Ernst Jünger und Erich Maria Remarque und ihre Büchern zum Ersten Weltkrieg
9. August 2014Sie konnten sich wohl nicht ausstehen. So zumindest beschreiben es die Weggefährten der beiden. Ernst Jünger, der Sohn aus bürgerlichem Hause, soll auf den drei Jahre jüngeren Erich Maria Remarque hernieder geblickt und ihn naserümpfend einen "eitlen Bonvivant mit Ehrgeiz und ohne Talent" genannt haben. Der wiederum scherte sich nicht um seine einfache Herkunft und attestierte Ernst Jünger "staubtrockene Soldatenschreibe" und Konkurrenzneid.
Zeit des Umbruchs
Dabei lieferten beide die zwei wichtigsten literarischen Zeugnisse zum Ersten Weltkrieg. "Im Westen nichts Neues" von Erich Maria Remarque gilt bis heute als der Antikriegsroman par excellence. Er wurde in mehr als 50 Sprachen übersetzt und weltweit über 20 Millionen Mal verkauft. Ernst Jünger verarbeitete seine Kriegserfahrungen in seinem Tagebuch "In Stahlgewittern". Seine detailgenauen Beschreibungen spalten bis heute die Gemüter. Die einen werfen ihm die Ästhetisierung der Gewalt vor, die anderen rühmen ihn für seine Schonungslosigkeit.
Zwei sehr unterschiedliche Literaturklassiker, zwei grundverschiedene Autoren - so scheint es zumindest auf den ersten Blick. Dabei waren sich Ernst Jünger und Erich Maria Remarque ähnlicher als man glaubt. Beide wurden Ende des 19. Jahrhunderts geboren, hinein in eine Zeit des Umbruchs. Der technologische Fortschritt entwickelte sich in rasantem Tempo, die globale Wirtschaft explodierte. Frauen gingen für ihre Rechte auf die Straßen und Psychoanalytiker durchleuchteten das menschliche Unterbewusstsein. Dieser Wandel hinterließ in ganz Europa eine große gesellschaftliche Verunsicherung.
Jüngers Alltag im Schützengraben
Viele sehnten sich einen "reinigenden Krieg" herbei. Eine Art Naturereignis, das die Kräfteverhältnisse in Europa neu ordnen sollte. Wie viele seiner Altersgenossen stürzte sich der junge Ernst Jünger 1914 freiwillig in dieses große Abenteuer. Doch statt eines heroischen Blitzkrieges erwartete ihn die hässliche Fratze des Schützengrabens. Er kämpfte bis zuletzt an vorderster Front, wurde mehrfach verwundet und nach Kriegsende mit der höchsten militärischen Auszeichnung, dem Pour le Mérite-Orden, geehrt.
Jünger führte während der Kriegsjahre minutiös Tagebuch. Seine "Stahlgewitter" ließen ihn nicht mehr los. Fast manisch überarbeitete er den Text über die Jahre und hinterließ sieben Fassungen, die sich in ihrer Aussagekraft grundlegend unterscheiden. In den ursprünglichen Tagebuchaufzeichnungen fragt der kriegsmüde Jünger noch mahnend:
"Was soll das Morden und immer wieder Morden? […] Wann hat dieser Scheißkrieg ein Ende."
Später werden diese Zweifel sukzessive ersetzt durch metaphorische Beschreibungen. Die authentische Ohnmacht weicht einer artifiziellen Sprache.
"Das moderne Schlachtfeld gleicht einer ungeheuren, ruhenden Maschinerie. […] Dann fährt als feurige Ouvertüre eine einzelne rote Leuchtkugel in die Höhe und mit einem Schlag beginnt das Werk."
Manische Bearbeitung
Diese Überhöhung des Krieges machte Ernst Jünger zu einer Gallionsfigur der konservativen Rechten, wobei der Autor selbst sich eher als Teil der Avantgarde sah und sein Werk mehr Parallelen etwa zum Futurismus aufweist. Auch die spätere Vereinnahmung durch die Nationalsozialisten war Jünger Zeit seines Lebens zuwider. Vielmehr offenbart seine Überarbeitungsmanie, wie tief das Trauma des Krieges in ihm steckte.
Mit jeder neuen Fassung versuchte er, einen Sinn in das Grauen zu projizieren, das Unsagbare für sich erklärbar zu machen. Hinter Jüngers Stilisierung steckt ein psychologischer Verarbeitungsprozess, der literarisch einzigartig ist. Erst der Vergleich der unterschiedlichen "Stahlgewitter"-Ausgaben zeigt, welche Wunden der Krieg hinterließ, die nie wirklich verheilten.
Remarques verlorene Generation
Viel unmittelbarer beschrieb Erich Maria Remarque den Ersten Weltkrieg. "Im Westen nichts Neues" ist das Porträt einer Generation, die von der Schulbank weg euphorisch an die Front zog und am Ende in einer mörderischen Kriegsmaschinerie umkam.
"Wir lernten, dass ein geputzter Knopf wichtiger ist als vier Bände Schopenhauer. Zuerst erstaunt, dann erbittert und schließlich gleichgültig erkannten wir, dass nicht der Geist ausschlaggebend zu sein schien, sondern […] der Drill."
Das Gemetzel in den Gräben, die Nacht im Granatenhagel, die Langeweile zwischen den Sturmangriffen - all das erlebt Remarques Ich-Erzähler, ein junger Rekrut, hautnah. Aus dem feinsinnigen Schüler wird ein abgestumpftes Halbwesen.
"Ein Gefreiter […] schleppt die zerschmetterten Knie hinter sich her; ein anderer geht zur Verbandstelle, und über seine festhaltenden Hände quellen die Därme. […] Das Grauen lässt sich ertragen, solange man sich einfach duckt; aber er tötet, wenn man darüber nachdenkt."
Notlüge für Welterfolg
So drastisch Remarque auch das Kriegsgeschehen schilderte, er selbst musste nur kurz an der Front kämpfen. 1916 wurde er als Schüler zwangsweise eingezogen, kurz darauf verwundet und in ein Lazarett verlegt. Dort lauschte er den Fronterzählungen der Schwerverletzten, machte sich Notizen, aus denen später sein weltberühmter Roman hervorging. Doch um die Vermarktung anzukurbeln, behauptete Remarque, alles selbst erlebt zu haben.
"Im Westen nichts Neues" kam 1929 als Buch heraus und wurde über Nacht zu einem der größten Erfolge der deutschen Literatur. Kritiker auf der ganzen Welt feierten den Roman als "pazifistische Anklage gegen den Krieg". Kurze Zeit später wurde er sogar von Hollywood verfilmt.
Verbrannt und verboten
Rechte Kreise in Deutschland sahen dagegen das Andenken ihrer Soldaten in den Dreck gezogen. 1933, nach der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten wurde Remarques Buch öffentlich verbrannt und verboten. Sein Autor war da schon längst in die Schweiz emigriert.
Bis zu seinem Tod genoss Remarque sein Image als Pazifist und zehrte von seinem frühen Ruhm. Daran anknüpfen konnte er nicht mehr. Erst Jahre später gestand er, schon immer ein unpolitischer Mensch gewesen zu sein.
Es sind wohl diese feinen Nuancen und kleinen Widersprüche, die sowohl Remarques als auch Jüngers Leben und Literatur geprägt haben. Der eine taugt ebenso wenig zum Antikriegshelden wie der andere zum Kriegsapologeten. Beide versuchten die Wucht des Ersten Weltkrieges mit Worten zu bannen. Es ist beiden geglückt - auf ihre ganz eigene Weise.