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Neues Leben für den ausgetrockneten Aralsee in Zentralasien

Ekaterina Venkina
23. Dezember 2024

Die wasserintensive Landwirtschaft der Sowjetzeit hat das Ökosystem des früher riesigen Aralsees schwer geschädigt. Setzlinge bringen jetzt neue Hoffnung in die Aralkum-Wüste, wo früher das Wasser war.

Vor einer weiten ausgetrockneten Ebene des früheren Aralsees wächst ein Saxaul-Strauch
Hier war früher der viertgrößte Binnensee der Welt - statt Wasser erstreckt sich nun die Aralkum-Wüste zwischen Kasachstan und UsbekistanBild: Ekaterina Venkina/DW

Als Maria Zadneprovskaya den Aralsee im Jahr 2021 zum ersten Mal sah, überkam sie eine tiefe Traurigkeit. "Es fühlte sich an wie eine echte Katastrophe", sagt die Umweltexpertin. Während sie über den ausgetrockneten Meeresboden läuft, knirschen Muscheln unter ihren Füßen – früher war das Wasser hier fast 16 Meter tief und voll mit großen Bartkarpfen.

Bis in die Mitte des 20.Jahrhunderts war der Aralsee der viertgrößte See der Welt. Doch schon Ende der 1970er Jahre war ein Großteil des salzhaltigen Gewässers verschwunden. Denn die Flüsse, die ihn speisten, wurden in der Sowjetzeit umgeleitet, um wasserintensive Baumwoll- und Reisfelder zu bewässern.

Heute ist der See zu 90 Prozent verschwunden. Das verwüstete Gebiet wird Aralkum genannt. Es ist durch spärliche Vegetation, heftige Sandstürme, Sommertemperaturen von bis zu 42,7 Grad Celsius, viele Flächen sind von weißen Salzstreifen durchzogen. Mit etwa 62.000 Quadratkilometern ist das Aralkum eine der jüngsten Wüsten der Welt. Und sie wächst.

Als stellvertretende Leiterin des Umweltsanierungsprojekts für den Aralsee im zentralasiatischen Kasachstan hat Zadneprovskaya die letzten drei Jahre damit verbracht, dem ehemaligen Seeboden wieder Leben einzuhauchen. Am Anfang habe sich die Situation erdrückend angefühlt, fast habe sie aufgeben wollen, erzählt sie. Doch dann kam der Drang zur Veränderung.

Mittlerweile hat Maria Zadneprovskaya mit der endlosen Weite der Aralsee-Region ihren Frieden gemacht Bild: Ekaterina Venkina/DW

Wüstenbildung am Aralsee aufhalten

Zadneprovskaya und ihr Team pflanzten auf einer 500 Hektar Fläche des nördlichen Aralsees schwarze Saxaul-Bäume. Sie sollen die Wüste eindämmen und das Gebiet widerstandsfähiger gegen die Auswirkungen des Klimawandels machen.

Saxaul-Sträucher können den Sand stabilisieren, der Verschlechterung des Bodens entgegenwirken damit auch Gesundheitsgefahren verringern, die durch das Einatmens von potenziell verschmutztem Staub entstehen können.

"Diese Sträucher sind einzigartig. Ihre Wurzeln können bis zu 4000 Kilogramm Sand halten", sagt Zadneprovskaya und streicht dabei mit ihren Händen über die stacheligen Schuppen einer Pflanze.

Der Saxaul-Strauch stammt aus Zentralasien und ist ein Psammophyt, das heißt, er gedeiht auf sandigen Böden, auf denen andere Pflanzen nicht überleben können. Seine Blätter sind zur Wasserersparnis nur als dünne Stränge ausgebildet, seine Äste wirken wie Ruten oder grünes Kamelhaar, rau und widerspenstig, und breiten sich in alle Richtungen aus.

Das Projekt trägt den Namen Oasis, die Region ist sehr abgelegen. Telefonieren ist hier nur dann möglich, wenn jemand mit einer Starlink-Satellitenausrüstung ins Camp kommt - ein seltenes, aber willkommenes Ereignis für das Team. Seine Mitglieder haben ständig mit dem Sand zu kämpfen.

Ein Felsvorsprung in der Butakov-Bucht, im nördlichsten Teil des Kleinen Aralsees, der einst als das "Meer der Inseln" bekannt warBild: Ekaterina Venkina/DW

Akespe: einst eine blühende Gemeinde, jetzt ein Geisterdorf

"Wenn ein Sandsturm aufzieht, ist die Luft voller Staub und undurchsichtig", sagt Zauresh Alimbetova, die den Verein Aral Oasis leitet. "Die Sandpartikel sind wie ein völlig undurchdringlicher Nebel. Aber dort, wo es Saxaulbäume gibt, ist die Sicht besser." Denn die Sträucher versperren dem Treibsand den Weg.

Die 58-jährige Alimbetova stammt aus Aralsk, einer kleinen Stadt, die etwa 120 Killometer (74 Meilen) vom Oasis-Basislager entfernt liegt. Mit vier Jahren sah sie den Aralsee zum ersten Mal. Seine Wellen plätscherten direkt hinter dem Bezirkskrankenhaus. Alimbetova lief oft mit ihren Geschwistern zum Strand hinunter, um zu schwimmen und ein Eis zu essen, wie sie erzählt.

"Es gab einen Leuchtturm-Club und einen Fischereiverein. Die Lokalzeitung hieß "Die Welle". Und die Kinder gingen in die Möwen-Kinderkrippe." Eine örtliche Fabrik lieferte große Mengen Fisch in andere Sowjetrepubliken. Die Stadt war vom Hupen der Schiffe erfüllt. Kapitäne liefen in ihren maritimen Uniformen herum, Matrosen waren auf den Docks beschäftigt. 

Früher waren Aralsk in Kasachstan und Moynaq in Usbekistan durch das Wasser des Aralsees verbunden, Schiffe transportierten Baumwolle, Fisch und MehlBild: Ekaterina Venkina/DW

Wie die meisten Gemeinden in diesem Gebiet war auch die Wirtschaft von Aralsk vom Wasser abhängig. Dann, um 1975, kamen Gerüchte auf, dass der Aralsee immer kleiner wird, sagt Alimbetova. "Meine Mutter war Lehrerin, sie las in einem Wissenschaftsmagazin, dass es, wenn der See verschwindet, nichts als Sand mehr hier geben würde. Das war eine erschreckende Aussicht."

Doch genau das geschah. Der Wasser-Zufluss in den Aralsee sank von 43,3 Kubikkilometern in den 1960er-Jahren auf 16,7 Kubikkilometer in den 1980er-Jahren – und die Stadt Aralsk saß auf dem Trockenen. Eine örtliche Schiffswerft wurde in eine Reparaturfabrik für Eisenbahnwaggons umgewandelt. Die Fischfabrik, die etwa 3000 Menschen beschäftigt hatte, wurde geschlossen.

Das Geisterdorf Akespe, etwa 55 Meilen von Aralsk entfernt, ist ein eindrucksvolles Beispiel für ein vom Sand verschlucktes Fischerdorf. Etwa 20 Häuser stehen verlassen an den beiden Hauptstraßen. Die Sanddünen reichen bis zu den Fenstern. In einigen klaffen Löcher, andere sind mit altem Zeitungspapier beklebt. Fast alle Dorfbewohner sind längst nach New Akespe gezogen, ein Dorf, das weniger als eine Meile entfernt errichtet wurde.

Die Dünen haben die Bewohner von Akespe aus ihrem Dorf vertriebenBild: Ekaterina Venkina/DW

Ein neues Ökosystem für den Aralsee

Die Stadt Aralsk hingegen überlebte den wirtschaftlichen und sozialen Absturz der postsowjetischen Zeit. Im Jahr 2022 hatte sie eine stabile Zahl von rund 36.793 Einwohnern. Der von der Weltbank finanzierte, Kok-Aral-Damm hob den Wasserspiegel im Nord-Aralsee auf 42 Meter an. Teile des Hafenviertels erlebten ein Comeback.

In andere Gebiete des Großen Aralsees im Süden Kasachstans und im benachbarten Usbekistan wird das Wasser jedoch nie zurückkehren. An diesen Orten ist es dringend notwendig, neue Ökosysteme zu schaffen - wie zum Beispiel durch das Oasis-Projekt. 

Lange Reihen von Saxaul-Sträuchern, 2022 gepflanzt, erstrecken sich hier bis zum Horizont. In der trostlosen Weite der Wüste wirken die fruchttragenden Sträucher wie flauschige Wolken aus Rosa und Gelb, die über dem Boden schweben.

Sie in dieser feindlichen Umgebung am Leben zu erhalten, ist schwierig. Ob sie überleben hängt ab von den Bodenbedingungen, der Qualität der jungen Setzlinge und dem Schutz der Wurzeln. Ist der sandige Boden zu salzhaltig, verdorren die Wurzeln. Um die Sträucher zu schützen, haben die Arbeiter deswegen damals Sand und Schnee in die Furchen geschüttet, in die später die Setzlinge gepflanzt wurden. So entstand um die Wurzeln eine Art ein Polster aus weniger salzhaltigem Boden. 

"Die Setzlinge wurden im März gepflanzt, als sie noch im Winterruhe waren", berichtet Maria Zadneprovskaya.

Die geflügelten Früchte von Saxaul-Sträuchern sehen aus wie rosa BlumengirlandenBild: Ekaterina Venkina/DW

Sträucher sorgen für Gesundheitsschutz

In einer Region, in der Krebs, Nierenerkrankungen und Kindersterblichkeit zu den schlimmsten Gesundheitsproblemen gehören, sind die "Grüngürtel" aus Saxaul-Sträuchern auch ein wichtiger Gesundheitsschutz. Denn die Sträucher verhindern, dass der Wind verunreinigten Staub und Salz in die Siedlungen trägt.

Doch mit den Sträuchern allein ist es nicht getan. Die Pflanzungen müssen auch in die Landschaftsplanung integriert werden. "Wir müssen entscheiden, was wir mit dem Land machen, auf dem die Sträucher gepflanzt werden", sagt Talgat Kerteshev von der Kasachischen Nationalen Agraruniversität.

Wenn das Ziel darin besteht, Weideland zu schaffen, muss der Schwerpunkt auf Futterpflanzen liegen. Saxaul wird zwar von Kühen gefressen, reicht aber nicht für ihre Ernährung allein nicht aus. Ein möglicher Ansatz könnte einer Mischbepflanzung liegen. Dabei werden verschiedene Arten von Bäumen, Sträuchern und Kräutern gepflanzt, die sich gegenseitig unterstützen. Manche dienen als pflanzliche Heilmittel, andere machen den Boden weniger salzig. "Dies ist für eine nachhaltige Nutzung von Ökosystemen von entscheidender Bedeutung", sagt Kerteshev. 

Ein gelbes Erdhörnchen steht in der Nähe eines Saxaul-Strauchs Bild: Ekaterina Venkina/DW

Eine weitere Herausforderung ist es, die Menschen vor Ort in den Prozess mit einzubeziehen. Laut Zadneprovskaya sind acht der zwölf Mitarbeitenden des Oasis-Projekts Einheimische. Ein ähnliches Projekt in größerem Maßstab könnte dazu beitragen, den Wandel im gesamten Gebiet des Aralsees voranzutreiben. Doch die Sensibilisierung für Umweltthemen, wie die Anpflanzung von Saxaul-Sträuchern, ist ein Prozess, für den es viele Schritte braucht – und regelmäßige Aufrufe zum Handeln.

Immerhin: Das Umweltbewusstsein vor Ort scheint zu steigen, wie Aigul Solovyova berichtet. Die Vorsitzende der Vereinigung der Umweltorganisationen Kasachstans führt seit einigen Jahren Umfragen zu dem Thema durch. "Im Jahr 2023 wussten sieben Prozent der Menschen in der Region Almaty im Südosten Kasachstans vom Klimawandels. In diesem Jahr ist die Zahl auf 30 Prozent gestiegen", so Solovyova.

Trotz der Herausforderungen macht das schmale Beet von Saxaul-Sträuchern am Außenposten des Oasis-Projekts Hoffnung. Einige Sträucher tragen bereits Früchte. Libellen summen und gelbe Erdhörnchen huschen vorbei. Dort, wo einst die Wellen des Aralsees schwappten, schlägt ein neues Ökosystem allmählich Wurzeln - noch zart aber doch mutig.

Redaktion: Jennifer Collins und Tamsin Walker

Adaption aus dem Englischen: Jeannette Cwienk

Die Recherche für diesen Artikel wurde mit Unterstützung des Pulitzer Centers ermöglicht.

Usbekistan: Neues Leben am Aralsee

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