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Literatur

Cartoon-Buch "Antisemitismus für Anfänger"

7. November 2020

Witze über den Antisemitismus: im jüdischen Humor eine Waffe, um sich zur Wehr zu setzen. Ein neues Buch verspricht sogar eine Einführung für Judenhasser.

Karikatur aus dem Buch "Antisemitismus für Anfänger“: Ein Mann und eine Frau sitzen vor dem Fernseher. Sie sagt: "Nur eine Spezialtür konnte den Mörder von Halle aufhalten!" Er erwidert: "Dafür haben sie Geld!"
Bitterböse sind die Karikaturen im gerade erschienenen Buch "#Antisemitismus für Anfänger"

Es sind die Tage nach dem Attentat auf die Synagoge im ostdeutschen Halle. Damals, am 9. Oktober 2019, hatte nur die massive Holztür ein Blutbad in dem vollbesetzten jüdischen Gotteshaus verhindert. Die Cartoonistin Miriam Wurster greift die Stimmung danach auf. Ihre Zeichnung zeigt eine feierabendliche Wohnzimmer-Idylle, der Fernseher läuft, der Hausherr trinkt Bier. Die Bemerkung der Ehefrau, nur eine Spezialtür habe den Mörder aufhalten können, quittiert ihr Mann mit der abfälligen Antwort: "Dafür haben sie Geld!" Das ist bitterböse.

Jüdischer Humor - eine Art Schutzschild

Erst Wochen nach dem Angriff eines mutmaßlichen Rechtsextremen auf die Synagoge kam ans Tageslicht, dass die Ausstattung mit einer wehrhaften Tür der Gemeinde nicht vom deutschen Staat bezahlt wurde. Nein, eine Stiftung in den USA finanzierte den Schutz, der den Menschen das Leben rettete. Miriam Wurster hat in ihrer Zeichnung das antisemitische Vorurteil vom reichen Juden aufgegriffen. Ihre Karikatur ist Teil eines ungewöhnlichen Buchs, das viel über die Schärfe des jüdischen Witzes erzählt. "#Antisemitismus für Anfänger - Eine Anthologie", herausgegeben von Verlegerin Myriam Halberstam im kleinen Ariella-Verlag, vereint gut 60 Karikaturen und 17 ironisch-satirische Texte. Die Zeichnungen kommen von Stars der Szene - allein zehn von Til Mette - ebenso wie von Illustratoren des legendären Magazins New Yorker sowie aus Frankreich und den Niederlanden.

Bild: Dirk Meissner/Ariella Verlag

"Deutscher Jude! Lächerlich!"

Den Betrachter sprechen wahrscheinlich vor allem die Karikaturen und Cartoons mit ihrem Witz und düsteren Humor an. Doch auch unter den Textbeiträgen finden sich Perlen. Köstlich, wenn der Journalist Alan Posener, 1949 in London als Sohn einer Britin und eines deutschen Juden geboren, den Moment kurz vor seiner Einschulung beschreibt, in dem seine Mutter ihm zu erklären versucht, dass der Vater eben deutscher Jude sei. "Nun, meine Mutter hatte ihre Launen. Diese würden auch verfliegen. Ich beschloss, die Sache einfach zu ignorieren. Deutscher Jude! Lächerlich", endet Posener. Und beim Lesen rätselt man: Ist das Satire oder einfach nur die Realität?

Myriam Halberstam gründete 2010 den Ariella-Verlag in BerlinBild: Heike Steiweg

Karikaturen, Cartoons, Satirisches über Juden und über Religion haben eine lange Tradition und doch sind sie heutzutage ein heikles und durchaus gefährliches Projekt: in einer Zeit, in der Menschen riskieren, wegen ihrer Zeichnungen ermordet zu werden. So wie im Januar 2015, als elf Mitarbeiter des französischen Satire-Magazins "Charlie Hebdo" regelrecht hingerichtet wurden. Oder im Oktober dieses Jahres, als der Lehrer Samuel Paty enthauptet wurde, nachdem er vor einer Schulklasse über die Mohammed-Karikaturen sprach. Für die islamistischen Täter war das die Rache für die ihrer Ansicht nach respektlose Religionskritik. 

Comics neben Kinderbüchern

Doch zum Judentum gehört Humor dazu, es hat sogar ganz eigenen Humor. Dazu gehört ein manchmal beißender Witz mit sehr ernstem Unterton. Viele der Karikaturen zielen in diese Richtung. Und vielleicht schwingt in mancher Arbeit auch schon gefährliche Gewöhnung mit. Denn Karikaturen spießen letztlich ja auch geprägte Meinungen ihrer Betrachter auf. Die Verlegerin Myriam Halberstam hat in ihrer Anthologie zahlreiche Beispiele versammelt.   

2010 ging die gebürtige New Yorkerin, die damals schon lange in Deutschland lebte, mit ihrem "Ariella Verlag" an den Start. Damals allerdings noch nicht mit Comics: "Ariella" war und ist der erste jüdische Kinderbuchverlag in Deutschland nach der Schoa, dem Massenmord an den Juden. Es war ein Wagnis. In diesem Jahr 2020 zählte der Verlag zu den Preisträgern des Deutschen Verlagspreises, den Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) vergibt.

"Ideell hat es sich gelohnt", sagt sie gegenüber der DW, "weil ich die Buchlandschaft Deutschlands besonders für jüdische Familien erweitert habe". Vorher sei der Markt für jüdische Kinderbücher vom amerikanischen Angebot geprägt gewesen, "überwiegend orthodox und dogmatisch". Mit dem Ariella-Verlag wurde das Angebot erweitert. Myriam Halberstam wollte auch, dass es für ihre Töchter, die nun dem Teenager-Alter entwachsen, andere Bücher gibt. "Ein Pferd zu Channukka", eines der frühen Werke, ist ein Klassiker, das bislang erfolgreichste Buch. Ein gutes Dutzend Kinder- und Jugendbücher folgten. Fast 70 Jahre nach der Schoa sorgte sie auch für die erste Kinder-Thora in moderner deutscher Sprache. Auch so etwas zeigt die Normalität heutigen jüdischen Lebens in Deutschland. Halberstam versucht, einen "frischen, modernen Bick auf das Judentum" zu werfen. Darin sieht sie für alle Juden einen Gewinn.

"Gefährliche Ermüdung"

Letztlich fungiert Halberstam als Ein-Frau-Unternehmen. Jedes Buch ist ein langer Weg. Pressekontakte und Gespräche mit Autoren oder Grafikern, Druckerei und Buchhandel. Seit zwei Jahren bietet Halberstam auch Literatur für Erwachsene. "Schalömchen - Witzige koschere Comics" von Ben Gershon machte den Auftakt. Nun folgt die "Anthologie" zum Thema Judenhass. "Antisemitismus ist ein hochaktuelles Thema", sagt die Verlegerin. Es zeige sich schon länger eine Ermüdung, die ganz gefährlich sei. "Wir haben so viele Antisemitismus-Beauftragte, und der Antisemitismus steigt trotzdem."

Die Schärfe des jüdischen Humors zeigt sich schon im Titel des neuen BuchsBild: Katharina Greve/Ariella Verlag

Auch zum Agieren solcher Beauftragter steuert das Buch eine Karikatur bei: "Der Antisemitismus-Beauftragte der Bundesregierung warnt Juden davor, die Kippa in muslimischen Vierteln zu tragen", schreibt der preisgekrönte Cartoonist Mock, bekannt unter anderem aus dem deutschen Wochenmagazin "Stern", unter seine Zeichnung. Zu sehen ist eine Straßenszene, die im Migranten-Milieu in Berlin-Neukölln oder Duisburg spielen könnte: hier ein türkischer Döner-Imbiss, dort ein Telefonladen, ebenfalls in türkischer Hand. Ein bärtiger Mann im langen Mantel und Gebetbuch unter dem Arm, der unschwer als orthodoxer Jude zu erkennen ist, versteckt seine Kippa unter einem gewaltigen Sombrero. Im Jahr 2020 kann einem das Lachen auch mal im Halse stecken bleiben.

So schwingt bei der Lektüre des Buches eine Mischung aus Stolz und Trotz, aus Sarkasmus und Witz mit. Allesamt Eigenheiten des jüdischem Humors. "Das ist ein Gute-Laune-Buch", sagt Myriam Halberstam. Beim Thema Antisemitismus sei das schon eine Leistung. Beides stimmt.

Der Cartoon-Band "#Antisemitismus für Anfänger" ist im Ariella-Verlag erschienen.

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