaften" zu bezeichnen, hielt die Jury für zynisch und beschönigend.
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2019: Klimahysterie
2018 lag das Klima zwar auch schon im Argen, aber seitdem Greta Thunberg die weltweite "Fridays for Future"-Bewegung ins Rollen brachte, ist der Klimawandel in aller Munde. Und zwar so oft, dass Spötter und Kritiker despektierlich das Wort "Klimahysterie" prägten.
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2018: Anti-Abschiebe-Industrie
Diesen Begriff prägte der CSU-Politiker Alexander Dobrindt im Mai 2018 in einem Interview zur Asyldebatte. Die Jury unter Leitung von Nina Janich (Foto) kürte den Ausdruck zum "Unwort des Jahres", weil Dobrindt damit denjenigen, die abgelehnte Asylbewerber rechtlich unterstützten, die Absicht unterstelle, auch kriminell gewordene Flüchtlinge schützen zu wollen, um damit Geld zu verdienen.
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2017: Alternative Fakten
Wer kennt sie nicht - die "alternativen Fakten" von US-Präsident Trump. Erstmals nahm seine Beraterin Kellyanne Conway im Januar 2017 diese Worte in den Mund, um in der Polit-Talksendung "Meet the Press" eine falsche Aussage des damaligen Pressesprechers des Weißen Hauses, Sean Spicer, zu rechtfertigen: Es ging darum, dass die Amtseinführung Trumps angeblich die bestbesuchte überhaupt war.
Das Unwort des Jahres 2016 wurde aus 594 Vorschlägen ausgewählt. Diese Vokabel "ist ein typisches Erbe von Diktaturen, vor allem der Nationalsozialisten", urteilte die Jury 2016. Als Vorwurf gegenüber Politikern (hier: Sören Herbst von Bündnis 90/Die Grünen) sei das Wort diffamierend und würge die für die Demokratie notwendigen Diskussionen in der Gesellschaft ab.
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2015: Gutmensch
Im Jahr 2015 spaltete die Flüchtlingsdebatte die Nation. Der Duden definiert jemanden als "Gutmensch", "der sich in einer als unkritisch, übertrieben oder nervtötend empfundenen Weise im Sinne der Political Correctness verhält". Ehrenamtliche Flüchtlingshelfer so zu beschimpfen, diffamiere "Toleranz und Hilfsbereitschaft pauschal als naiv, dumm und weltfremd", urteilte die Jury.
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2014: Lügenpresse
Es gibt Begriffe, die nach Ansicht von Sprachkritikern niemand in den Mund nehmen sollte. Dazu gehört "Lügenpresse": Das Wort diente bereits im Ersten Weltkrieg als Kampfmittel, die Nationalsozialisten diffamierten so unabhängige Medien, und zuletzt schrieben Anhänger der Pegida-Bewegung das Wort auf ihre Plakate. Eine solch pauschale Verurteilung gefährde die Pressefreiheit, befand die Jury.
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2013: Sozialtourismus
"Mit dem Begriff wird von einigen Politikern und Medien gezielt Stimmung gegen unerwünschte Zuwanderer, insbesondere aus Osteuropa, gemacht", war sich die Jury bei der Wahl des Unworts 2013 einig. Man unterstelle ihnen, Sozialleistungen abgreifen zu wollen. Die Kombination aus "sozial" und "Tourismus" sei besonders polemisch, weil es suggeriere, die Zuwanderung aus Not sei eine Vergnügungsreise.
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In diesem Jahr waren 508 verschiedene Begriffe als Vorschläge für das "Unwort des Jahres" eingegangen. Nur etwa 60 davon entsprachen aber überhaupt den Kriterien der sprachkritischen Aktion, so Janich. Knapp 15 Wörter habe die Jury in die engere Wahl einbezogen. Darunter waren auch die Begriffe "Menschenrechtsfundamentalismus" und "Ankerzentrum".
Am häufigsten vorgeschlagen wurde der Begriff "Asyltourismus" sowie der vom AfD-Vorsitzenden Alexander Gauland verwendete Begriff "Vogelschiss". Beim Bundeskongress der AfD-Nachwuchsorganisation hatte der Vorsitzende der rechtspopulistischen Partei "Alternative für Deutschland" gesagt: "Hitler und die Nazis sind nur ein Vogelschiss in über 1000 Jahren erfolgreicher deutscher Geschichte." Der Satz fiel nach einem Bekenntnis Gaulands zur Verantwortung der Deutschen für den Nationalsozialismus mit Millionen ermordeten Juden und Millionen Kriegstoten.
Für Sprache sensibilisieren
Verantwortlich für die viel beachtete Auswahl des Unworts ist eine Jury aus vier Sprachwissenschaftlern und einem Journalisten, die durch einen jährlich wechselnden Gast ergänzt wird. Die Aktion selbst ist institutionell unabhängig. Sie will einen bewussten Umgang mit Sprache fördern, indem sie auf Begriffe hinweist, die diskriminieren, irreführen oder demokratische Prinzipien verletzten. Die Jury wählt dabei aus Vorschlägen aus, die jeder im Internet einreichen kann.
"Uns geht es um Wörter, die im öffentlichen deutschen Diskurs wie selbstverständlich verwendet werden und bei genauerer Analyse doch diffamierend oder diskreditierend sind", so Nina Janich gegenüber der "Süddeutschen Zeitung".