Als Yorai Feinberg in Berlin ein Restaurant eröffnete, fühlte sich der Israeli willkommen. Heute erlebt er immer öfter antisemitische Anfeindungen. Der Hass wird radikaler: Das belegt auch eine aktuelle Studie.
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"Ludwig Fischer" hat wieder geschrieben. Yorai Feinberg hat sich mittlerweile daran gewöhnt. Alle paar Tage erhält der Berliner Gastronom E-Mails von dem Mann, der sich so nennt wie ein Führer von Hitlers berüchtigter Sturmabteilung. Feinberg sei eine "dreckige Ratte", der Holocaust sei nur ein "Schwindel", und alle Juden würden sowieso in der Gaskammer landen.
Mittlerweile hat Feinberg fast 60 Seiten Hassmails gesammelt, allein von "Ludwig Fischer". 60 Seiten Beleidigungen, Holocaustleugnungen und Drohungen. "Ich nehme es mittlerweile nicht mehr so persönlich. Ich nehme es auch nicht mehr ernst", erklärt Feinberg.
Die Tabuschwelle sinkt
Als der Israeli vor sechs Jahren nach Deutschland kam, fühlte er sich auf Anhieb wohl: "Ich war direkt sehr willkommen in Berlin." Feinberg lebte vorher unter anderem in Wien, dort sei die Stimmung gegenüber Juden und Israelis nicht so entspannt gewesen wie in Deutschland. Doch er fügt hinzu: "Die Zeiten haben sich mittlerweile ein bisschen verschlechtert."
Vor allem im Internet nehmen Angriffe und Beleidigungen gegen Juden und Israelis zu. Das belegt eine neue Studie der Technischen Universität Berlin. Die Forscher untersuchten 300.000 meist anonym verfasste Texte. Die Mehrzahl stammt aus den Sozialen Medien. Das Ergebnis: Es gibt nicht nur mehr Hass-Kommentare gegen Juden, sie werden auch radikaler. "Die Tabuschwelle sinkt", erklärt Monika Schwarz-Friesel in Berlin. Sie ist die Leiterin der Studie am Institut für Sprache und Kommunikation. "Menschen nutzen die Anonymität des Internets für antisemitische Kommentare."
Judenhass aus der Mitte der Gesellschaft
Yorai Feinberg erlebt seine erste Anfeindung in Berlin auf offener Straße. Im Dezember 2017 beleidigt ihn ein Mann minutenlang vor seinem Restaurant. Er stellt das Video anschließend ins Internet. Die Solidarität ist groß und kommt aus ganz Deutschland. Seitdem kommen aber auch immer mehr Anfeindungen. "Das Problem sind nicht einzelne böse Personen, sondern die vielen Mitläufer", sagt Feinberg.
Die Studie der TU Berlin bestätigt das. "Antisemitismus kommt nicht nur in der rechtsextremen und populistischen Szene vor", fasst Schwarz-Friesel die Ergebnisse zusammen. Auch politisch-linke, liberale Menschen und Muslime würden durch antisemitische Kommentare auffallen. "Der Antisemitismus im Alltag aus der Mitte der Gesellschaft ist am gefährlichsten", so die Einschätzung der Forscherin. Radikale Kommentare würden oft als Spinnerei abgetan. Sobald Antisemitismus aber auch von der gebildeten Bevölkerung ausgehe, werde er immer stärker akzeptiert.
Alte Vorurteile
Die Anfeindungen gegen Yorai Feinberg kommen vor allem aus dem rechten Spektrum. Dafür sprechen nicht nur Pseudonyme wie "Ludwig Fischer", auch die Mails selbst zeigen bestimmte Muster. Die Verfasser leugnen den Holocaust und sagen, Konzentrationslager habe es nie gegeben. Die Juden seien selbst für den Massenmord im Zweiten Weltkrieg verantwortlich, und nicht die Nationalsozialisten.
Verantwortlich für die Entwicklung sind für Yorai Feinberg viele: "Die Atmosphäre in Deutschland ist generell viel extremer geworden, in alle Richtungen. Die Rechte wird extremer, als Reaktion wird die Linke extremer", sagt der Gastronom. Auch die zunehmende Migration nach Europa spiele dabei eine Rolle.
Die Qualität der Beleidigungen und Anfeindungen scheint sich dabei aber nicht verändert zu haben. "Wir waren selbst erschrocken, dass sich die Vorurteile gegenüber Juden in den letzten Jahrhunderten kaum verändert haben", sagt Monika Schwarz-Friesel von der TU Berlin. Die Argumente von Antisemiten, die Juden als "Übel der Welt" sehen, unterscheiden sich kaum von denen des 16. Jahrhunderts. Oft seien die Vorurteile heute aber vermischt mit Kritik an Israel.
Keiner der Angreifer bestraft
Ob alte Vorurteile oder Antisemitismus getarnt als Israelkritik – Yorai Feinberg geht gegen den Hass vor. Das ist nicht immer leicht. Als er die ersten Hassmails von "Ludwig Fischer" auf Facebook stellt, löscht das Netzwerk den Beitrag und sperrt seinen Account. Der Algorithmus unterscheidet nicht zwischen drohenden und bedrohten Menschen. Feinberg betont, dass die Justiz das Thema sehr ernst nimmt, getan hat sich aber noch nicht viel: "Bis jetzt wurde keiner der Angreifer bestraft. Ich habe schon mehrere extreme Fälle erlebt, bei denen ich denke, dass sie eine Strafe bekommen sollten."
"Wenn der Trend so weitergeht, wird der Antisemitismus nicht nur im Internet, sondern auch im echten Leben immer normaler werden", warnt Wissenschaftlerin Schwarz-Friesel. Internet und Realität seien heute schon stark miteinander verbunden. Yorai Feinberg hofft trotzdem, dass sich die Lage in den nächsten Jahren wieder beruhigt: "Ich werde Deutschland nicht verlassen wegen eines kleinen bedeutungslosen Teils der Gesellschaft."
Das Kino und der Antisemitismus: Zwischen Reflexion und Propaganda
Im Kino gab es auch vor 1933 und nach 1945 Filme mit antisemitischen Tendenzen. Aber es gab auch Werke, die kritisch mit Fremdenhass umgingen. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde dann zögerlich der Holocaust zum Thema.
Bild: picture-alliance/dpa/S. Kugler
Jüdische Legende: Der Golem
"Der Golem, wie er in die Welt kam" von und mit Paul Wegener ist einer der berühmtesten deutschen Stummfilme. Er entstand 1920 und blickt zurück auf Prag im 16. Jahrhundert: Das jüdische Ghetto der Stadt ist in Gefahr, der Kaiser verfügt, dass die Juden die Stadt verlassen sollen. Helfen kann nur die mythische Gestalt des Golem. Ein früher Film, der von Judenverfolgung erzählt.
Bild: picture alliance / United Archiv
Judenverfolgung im frühen Kino: Die Stadt ohne Juden
Als filmhistorisch wichtiges Beispiel für die Beschäftigung des Kinos mit dem Antisemitismus gilt der österreichische Film "Die Stadt ohne Juden". Das Werk nach einem Roman von Hugo Bettauer spielt im Wien der 1920er Jahre und zeigt, wie die Bevölkerung die Juden für alle gesellschaftlichen Missstände verantwortlich macht. Kritiker bemängeln allerdings auch antisemitische Klischees in dem Film.
Bild: Filmarchiv Austria
Monumentales aus Hollywood: Griffiths "Intolerance"
Vier Jahre zuvor hatte der amerikanische Regisseur D.W. Griffith mit "Intolerance" den monumentalen Geschichtsfilm erfunden. Darin erzählt er in vier Episoden von historischen Ereignissen und klagt menschliche Intoleranz an. Doch in den Szenen, die von der Kreuzigung Jesu erzählen, verfängt sich Griffith in Vorurteilen gegen Juden. Heute werfen Experten "Intolerance" antisemitische Tendenzen vor.
Bild: picture-alliance / Mary Evans Picture Library
Christlich-jüdische Geschichte in "Ben Hur"
"Ben Hur", mehrfach verfilmt, erzählt von Auseinandersetzungen von Juden und Christen zu Beginn des 1. Jahrhunderts. Die erste Verfilmung des Stoffs entstand 1925: Der jüdische Prinz Judah Ben Hur lebt als Zeitgenosse von Jesu Christi im römisch besetzten Jerusalem. Noch heute diskutiert die Filmwissenschaft über die Darstellung der christlich-jüdischen Beziehungen in den Ben-Hur-Filmen.
Bild: Imago/United Archives
Aufarbeitung nach dem Krieg: Der Prozeß
Ein heute wenig bekannter, aber erstaunlicher Film ist G.W. Pabsts "Der Prozeß", der drei Jahren nach Kriegsende in Österreich entstand. Pabst erzählt die Geschichte eines historischen Falls in Ungarn im Jahr 1882: In einem Dorf verschwindet ein Mädchen - Schuld daran sollen Juden sein. Die Folge ist ein Pogrom. "Der Prozeß" ist ein frühes Beispiel, wie das Kino auf den Holocaust reagiert hat.
Bild: Filmarchiv Austria
Das Grauen im Bild: "Nacht und Nebel"
Doch ein Spielfilm wie "Der Prozeß" war die Ausnahme. Nach Ende des Krieges brauchten die europäischen Regisseure lange, um sich des Themas in aller Deutlichkeit anzunehmen. Der Franzose Alain Resnais war der erste, der 1955 die NS-Vernichtungspolitik gegen die Juden in seinem halbstündigen Dokumentarfilm "Nacht und Nebel" schonungslos darstellte.
Bild: picture-alliance/Mary Evans Picture Library/Ronald Grant Archive
TV-Serie "Holocaust" brach den Bann
Erst ein in den USA gedrehter TV-Mehrteiler brachte den Holocaust in das Bewusstsein breiter Bevölkerungsschichten. 1978 drehte Regisseur Marvin J. Chomsky "Holocaust - Die Geschichte der Familie Weiss". Im dem vierteiligen Werk wird gezeigt, wie eine jüdische Familie aus Berlin in das Räderwerk der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik gerät.
Bild: picture-alliance/dpa
Steven Spielbergs "Schindlers Liste"
Was der Serie "Holocaust" für das Fernsehen gelang, schaffte 15 Jahre später der amerikanische Regisseur Steven Spielberg für das Medium Kino. Auf großer Leinwand erzählte Spielberg von den bestialischen Taten der SS. Am Beispiel des SS-Offiziers Amon Göth dekliniert der Regisseur durch, zu welch brutalen Auswüchsen der Antisemitismus in Nazi-Deutschland, vor allem im Osten Europas, führte.
Bild: picture alliance/United Archives
Claude Lanzmann und sein Blick auf die "Shoah"
Der französische Regisseur Claude Lanzmann reagierte auf Spielbergs Film mit beißender Kritik: "Er hat nicht richtig nachgedacht über den Holocaust und das Kino. Man kann den Holocaust nicht darstellen", so Lanzmann über den US-Regisseur. Er selbst beschäftigte sich auf ganz andere Art und Weise mit Antisemitismus und Holocaust: in langen Dokumentar- und Essayfilmen wie "Shoah" und "Sobibor".
Bild: picture-alliance/akg-images
Dem Holocaust mit Humor begegnen
Einen der schwierigsten Ansätze, sich mit Antisemitismus und Holocaust zu beschäftigen, wählte der italienische Komiker und Filmemacher Roberto Bengini. 1997 hatte sein Film "Das Leben ist schön" Premiere, eine Geschichte vom Leid der Juden im Konzentrationslager, eine Geschichte aber auch, in der der Humor eine befreiende Wirkung hat.
Bild: picture-alliance/dpa
Roman Polanskis "Der Pianist"
Einen bewegenden Film legte der polnisch-französische Regisseur Roman Polanski 2002 vor. Der Film schildert das Schicksal des polnischen Pianisten und Komponisten Władysław Szpilman in den Kriegsjahren 1943/44. Damit verarbeitete der Regisseur auch seine eigene Geschichte. Polanskis Mutter sowie weitere Familienangehörige wurden von den Nazis deportiert und ermordet.
Bild: imago stock&people
Umstritten: Scorseses Jesus-Film "Die letzte Versuchung Christi"
Einen Sonderfall stellen die Filme dar, in denen aus verschiedenen Perspektiven das Leben Jesu geschildert wird. Diese Werke gerieten oft in den Fokus von Auseinandersetzungen über Antisemitismus. Auch Martin Scorseses Film aus dem Jahre 1988 wurde vorgeworfen, antisemitische Klischees zu bedienen - etwa wenn Juden im Film indirekt mit Geldgier in Verbindung gebracht werden.
Bild: picture-alliance/dpa
Skandalfilm "The Passion of the Christ" von Mel Gibson
Noch heftiger wurde im Jahr 2004 über den Jesus-Film des Australiers Mel Gibson gestritten. Christen und Juden warfen dem Film Antisemitismus vor: Dem im neuen Testament implizierten Vorwurf, Juden seien Schuld am Tod Jesu (der ja selbst auch Jude war), wäre Gibson nicht entgegengetreten. Gibson fiel in der Öffentlichkeit darüberhinaus mit antisemitischen Äußerungen auf.
Bild: picture-alliance/dpa
Türkischer Antisemitismus: Tal der Wölfe
Antisemitismus warfen Zuschauer und Kritiker auch dem türkischen Film "Tal der Wölfe" vor. Die actiongeladene Kinoversion einer gleichnamigen TV-Serie erzählte - in mehreren Teilen - vom Kampf türkischer Soldaten gegen Israel. Der Film bediene "antiamerikanische, antiisraelische und antisemitische Stereotyp-Bilder mit volksverhetzendem Charakter", lautete der Vorwurf verschiedener Organisationen.
Bild: picture-alliance/dpa/S. Kugler
Deutscher TV-Erfolg in der Kritik
Wie schwierig der Umgang mit dem Thema Zweiter Weltkrieg auch heute noch ist, zeigte zuletzt die dreiteilige TV-Serie "Unsere Mütter, unsere Väter" (2013). Dem Film, der das Schicksal einer Handvoll deutscher Soldaten an der Ostfront zeigt, wurde in Polen Antisemitismus vorgeworfen. Der TV-Film zeichne ein falsches Bild des polnischen Widerstandes und sei antisemitisch, so die Kritik.
Bild: picture-alliance/dpa/J. Wolf
Solide Aufarbeitung: Hannah Arendt
Auf positive Kritiken stieß Margarethe von Trottas Film über Hannah-Arendt (2012). Die Regisseurin zeichnete ein Bild der Philosophin und Publizistin, die sich in den 1960er Jahren mit einem Hauptverantwortlichen antisemitischer NS-Vernichtungspolitik auseinandersetzte: Adolf Eichmann. Arendt schuf den Begriff der "Banalität des Bösen" - Antisemitismus, versteckt als Akt biederer Bürokratie.
Bild: picture-alliance/dpa/Heimatfilm/NFP
Streit um "Wonder Woman"
Weil die Darstellerin des aktuellen Hollywood-Superheldinnenfilms "Wonder Woman" von der Israelin Gal Gado gespielt wird, weigerten sich Behörden und Kinos in mehreren arabischen Ländern, den Film zu zeigen. Gado hatte zuvor in der Armee ihres Landes gedient und dies auch offensiv verteidigt. "Wonder Woman" nicht zu zeigen, sei antisemitisch, argumentierte nun die israelische Öffentlichkeit.