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Arbeit der Zukunft: Keine Chance ohne Bildung

24. September 2021

Der deutsche Arbeitsmarkt steht vor gewaltigen Veränderungen - auf die er allerdings schlecht vorbereitet ist. Das liegt auch an den Versäumnissen der Politik. Kann die zukünftige Bundesregierung den Rückstand aufholen?

Symbolbild | Erfindung | Erfinder | Idee
Bild: imago/Westend61

Auf den ersten Blick läuft es eigentlich gut für Deutschland. Die Arbeitslosigkeit hat sich seit den Reformen von 2005 fast halbiert. Selbst eine gewaltige Krise wie die Corona-Pandemie konnte daran nicht viel ändern: Die Arbeitslosenquote ist nur leicht von 5,0 auf 5,9 Prozent gestiegen, dank Kurzarbeit konnten die meisten Menschen ihre Jobs behalten. Die Pandemie hat außerdem gezeigt, dass Homeoffice auch in Deutschland funktioniert.

Trotzdem steht das Land vor dramatischen Veränderungen, auf die es nach Ansicht vieler Experten nicht gut vorbereitet ist. "Wir werden in den 2020er Jahren einen unglaublichen Umbruch am deutschen Arbeitsmarkt erleben", sagt selbst Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD).

Treiber dieser Veränderung sind vor allem Digitalisierung und Automatisierung, aber auch Technologiewechsel wie der Aufstieg der Elektromobilität.

Wandel zur Wissensarbeit

Die Auswirkungen unterscheiden sich je nach Branche gewaltig. Hilmar Schneider, Direktor des Forschungsinstituts zur Zukunft der Arbeit in Bonn, sieht jedoch einen großen Trend. "Die Zeit der harten körperlichen Arbeit ist im Grunde vorbei. Wir verrichten immer mehr geistige Arbeit oder Wissensarbeit."

Einfache Tätigkeiten, für die man nur geringe Qualifikationen braucht, würden zunehmend durch Roboter und Computer ersetzt - oder eben schlecht bezahlt. "Auf diesem Weg sind wir schon relativ weit und haben eine Art Gleichgewicht erreicht", so Schneider im DW-Gespräch. "Das, was automatisierbar ist, das ist schon automatisiert."

In der Industrie werden bereits viele Maschinen und Roboter eingesetzt. Und auch in den Lagern der Onlinehändler ist die Arbeit maschinengestützt. Hier arbeiten weniger Menschen als in den Kaufhäusern, die in den Innenstädten derzeit reihenweise geschlossen werden.

Der Logistik stehen die großen Umbrüche noch bevor: Noch wird jeder Lastwagen von einem Menschen gesteuert, doch nach Einschätzung von Branchenexperten ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis diese Jobs wegfallen und Lkw autonom fahren. Gleiches gilt für das Taxigewerbe oder Dienstleister wie Uber.

Wenn Autos selbst fahren, brauchen Firmen keine Fahrer mehr. Im Bild ein Volvo in einem Test von UberBild: Volvo Cars/AP Photo/picture-alliance

Auch Hochqualifizierte betroffen

Auch der Soziologe Roland Verwiebe ist überzeugt, dass viele Arbeitsplätze wegfallen werden. Doch anders als Arbeitsforscher Schneider glaubt er nicht, dass hier bereits ein Gleichgewicht erreicht ist - oder sich nur Geringqualifizierte Sorgen machen müssen.

Die Digitalisierung sei ein "Epochenbruch", sagt Verwiebe, Professor für Sozialstruktur und soziale Ungleichheit an der Universität Potsdam. "Das Neue an der Entwicklung ist, das davon auch hochqualifizierte Jobs betroffen sind."

Als Beispiele nennte er Übersetzer, denen immer besser werdende Software wie Google Translator oder DeepL das Geschäft kaputt macht. "Auch Rechtsanwälte sind potentiell davon betroffen, weil sehr viele Rechtsauskünfte, die Kunden benötigen, auch vollautomatisch erledigt werden können." Auch in Banken werden seit Jahren Stellen abgebaut.

Deutschland stecke mitten in diesem Wandel und werde ihn in Zukunft noch verstärkt erleben, so Verwiebe zur DW. Dabei laufe das Land Gefahr, bei der Digitalisierung international den Anschluss zu verlieren.

Fehlende Bildung

Schon die Corona-Pandemie habe große Schwächen offengelegt, insbesondere in der öffentlichen Verwaltung. So waren die Gesundheitsämter oft überfordert und setzten eher auf Faxgeräte als auf moderne Kommunikationsmittel, um Infektionsketten zu verfolgen.

Noch größer aber sei das Versagen des Staates, wenn es darum gehe, der Jugend digitale Kompetenzen zu vermitteln. "Es ist ein politisches Versäumnis erster Klasse, dass wir im Jahr 2021 feststellen, dass es kein Schulfach Digitale Bildung gibt", so Verwiebe.

Andere Länder sind bei der Digitalisierung der Schulen bereits weiter. Bild aus einer Grundschule in den NiederlandenBild: AFP/Getty Images/C. van der Veen

Doch es ist nicht nur die Digitalisierung, die Arbeitsplätze gefährdet. So wird allein der Aufstieg der Elektromobilität in den kommenden vier Jahren fast 200.000 Jobs in der deutschen Autoindustrie kosten, weil E-Motoren und -Getriebe einfach weniger aufwändig sind. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie des Ifo-Instituts im Auftrag des Branchenverbands VDA. Frühere Untersuchungen schätzten die Jobverluste sogar noch weit höher ein.

Gleichzeitig könnten nach jüngeren Schätzungen aber noch mehr neue Jobs rund um Produktion und Unterhaltung von Elektroautos entstehen.

Neue Jobs

Auch in anderen Branchen entstehen neue Jobs, während alte wegfallen. Rund 2,1 Millionen Arbeitsplätze werden bis 2035 in Berufen geschaffen, die nur schwer durch Technologien zu ersetzen sind, so eine Studie der Unternehmensberatung Deloitte - die meisten davon in den Bereichen Gesundheit, Lehre und Ausbildung sowie Management und Verwaltung.

Für Menschen, die wegen der Digitalisierung ihren Job verlieren, ist das aber kein Trost, denn oft fehlen ihnen die Qualifikationen für neu entstehende Arbeitsplätze.

Das Problem wird noch verstärkt, weil Deutschlands Niedriglohnsektor außergewöhnlich groß ist: Jeder fünfte Beschäftigte (ca. 20 Prozent) arbeitet für den Mindestlohn oder nur geringfügig mehr. In den skandinavischen Ländern, den Niederlanden oder Frankreich ist die Quote höchstens halb so hoch.

Einen Ausweg bieten hier nur Bildung und Fortbildung. Allein in der Autoindustrie brauchen etwa 800.000 Beschäftigte bald neue oder andere Qualifikationen, schätzt die Unternehmensberatung Boston Consulting Group.

Als alternde Gesellschaft werde Deutschland außerdem auf Zuwanderung aus dem Ausland angewiesen sein, sagt Arbeitsforscher Schneider. "Dabei brauchen wir allerdings Konzepte, die darauf angelegt sind, Hochqualifizierte ins Land zu holen." Gerade hier aber sieht er noch "einiges an Nachholbedarf".

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Andreas Becker Wirtschaftsredakteur mit Blick auf Welthandel, Geldpolitik, Globalisierung und Verteilungsfragen.
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