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Gesellschaft

Antike Siedlungen von Staudamm bedroht

Diego Cupolo mk
25. August 2017

In der Nähe der neolithischen Höhlen bei Hasankeyf in der Türkei haben die ersten Sprengungen begonnen. Die Siedlung aus der Frühzeit Mesopotamiens wird bald zugunsten eines umstrittenen Staudamms geflutet.

Türkei Hasankeyf
Bild: Diego Cupolo

Es war der Fluss Tigris, an dessen Ufern eine der ersten Siedlungen in der Menschheitsgeschichte entstand. Der Tigris ist es auch, der diese Siedlungen bald wieder verschlucken wird. Schuld daran sind die Pläne für einen Staudamm, mit dem große Teile des alten Mesopotamien im Südosten der Türkei geflutet werden sollen.

Der 1200 Megawatt starke Ilisu-Damm soll die benötigte Elektrizität und Bewässerung für die Region liefern. Doch Gegner des seit Jahrzehnten geplanten Projekts beklagen den Verlust der historischen Stätten, etwa der Siedlung Hasankeyf.

In Hasankeyf reichen die Spuren der Menschheitsgeschichte bis zu 10.000 Jahre vor Christus zurück. Die Siedlung ist eine der ältesten durchgängig bewohnten Gebiete der Welt mit Spuren von über 20 verschiedenen antiken Zivilisationen. Am Flussbett des Tigris gelegen, wurden die in Kalkstein geschlagenen Höhlen des Neolithikums später von einem römischen Lager sowie Wahrzeichen der Artukiden und der Osmanen überbaut.

Bis vor kurzem zog diese visuell faszinierende Überlagerung der Weltgeschichte noch zahlreiche Touristen an, aber seit einem Jahr sind die historischen Stätten nun abgeschottet. Vergangene Woche begannen Arbeiter, die Felsen von Hasankeyf zu sprengen, um das Gebiet für die Überflutung durch den Staudamm bereit zu machen.

Ein letzter Protest

Während die Missbilligung im In- und Ausland zunächst das Projekt noch lange hinauszögern konnte, scheiterten die Versuche, den Bau des Damms zu unterbinden, am Ende doch. Doch als die Sprengteams mit ihrer Arbeit begannen, hielt es Mehmet Ali Aslan, ein Abgeordneter der HDP-Partei für die Stadt Batman, nicht mehr aus, und starte aus eigener Kraft einen letzten Versuch, die Zerstörung aufzuhalten.

"Als ich diese Videos sah, konnte ich es nicht glauben", sagte Aslan der Deutschen Welle. "Ich musste an die Bombardierung Palmyras durch den IS oder die Zerstörung der Buddhistischen Statuen durch die Taliban denken. Wenn historische Stätten zerstört werden, dann ist das ein Akt des Terrors." 

Spontan, wie er sagt, kettete sich Aslan an einen Felsen im Hasankeyf-Tal und sorgte damit für eine kurzzeitige Pause bei den Sprengarbeiten. Türkische Staatsmedien berichteten in der Zeit, dass die Sprengarbeiten wichtig für die Beseitigung gefährlicher Felsformationen seien. Aslan hält jedoch dagegen: Die Flutung des Tals mit dem Schutt historischer Bauten sei nicht nur grausam, sondern auch ein günstiger Weg für die Baufirmen, den Stausee aufzubauen, der bald das Gebiet füllen soll.

Bald eine Unterwasserwelt: Die Täler HasankeyfsBild: DW/D. Cupolo

Aslan hat seinen Protest zwar mittlerweile beendet, aber gewarnt, dass er mit Verstärkung zurückkehren werde, sollten die Sprengarbeiten weitergehen.  

Als Reaktion auf die Kritik haben Behörden mitgeteilt, dass auch im Gebiet um den künftigen Staudamm neue Angebote für den Tourismus vorhanden seien, etwa Tauchexkursionen zu den gefluteten Denkmälern. Die türkischen Ministerien für Forst und Gewässer, sowie Tourismus und Kultur wollten sich dazu nicht äußern.

Kurzfristige Motivationen, langfristige Schäden

Am meisten frustriere ihn die Kurzsichtigkeit des Projekts, sagte Ridvan Ayhan, ein Mitglied der "Rettet Hasankeyf"-Initiative, der die Sprengungen beobachtet. Nach der Fertigstellung des Ilisu-Damms erwarte man eine maximale Laufzeit von 50-70 Jahren, bevor der Betrieb wieder eingestellt werde. In Ayhans Augen sind diese Erträge in der Energiegewinnung nicht mit der Zerstörung einer mehr als 10.000 Jahre alten Siedlung zu rechtfertigen.

Türkei: Ein Kulturerbe versinkt

05:20

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"Wer keine Vergangenheit hat, kann seine Zukunft nicht bestimmen", sagte Ayhan der DW. "Sie vernichten nicht nur unsere Geschichte, sondern nehmen uns auch unsere Zukunft weg, indem sie unser Erbe und unsere Einkommensquelle zerstören." Er möchte sich bei den kommenden Generationen entschuldigen, sagt Ayhan - "dafür, dass wir das zugelassen haben". 

Wenn das Gebiet geflutet ist, werden 199 Wohngebiete unter dem Wasser begraben und 15.000 Menschen wegziehen. Ihre neue Heimat ist die frisch gebaute und etwas höher gelegene Stadt namens Neu-Hasankeyf. Ayhan glaubt, dass die Umsiedelung aber auch einen anderen Grund hat: um die Landbevölkerung von dort wegzubringen, wo sie der kurdischen Guerilla-Miliz helfen kann.

Der Stausee würde nicht nur die weitere Verknüpfung regionaler Milizen mit der Kurdischen Arbeiterpartei PKK verhindern, einer von der türkischen Regierung als Terrororganisation verbotenen Bewegung, sondern ihnen auch den Zugang zu mehreren Dörfern versperren. 

Das Schweigen der UNESCO

Während der gesamten Debatte um Hasankeyf blieb vor allem die vorderste Front der Denkmalpflege sehr schweigsam, die Weltkulturerbeorganisation UNESCO. Das lag vor allem daran, dass Staatsregierungen ihre Denkmäler selbst bei der UNESCO einreichen müssen, damit die Organisation sie als solche aufführt. Und weil die Pläne für den Ilisu-Damm bereits seit den 1950er Jahren in türkischen Behörden vorliegen, hatte sich die türkische Regierung nie um eine solche Anerkennung für Hasankeyf bemüht.

"Die UNESCO ist nicht verpflichtet, über die inneren Angelegenheiten seiner Mitglieder zu urteilen", teilte Roni Amelan, Sprecher der UNESCO mit. "Weil die Anlage kein Weltkulturerbe ist, müssen wir ihre Handhabung als inländisches Thema ansehen."

Der Staudamm gefährdet auch den Tourismus in der RegionBild: DW/D. Cupolo

Der Tourismus in Hayankeyf geht baden  

Kritiker kreiden der UNESCO diese Untätigkeit an: Die Weigerung, sich zu Hasankeyf zu äußern, schade der Glaubwürdigkeit der Organisation. Ali, ein kurdischer Archäologe, der anonym bleiben möchte, beschuldigt auch die örtliche Anwohnerschaft, die Konstruktion des Damms zugelassen zu haben.

"Vor fünf bis zehn Jahren gab es noch eine starke Gegenbewegung", sagt er der DW. "Jetzt sind die Menschen zu sehr mit dem Krieg in Syrien und der türkischen Politik beschäftigt, als dass unsere Denkmäler sie noch interessieren." 

Obwohl ein bedeutendes Grabmal zu Erhaltungszwecken noch rechtzeitig entfernt werden konnte, sagt Ali, schätzten die Türken ihre historischen Denkmäler nicht genug. "Sie haben nicht die Voraussicht, die Denkmäler in einer wirtschaftlich effektiveren Perspektive zu sehen", sagt Ali. "Wir hätten den Machu Picchu oder die Pyramiden haben können. Wir könnten richtige Touristenattraktionen haben, aber die Regierung kümmert sich um kein Erbe, das östlich von Ankara liegt."