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Politik

Anwältin: Folter in russischen Gefängnissen

Zhanna Nemzowa mo
24. September 2018

Aus Angst vor Vergeltung verließ Irina Birjukowa Russland. Zuvor hatte die Juristin ein Foltervideo aus einem Gefängnis öffentlich gemacht. Zhanna Nemzowa sprach mit ihr über die Zustände im russischen Strafvollzug.

Sankt Petersburg Kresty Strafanstalt
Bild: picture alliance / Zamir Usmanov

Irina Birjukowa ist Juristin der russischen Menschenrechtsorganisation "Public Verdict". Als Anwältin vertritt sie Jewgenij Makarow, der in Jaroslawl im Gefängnis sitzt. Bekannt wurde Makarow durch ein Video, das zeigt, wie er von Wärtern der Haftanstalt gefoltert wird. Die Aufnahmen aus dem Jahr 2017 hatte die "Nowaja Gaseta" im Juli dieses Jahres veröffentlicht. Zeitgleich nannte "Public Verdict" auf Facebook die Namen der 18 beteiligten Wärter. 13 von ihnen sind nun selbst in Untersuchungshaft. Unterdessen ist ein zweites Video aufgetaucht.

Deutsche Welle: Frau Birjukowa, Sie sind seit 13 Jahren als Anwältin tätig. Wird in russischen Gefängnissen mehr gefoltert als früher?

Irina Birjukowa: Es ist auf jeden Fall schlimmer geworden. Ich kann mich nicht an eine solche Menge von Beschwerden wegen Folter erinnern. Früher gab es vereinzelte Fälle, wo Beamte ihre Vollmachten bei Festnahmen überschritten oder dabei ihre Kräfte falsch eingeschätzt haben und beispielsweise jemandem den Arm gebrochen haben. Die Lage verschlechtert sich seit etwa zehn Jahren. Und in den letzten fünf Jahren sind die Foltermethoden noch viel ausgeklügelter und rücksichtsloser geworden.

Laut Berichten wird schon in der Untersuchungshaft gefoltert. Wie ernst ist dieses Problem?

Dieses Problem ist noch viel ernster als die Folter in den Gefängnissen. Ziel der Folter in Gefängnissen ist, einen Menschen zu brechen, der sich dem dortigen System nicht fügen will. In der Untersuchungshaft will man mit Folter Geständnisse erzwingen.

Zhanna Nemtsova im Interview mit Menschenrechtsanwältin Iryna Biruykowa Bild: DW

Was sind die Gründe für diese negative Entwicklung?

Ich denke, das ist darauf zurückzuführen, dass man glaubt, dass solche Aktionen ungestraft bleiben. Den Aussagen der Wärter des Gefängnisses in Jaroslawl nach zu urteilen haben sie nicht gedacht, dass sie dafür bestraft werden.

Die Folter-Aufnahmen, die Ihnen zugespielt wurden, stammen von einer Körperkamera eines Wärters. Warum hat er überhaupt gefilmt?

Die Mitarbeiter des Gefängnisses sagten vor Gericht, dass bei Verurteilten wie Jewgenij Makarow, die sich ständig beschweren und ihre Rechte einfordern würden, "Erziehungsmaßnahmen" angewandt würden. In der Aussage eines Mitarbeiters heißt es: "Wir waren sehr unzufrieden, weil er sich ständig über die Gefängnisverwaltung beschwerte. Er hat sich sogar an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gewandt." Die Wärter haben Jewgenij provoziert. Er ist 25 Jahre alt, jung und sehr impulsiv. Vor seinen Augen haben sie einen Brief seiner Mutter zertrampelt. Die Wärter filmten, als er zu fluchen begann. Die Aufnahmen zeigten sie dem Gefängnisleiter, der dann grünes Licht für "Erziehungsmaßnahmen" gab.

Dann waren die Aufnahmen für den Leiter des Gefängnisses bestimmt?

Richtig.

Warum hat jemand beschlossen, die Aufnahmen zu veröffentlichen?

Die DW konnte mit Irina Birjukowa in Warschau sprechenBild: DW

Ich habe versucht, das Motiv herauszufinden. Mir wurde gesagt: "Erstens sehen wir, wie Sie arbeiten. Zweitens möchten wir, dass Sie helfen, die perverse Praxis zu durchbrechen, dass Gefangene gegen Geld auf Bewährung frei kommen. Und wir wollen, dass die Wärter bestraft werden, die Jewgenij Makarow geschlagen haben. Das kann man nicht länger ertragen." Geschlagen wurde aber nicht nur Jewgenij.

Sie haben bei den Behörden Schutz für sich beantragt, aber auch für Ihren Mandanten Jewgenij Makarow, der im Oktober freikommt. Haben Sie Schutz bekommen?

Ich nicht, aber er. Es klingt lächerlich, jemandem Schutz zu gewähren, der in einem Gefängnis sitzt, in dem er gefoltert wurde. Der Gefängnisleiter wurde verpflichtet, die staatlichen Schutzmaßnahmen umzusetzen. Er versteht darunter, jeden Tag die Zelle aufzusuchen, um zu sehen, ob mit Jewgenij alles in Ordnung ist. Jewgenij wird jetzt zudem per Videokamera rund um die Uhr beobachtet.

Nach der Veröffentlichung des Folter-Videos haben Sie Russland verlassen. Jetzt wollen Sie zurück. Besteht für Sie kein Risiko mehr?

Ich fürchte, dass das Risiko noch zunimmt. Nach der Veröffentlichung des zweiten Videos wurde klar, dass es nicht nur gewöhnliche Mitarbeiter des Gefängnisses betrifft, sondern auch Strafvollzugsbeamte auf regionaler Ebene. Es gibt immer mehr Fälle. Sie alle werden zu einer Sache gebündelt, die wir ins Rollen gebracht haben. In unserer Organisation gibt es unterschiedliche Meinungen. Die einen sagen, ich könnte gerade jetzt zurückkehren, weil der Fall öffentlich gemacht wurde und die Hauptbeteiligten verhaftet sind. Andere finden, es wäre besser, noch für eine Weile in Sicherheit zu bleiben. Ich sage, dass ich zurückkehren werde - hoffentlich bald.

Das Gespräch führe Zhanna Nemzowa

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