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Politik

Heil: Ich will in der Fleischbranche aufräumen

Anja Köhler
10. September 2020

Mit Missständen in der Fleischindustrie soll Schluss sein: Der Bundestag berät ein Gesetz zum Arbeitsschutz in der Branche. Um etwas zu ändern, sei aber mehr nötig, sagte Arbeitsminister Hubertus Heil im DW-Interview.

Hubertus Heil Arbeitsminister
Bild: picture-alliance/AP Photo/M. Schreiber

DW: In der fleischverarbeitenden Industrie sind in diesem Jahr die Mängel deutlich zutage getreten – wie sollen Ausbeutung der Arbeiter und Missstände künftig verhindert werden?

Hubertus Heil: Ich glaube, Corona ist tatsächlich so etwas wie ein Brennglas. Wir sehen im Guten wie im Schlechten, was in so einem Land los ist, und die Verhältnisse in der Fleischindustrie waren vorher schon nicht in Ordnung. Aber sie sind unter den Bedingungen der Pandemie von der Ausbeutung von Beschäftigten zum allgemeinen Gesundheitsrisiko geworden. Deshalb will ich in dieser Branche aufräumen. Dazu gehört, dass wir Werkverträge und Leiharbeit verbieten, damit die Verantwortung in den Unternehmen klar ist. Dazu gehören aber auch schärfere Kontrollen, digitale Aufzeichnungen der Arbeitszeit und klare Regeln auch für Sammelunterkünfte. Ausbeutung von Menschen darf kein Geschäftsmodell sein, weder in Deutschland noch in Europa.

Für die Fleischindustrie sollen schnellstmöglich strengere Regelungen geltenBild: picture-alliance/dpa/F. Gentsch

Wie wollen Sie sicher sein, dass das alles in den Unternehmen umgesetzt wird? 

Wir haben immer zwei Sachen erlebt: Dass in der Industrie mit trickreichen neuen Konstruktionen von Sub-sub-sub-Unternehmern bestehende Regeln untergraben wurden, oder dass Lobbyisten in einem politischen Verfahren versucht haben, scharfe Gesetze abzuschleifen. In dieser Woche ist die erste Lesung des Arbeitsschutzkontrollgesetzes im Deutschen Bundestag. Dazu gehört ein scharfes Gesetz, aber eben auch scharfe Kontrollen. Unsere Erfahrung ist: Man kann da nicht auf freiwillige Selbstverpflichtungen setzen. 

"Diese Menschen haben mehr verdient als Applaus"

Es heißt, Corona habe besonders Menschen mit schlechter bezahlten Jobs hart getroffen. Was muss geschehen? 

Wir haben erlebt, dass diejenigen, die den Laden am Laufen halten, die Verkäuferin oder die, die in der Lagerlogistik arbeiten, in der Altenpflege, die als Helden des Alltags gefeiert wurden, die nicht im Homeoffice arbeiten konnten, besonders schlecht bezahlt sind. Diese Menschen haben mehr verdient als Applaus. Sie haben nicht nur den Bonus verdient, sondern aus meiner Sicht auch bessere Löhne. Deshalb bin ich dafür, dass wir den Mindestlohn anpassen und auch dafür sorgen, dass es in diesen Bereichen zu Tarifverträgen kommt. Weil Applaus keine Miete bezahlt. Das muss eine Lehre aus Corona sein. 

Viele fordern eine Viertage-Woche. Unter welchen Bedingungen wäre das in Ihren Augen machbar und sinnvoll? 

Das staatliche Instrument zur Arbeitszeitverkürzung ist die Kurzarbeit und sie wirkt, wir verlängern sie auch ins nächste Jahr. Ich habe aber auch gesagt, dass auf betrieblicher Ebene Arbeitszeitverkürzung mithelfen kann - sicherlich nicht in jedem Betrieb – und es ist Aufgabe von Arbeitgebern und Gewerkschaften, solche Regelungen zu finden. Eine Viertage-Woche kann nicht überall helfen. Aber in einzelnen Unternehmen haben wir durchaus gute Erfahrungen in der Vergangenheit damit gemacht. Deshalb sage ich: Wo es hilft, Beschäftigung zu sichern, sollte man so einen Weg auch gehen. 

Es gibt Stimmen in Deutschland, die eine Maskenpflicht am Arbeitsplatz fordern? Würden Sie das unterstützen? 

Da, wo man den Abstand von 1,5 Metern nicht einhalten kann, ist es notwendig, auch Masken zu tragen, vor allen Dingen auch im Publikumsverkehr. Es geht aber nicht darum, dass wir generell eine Masken-Pflicht haben. Da, wo Hygiene anderweitig gesichert werden kann, durch Abstände oder beispielsweise, indem man Handhygiene macht und vor allen Dingen auch versucht zu lüften, muss man nicht überall eine Maske tragen. Aber da, wo ein direkter Kontakt ist, ist es sinnvoll und notwendig. 

Für Frisöre und ihre Kunden gilt bereits eine MaskenpflichtBild: DW/B. Stehkämper

Besserer Rechtsrahmen für Homeoffice notwendig

Viele Menschen haben in den vergangenen Monaten zu Hause gearbeitet. Worin sehen Sie beim Homeoffice Risiko und wo Vorteile? 

Wir haben jetzt einen ungewollten Großversuch im Homeoffice erlebt durch die Lockdown-Maßnahmen. Zu den guten Erfahrungen gehört: Es ist viel mehr technisch möglich, als viele vorhergesagt haben. Aber wir müssen auch ein paar Regelungen treffen, dass zum Beispiel Homeoffice nicht zur Entgrenzung von Arbeit führt, dass auch Arbeitszeit und Arbeitsschutz-Regeln im Homeoffice gelten. Ich werde dazu im November Vorschläge machen, wie wir Homeoffice regeln. Man muss fairerweise sagen: Es gibt Bereiche, in denen wird kein Homeoffice möglich sein. Als Bäcker kann man die Brötchen nicht zu Hause backen. Aber in vielen anderen Bereichen ist viel mehr möglich. Dafür brauchen wir einen besseren und einen ordentlichen Rechtsrahmen. 

Home Office "darf nicht zur Entgrenzung von Arbeit führen", warnt Arbeitsminister HeilBild: Imago/U. Grabowsky

Hubertus Heil (SPD) ist deutscher Bundesarbeits- und Sozialminister. Die Fragen stellte Anja Köhler.

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