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Feminismus-Plattform: Die "gefährlichen" Frauen von Khateera

Diana Hodali
31. Juli 2023

Khateera - so heißt ein feministisches Medienunternehmen in Beirut. Mit humorvoll-sarkastischen Videos über Themen wie Sex, Liebe und Geschlechterrollen erreichen sie viele jüngere Menschen in Nahost und Nordafrika.

Feministinnen Kollektiv Khateera: Eine Frau spricht in einen Lautsprecher in einem bunten Zimmer
Maria Elayan ist das Gesicht von "Smathoua Minni" von Khateera Bild: Khateera

"Was macht unseren Gesellschaften am meisten Angst, obwohl wir alle 40 Minuten daran denken?", fragt Moderatorin Maria Elayan zu Beginn eines ihrer Videos. Es folgt ein Trommelwirbel, dann die Antwort: "Es ist Sex. Ihr seid überrascht, oder?"

Die von Elayan gespielte Figur, die ebenfalls Maria heißt, ist offen und unverblümt. Und sie soll zeigen, dass sie zu den Frauen in der Region des Nahen Ostens und Nordafrika gehört, die ihre Ansichten mutig vertreten und ihren eigenen Weg gehen.

"Aber warum haben unsere Gesellschaften solche Angst vor dem Begehren? Vor allem vor der Lust der Frauen? Und was ist Lust?", geht es weiter in dem Video. "Es ist das Gefühl, Sex haben zu wollen - entweder mit jemandem, den man liebt, den man begehrt oder mit sich selbst."

Umgeben von Büchern in einem bunt eingerichteten Wohnraum präsentiert Maria danach Statistiken und Informationen zum Thema "Sexuelle Lust von Frauen" und vergleicht sie mit Statistiken zu Männern.

"Stark sein und eigene Entscheidungen treffen"

Das Youtube-Video, das hier beschrieben ist, ist Teil der zweiten Staffel der Reihe "Smatouha Minni" - "Ihr habt es von mir gehört", das von dem Frauen-geführten Medienunternehmen Khateera im libanesischen Beirut produziert wird.

Amanda Abou Abdallah ist die Produzentin der "Smathouha Minni" Videos - und sie führt auch RegieBild: Khateera

Khateera ist die weibliche Form des Wortes "gefährlich". Den Namen haben sie nicht nur deshalb gewählt, weil er in der gesamten Region verstanden wird, sondern auch, weil er für etwas steht, was den Kern des Medienunternehmens ausmacht. "Frauen in unserer Region mögen es, Khateera (gefährlich) genannt zu werden. Es bedeutet, dass man stark ist, dass man seine eigenen Entscheidungen trifft. Du bist Dir der Welt bewusst. Du bist Dir Deiner Rechte und Deines Wertes bewusst", sagt Amanda Abou Abdallah, Gründerin vom Khateera im DW-Interview.

Dafür steht das Khateera-Team und darum geht es ihnen: Die Frauen wollten eine Plattform schaffen, in der sich durch Sprache, Humor und Fakten so viele Menschen in der Region wie möglich angesprochen fühlen, gerade auch bei sensiblen Themen, die an gesellschaftlichen Tabus rütteln. "Khateera" will ein sicherer Ort sein, an dem über Feminismus, das Patriarchat und über gesellschaftskritische Themen gesprochen wird, mit einer Leichtigkeit, so als würde man mit Freunden sprechen - so die Vision der Macherinnen. Ihr Credo: keine Überheblichkeit und keine komplizierten Begriffe, alles in verständlicher Sprache mit einer großen Portion Sarkasmus und einer noch größeren Portion Humor, immer faktenbasiert.

Die Idee und das Konzept von Khateera kam Amanda Abou Abdallah vor der Corona-Pandemie, im ersten Pandemiejahr kam dann schon die erste Staffel "Smatouha Minni" ins Netz - auf Instagram und Youtube. Und mittlerweile ist das Team so gewachsen, dass drei Jahre später neun Frauen bei Khateera arbeiten, drei von ihnen sind Festangestellte. Finanziell unterstützt werde sie dabei von verschiedenen Nichtregierungsorganisationen. Amanda Abou Abdallah ist neben ihrer Kollegin Rana Askoul auch Co-CEO von Khateera.

Mit Sarkasmus und Humor zum Ziel

Amanda erzählt, dass sie gerade auch im Bereich der Comedy besonders viel Frauenfeindlichkeit gesehen habe: "Dann kam die Idee: Lasst uns in dieselbe Arena gehen! Lasst uns mit denselben Mitteln kämpfen. Lasst uns Sarkasmus verwenden, Daten und Informationen liefern - und diese immer überprüfen. Das alles vorgetragen von einer frechen und kühnen Frau, die in ihrer Rolle viele Charaktere verkörpert" - so die Produzentin und Regisseurin der Videos. 

Maria Elayan schlüpft in viele Rollen, die den Gesellschaften im Nahen Osten bekannt sindBild: Khateera

In der Tat: Maria Elayan verkörpert in ihren Videos bis zu 20 verschiedene Charaktere. Immer ist sie Maria, die Moderatorin, zwischendurch aber auch eine ältere arabische Dame oder ein älterer schnauzbarttragender Mann. Sie wirken wie Charaktere, die viele Zuschauerinnen und Zuschauer aus ihren Familien kennen, die es in den Gesellschaften der arabischen Welt gibt.

Und der Erfolg gibt ihnen Recht. Alleine die erste Staffel von "Smatouha Minni" hat über 26 Millionen Views in der gesamten Region auf unterschiedlichen Plattformen erzielt. Die zweite Staffel, die erst kürzlich an den Start ging, hat bereits nach wenigen Wochen 10,3 Millionen Views auf verschiedenen Plattformen in der gesamten Region.

Die insgesamt 1,5 Millionen Follower - Tendenz steigend - kommen überwiegend aus Saudi-Arabien, Jordanien, Libanon, Irak und Ägypten. 73 Prozent sind Mädchen und junge Frauen im Alter zwischen 15-24 Jahren.

Doch Khateera bietet nicht nur die Videoreihe "Smatouha Minni", sondern auch weitere Videos. Auf ihrer Website veröffentlichen sie außerdem auch Texte von Autorinnen und Autoren aus Nahost und Nordafrika, die sich mit Themen wie sexuelle Belästigung, Diskriminierung und Geschlechter-Stereotypen auseinandersetzen.

Doch besonders beliebt ist "Smatouha Minni", die Satire Show, in der eine breite Palette oft heikler Themen besprochen wird - von der Gesundheit der Frau über die Menstruation bis hin zum Zugang zum Arbeitsmarkt. "Smatouha Minni" will die Vorurteile und Stereotypen aufdecken, die Frauen im Nahen Osten und Nordafrika nach wie vor daran hindern, gleichberechtigt behandelt zu werden.

Arabischer versus westlicher Feminismus

Moderatorin Elayan, 27 Jahre alt, ist palästinensisch-jordanischer Abstammung. Amanda Abou Abdallah, 34 Jahre, stammt aus dem Libanon. Beide sagen, sie hätten sich solch ein Programm auf Arabisch schon in ihrer Kindheit gewünscht. "Ich hätte mir als junges Mädchen gerne so etwa in meiner Sprache angeschaut - und nicht nur westliche Inhalte, mit denen ich nicht immer etwas anfangen konnte. Es ist eben nicht immer der gleiche Kontext, auch wenn die Geschlechterfrage eigentlich global ist", sagt Amanda Abou Abdallah. 

Maria Elayan spielt auch männliche CharaktereBild: Khateera

Khateera richtet sich an alle Frauen in der arabischsprachigen Region: "Wir haben andere Probleme als im Westen, aber wir haben gemeinsame Probleme in der arabischen Welt. Ich bin mir sicher, wenn man einer ägyptischen und einer jordanischen Frau zuhört, und man den Herausforderungen nachgeht, werden die Gründe fast die gleichen sein", so die 34-Jährige.

Das sieht auch Maria Elayan so. Ihr gehe es darum, ein arabisches feministisches Narrativ zu vermitteln, und "unseren Feminismus vom westlichen Feminismus zu unterscheiden und die Wissenslücke zu schließen, damit junge arabische Mädchen und Frauen ein gerechteres Leben führen können", sagt die 27-Jährige: "Ein weiteres Ziel ist es, Frauen und Mädchen zu zeigen, dass sie mit ihren Gedanken nicht allein sind. So viele Frauen denken genau das Gleiche! Sie haben aber nicht die Mittel, es auszusprechen, oder könnten sich in Gefahr begeben, wenn sie es tun. Und genau hier kommt ‘Smatouha Minni‘ ins Spiel."

Kritik und Zuspruch - auch von Männern

Ihre Ideen und Themen für die Videos sind aus dem Leben gegriffen, aber mit der Methode des Social Listening prüfen sie auch stets, welche Themen gerade im Netz besprochen werden.

Um mit ihrer Auswahl an Themen treffen sie den Nerv vieler Jüngerer in Nahost und Nordafrika. Das Feedback sei überwiegend positiv - so eine interne Untersuchung. Ein Blick in die Kommentarspalten scheint dies zu bestätigen.

Damit hatten anfangs weder Maria Elayan noch Amanda Abou Abdallah gerechnet: "Das Gesicht von Khateera zu sein, bringt viel Verantwortung mit sich, vor allem weil wir Inhalte produzieren, die für die Region als gewagt gelten, und weil wir sehr genau darauf achten müssen, wie wir unsere Botschaften vermitteln", sagt Moderatorin Maria Elayan. Ihre Tätigkeit erfülle sie mit Stolz und Ehre. "Gleichzeitig ist mir klar, dass dies nicht risikofrei ist."

Natürlich bekommen sie auch Kritik. Manchmal werden recherchierten Zahlen in Frage gestellt, manchmal wirft man ihnen vor, einen Keil zwischen Männer und Frauen zu treiben. Dabei betonen die Frauen, dass es ihnen genau um das Gegenteil gehe. Um zu zeigen, dass Männer Verbündete im Kampf für die Gleichstellung der Geschlechter sein können, haben sie in der ersten Staffel hin und wieder einen männlichen Co-Moderator mitspielen lassen - zumal Geschlechter-Stereotypen natürlich auch Männer betreffen. Sie bekämen auch von Männern viel positives Feedback, erzählt Gründerin Amanda Abou Abdallah.

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