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Politik

Der Einfluss türkischer TV-Serien

11. Januar 2021

Türkische Fernsehserien sind der Hit im Nahen und Mittleren Osten. Ein junges osmanisches TV-Imperium entfaltet seine subtile Macht - mit arabischen Namen und Storys, die feurig und doch traditionell sind.

Türkische Fernsehproduktion "1001 Nights" ("1001 Nacht")
"1001 Nacht" ist eine der türkischen DizisBild: Tmc film

Vor rund 15 Jahren hatte die Türkei gerade ihren ersten Satelliten-TV-Sender in Betrieb genommen und war in der Lage, weltweit zu senden. Ein populäres Seriengenre namens Dizi wurde geboren und sprach Zuschauer im Nahen Osten an, die danach lechzten, Geschichten zu sehen, die ihnen näher waren als Seifenopern aus Mexiko, den USA oder Südkorea.

Viele der 200 Millionen Haushalte mit Fernsehern im Nahen Osten begrüßten freudig die ausgesprochen gutaussehenden und wahnsinnig romantischen neuen türkischen Serienhelden. Sie waren Arabisch synchronisiert, trugen arabische Namen und die Handlung war dem Islam verbunden.

Drama, Liebe, große Herrscher - ob türkisch oder arabisch

Die beliebten türkischen Dizi-Exporte kombinieren anschlussfähige Geschichten, spektakuläre Außendrehs und wiedererkennbare Titelmelodien. Die aufwendig produzierten und bis zu zwei Stunden langen täglichen Folgen drehen sich um Liebesgeschichten, arrangierte Ehen, große Familien, das Patriarchat und Kämpfe im Namen der Gerechtigkeit. Aber zu ihrem Erfolg gehört mehr.

Zum einen haben Dizis die Kontrolle der türkischen Zensurbehörde passiert und sind somit frei von "Szenen, die als obszön und moralischen Werten entgegenstehend" gelten. Dazu gehören sichtbare Nacktheit, Liebesakte und Zungenküsse, während Kämpfe, Gewalt und Waffen als "sicher" eingestuft werden.

Populär auch in Palästina - Bilder der Serienhelden aus "Noor" in einer Fabrik in Hebron im Westjordanland, 2008Bild: picture-alliance/dpa/Al Hafiz Hashlamoun

Zweitens sind die Folgen synchronisiert statt mit Untertiteln versehen - und zwar im syrischen Dialekt, den die meisten Araber besser verstehen als Fusha, das Hocharabisch. In Fusha synchronisiert waren die bis dahin im arabischen Raum verbreiteten Telenovelas aus Mexiko, den USA oder Südkorea.

Und drittens lassen sich Dizis leicht als arabische Stoffe bearbeiten und wahrnehmen. Schon 2007 hatte der größte Fernsehsender in der arabischen Welt, das saudische Middle East Broadcasting Center (MBC), die türkische Produktion "Gümüş" gekauft und in "Noor" umbenannt. Er landete damit seinen ersten großen Erfolg, als 92 Millionen Zuschauer die Liebesgeschichte der Titelheldin Noor und Mohannad (türkisch: Mehmet) verfolgten.

Kurz danach folgte die Soap "1001 Nacht", die in fast 80 Länder verkauft wurde, und "Das glorreiche Jahrhundert", eine Monumentalserie über das Leben und Lieben von Sultan Suleiman I., dem Glorreichen. "Mehr als 500 Millionen Menschen weltweit" hätten die Folgen gesehen, sagt Izzet Pinto, Gründer der Global Agency in Istanbul, die die Dizi vertreibt, gegenüber der DW. In der Folge schnellte die Zahl arabischer Touristen in Istanbul in die Höhe und der türkische Einfluss nahm zu.

Seifenopern "anti-islamisch" - Saudi-Arabien steigt aus

Im April 2020, kurz vor Beginn des Ramadans, kündigte Pakistans Ministerpräsident Imran Khan an, dass der staatliche Fernsehsender PTV "Auferstehung: Ertuğrul" ausstrahlen werde, eine Serie, die "Game of Thrones" ähnelt, synchronisiert in Urdu. Daraufhin wuchs die Beliebtheit des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan in Pakistan erheblich. "Eine islamistische Türkei ist das Vorbild für Pakistan geworden", urteilt James M. Dorsey von der S. Rajaratnam School of International Studies in Singapur gegenüber der DW.

"Das glorreiche Jahrhundert" ist eine türkische Historiendrama-SerieBild: Tims productions

"Auferstehung" ist zur Zeit eine Ausnahme, weil neue Verordnungen Filmsynchronisation verbieten, um pakistanische Stoffe zu schützen. "Jetzt werden die türkischen Dizis untertitelt und die Einschaltquoten fallen in den Keller", sagt Izzet Pinto. Vor fünf Jahren verdiente die türkische TV-Industrie im Nahen und Mittleren Osten jährlich etwa 80 Millionen US-Dollar. 2020 waren es nur noch rund 15 Millionen US-Dollar. "Bis 2018 war das unser bester Exportmarkt", so Izzet Pinto. "Jetzt gibt es einen inoffiziellen Boykott und die Einnahmen sind um 80 Prozent zurückgegangen."

Es haben sich auch viele große Abnehmer zurückgezogen, nachdem die Regierung Saudi-Arabiens und der Fernsehsender MBC den Ankauf türkischer Dizis im März 2018 gestoppt hatten. Zuvor hatte der saudische Großmufti Scheich Abdulaziz al-Scheich die Seifenoper "Noor" als "anti-islamisch" und "subversiv" bezeichnet und behauptet, dass TV-Kanäle, die sie ausstrahlten, "Feinde Gottes und seines Propheten" seien.

Ein weiterer Markt, den die Dizis verloren haben, ist Ägypten. Dort wurde türkisches Fernsehen nach dem Militärputsch gegen Präsident Mohammed Mursi verboten, weil Erdoğan auf seiner Seite stand. Die Unterstützung der Muslimbrüder und anderer islamistischer Bewegungen dient immer noch als Hauptargument gegen die Türkei und die Ausstrahlung türkischer Produktionen.

Türkische Soaps gehen online

Trotz der Rückschläge in Saudi-Arabien und Ägypten kann die Türkei weiterhin erfolgreich ihre Dizis und damit ihr Weltbild exportieren, und zwar über US-amerikanische Streaming-Plattformen wie YouTube, Netflix und Starzplay, über das saudische MBC und OSN aus Dubai.

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Auch die Rivalen wollen auf den Trend aufspringen: Die Serie "Kingdom of Fire", "Königreich des Feuers", ausgestrahlt seit November 2019, wird mit 40 Millionen US-Dollar von den Regierungen Saudi-Arabiens und der Vereinigten Arabischen Emirate finanziert. Die Handlung ist das Gegenstück zu "Auferstehung: Ertuğrul", indem sie die Ottomanen als "tyrannische Besatzer, die die arabische Welt über Jahrhunderte verwüsteten" zeigen, so MBC.

Das Historiendrama spielt im 16. Jahrhundert, als das Osmanische Reich unter Sultan Selim I. die Mamluken-Dynastie in Ägypten eroberte. Obgleich dieser Kampf Geschichte ist, könnte doch eine neue Generation saudischer Filmemacher ihn als Kampf um Einfluss in den kommenden Jahren wieder aufnehmen: Saudi-Arabiens Kronprinz Mohammed bin Salman hat angekündigt, im kommenden Jahrzehnt 64 Milliarden US-Dollar in den Unterhaltungssektor des Landes zu investieren.

Adaption aus dem Englischen: Beate Hinrichs

Jennifer Holleis Redakteurin und Analystin mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika.
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