1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Gesellschaft

Juden in Deutschland: Der Hass wächst

Patrick Große
18. Juli 2018

Als Yorai Feinberg in Berlin ein Restaurant eröffnete, fühlte sich der Israeli willkommen. Heute erlebt er immer öfter antisemitische Anfeindungen. Der Hass wird radikaler: Das belegt auch eine aktuelle Studie.

Berliner Wirt antisemitisch beschimpft
Bild: picture-alliance/dpa/J. Carstensen

"Ludwig Fischer" hat wieder geschrieben. Yorai Feinberg hat sich mittlerweile daran gewöhnt. Alle paar Tage erhält der Berliner Gastronom E-Mails von dem Mann, der sich so nennt wie ein Führer von Hitlers berüchtigter Sturmabteilung. Feinberg sei eine "dreckige Ratte", der Holocaust sei nur ein "Schwindel", und alle Juden würden sowieso in der Gaskammer landen.

Mittlerweile hat Feinberg fast 60 Seiten Hassmails gesammelt, allein von "Ludwig Fischer". 60 Seiten Beleidigungen, Holocaustleugnungen und Drohungen. "Ich nehme es mittlerweile nicht mehr so persönlich. Ich nehme es auch nicht mehr ernst", erklärt Feinberg.

Die Tabuschwelle sinkt

Als der Israeli vor sechs Jahren nach Deutschland kam, fühlte er sich auf Anhieb wohl: "Ich war direkt sehr willkommen in Berlin." Feinberg lebte vorher unter anderem in Wien, dort sei die Stimmung gegenüber Juden und Israelis nicht so entspannt gewesen wie in Deutschland. Doch er fügt hinzu: "Die Zeiten haben sich mittlerweile ein bisschen verschlechtert."

Bild: picture-alliance/dpa/J. Carstensen

In den vergangenen Monaten gab es immer wieder Angriffe auf Juden in Deutschland. Gerade erst war ein US-amerikanischer Professor in Bonn von einem Deutschen mit palästinensischen Wurzeln attackiert worden. Für Aufsehen sorgte im April auch ein Gürtel-Angriff auf einen Kippa tragenden Israeli in Berlin.

Vor allem im Internet nehmen Angriffe und Beleidigungen gegen Juden und Israelis zu. Das belegt eine neue Studie der Technischen Universität Berlin. Die Forscher untersuchten 300.000 meist anonym verfasste Texte. Die Mehrzahl stammt aus den Sozialen Medien. Das Ergebnis: Es gibt nicht nur mehr Hass-Kommentare gegen Juden, sie werden auch radikaler. "Die Tabuschwelle sinkt", erklärt Monika Schwarz-Friesel in Berlin. Sie ist die Leiterin der Studie am Institut für Sprache und Kommunikation. "Menschen nutzen die Anonymität des Internets für antisemitische Kommentare."

Judenhass aus der Mitte der Gesellschaft 

Yorai Feinberg erlebt seine erste Anfeindung in Berlin auf offener Straße. Im Dezember 2017 beleidigt ihn ein Mann minutenlang vor seinem Restaurant. Er stellt das Video anschließend ins Internet. Die Solidarität ist groß und kommt aus ganz Deutschland. Seitdem kommen aber auch immer mehr Anfeindungen. "Das Problem sind nicht einzelne böse Personen, sondern die vielen Mitläufer", sagt Feinberg. 

Antisemitische Delikte führen die Liste der religiös motivierten Straftaten 2017 an

Die Studie der TU Berlin bestätigt das. "Antisemitismus kommt nicht nur in der rechtsextremen und populistischen Szene vor", fasst Schwarz-Friesel die Ergebnisse zusammen. Auch politisch-linke, liberale Menschen und Muslime würden durch antisemitische Kommentare auffallen. "Der Antisemitismus im Alltag aus der Mitte der Gesellschaft ist am gefährlichsten", so die Einschätzung der Forscherin. Radikale Kommentare würden oft als Spinnerei abgetan. Sobald Antisemitismus aber auch von der gebildeten Bevölkerung ausgehe, werde er immer stärker akzeptiert.

Alte Vorurteile

Die Anfeindungen gegen Yorai Feinberg kommen vor allem aus dem rechten Spektrum. Dafür sprechen nicht nur Pseudonyme wie "Ludwig Fischer", auch die Mails selbst zeigen bestimmte Muster. Die Verfasser leugnen den Holocaust und sagen, Konzentrationslager habe es nie gegeben. Die Juden seien selbst für den Massenmord im Zweiten Weltkrieg verantwortlich, und nicht die Nationalsozialisten.

Verantwortlich für die Entwicklung sind für Yorai Feinberg viele: "Die Atmosphäre in Deutschland ist generell viel extremer geworden, in alle Richtungen. Die Rechte wird extremer, als Reaktion wird die Linke extremer", sagt der Gastronom. Auch die zunehmende Migration nach Europa spiele dabei eine Rolle.

Die Qualität der Beleidigungen und Anfeindungen scheint sich dabei aber nicht verändert zu haben. "Wir waren selbst erschrocken, dass sich die Vorurteile gegenüber Juden in den letzten Jahrhunderten kaum verändert haben", sagt Monika Schwarz-Friesel von der TU Berlin. Die Argumente von Antisemiten, die Juden als "Übel der Welt" sehen, unterscheiden sich kaum von denen des 16. Jahrhunderts. Oft seien die Vorurteile heute aber vermischt mit Kritik an Israel. 

Keiner der Angreifer bestraft

Ob alte Vorurteile oder Antisemitismus getarnt als Israelkritik – Yorai Feinberg geht gegen den Hass vor. Das ist nicht immer leicht. Als er die ersten Hassmails von "Ludwig Fischer" auf Facebook stellt, löscht das Netzwerk den Beitrag und sperrt seinen Account. Der Algorithmus unterscheidet nicht zwischen drohenden und bedrohten Menschen. Feinberg betont, dass die Justiz das Thema sehr ernst nimmt, getan hat sich aber noch nicht viel: "Bis jetzt wurde keiner der Angreifer bestraft. Ich habe schon mehrere extreme Fälle erlebt, bei denen ich denke, dass sie eine Strafe bekommen sollten."

"Wenn der Trend so weitergeht, wird der Antisemitismus nicht nur im Internet, sondern auch im echten Leben immer normaler werden", warnt Wissenschaftlerin Schwarz-Friesel. Internet und Realität seien heute schon stark miteinander verbunden. Yorai Feinberg hofft trotzdem, dass sich die Lage in den nächsten Jahren wieder beruhigt: "Ich werde Deutschland nicht verlassen wegen eines kleinen bedeutungslosen Teils der Gesellschaft."

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen
Den nächsten Abschnitt Top-Thema überspringen

Top-Thema

Den nächsten Abschnitt Weitere Themen überspringen