1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Arbeitssuche im Zeichen der Wirtschaftskrise

Ruth Kirchner24. Februar 2009

Die Zeiten zweistelliger Wachstumsraten sind vorbei: Durch den Konjunktureinbruch sind in China Millionen von Jobs weggefallen. Das riesige Heer der chinesischen Wanderarbeiter bekam dies als erstes zu spüren.

Auf der Jobbörse für Uni-Absolventen in Peking herrscht großer AndrangBild: Ruth Kirchner

Ein kalter Wintermorgen in West-Peking, gleich hinter der Liuli-Brücke. In einer staubigen Seitenstraße drängen sich hunderte von Wanderarbeitern aus ganz China. Malocher in abgetragenen dünnen Jacken und ausgetretenen Schuhen. Bündel und Taschen liegen am Straßenrand. Ein Feuer lodert auf dem Gehweg - es soll gegen die schneidene Kälte helfen. Doch wer auf diesen inoffiziellen Arbeitsmarkt kommt, sucht nicht Wärme, sondern einen Job.

Die sozialen Spannungen wachsen

Auch Zhang Jun Hui hat bislang noch keinen neuen Job bekommenBild: Ruth Kirchner

"Schon vor der Wirtschaftskrise war es nicht leicht, Arbeit zu finden", sagt Zhang Jun Hui, ein 34jähriger Bauarbeiter aus der zentralchinesischen Provinz Henan. "Wir haben ja keine richtige Ausbildung. Aber die Krise macht die Lage jetzt noch viel schlimmer." Zhang war in den vergangenen Wochen auch schon in anderen Städten in China auf Arbeitssuche. Alles vergeblich. "Es ist total schwierig", sagt er und zieht die dünne Jacke fester um die Schultern. Rund 20 Millionen Wanderarbeiter haben nach offiziellen Angaben wegen der Wirtschaftskrise ihre Jobs verloren - sowohl in den Fabriken in Südchina als auch auf den Baustellen in Peking. Denn mit der globalen Wirtschafts- und Finanzkrise sind nicht nur die Exporte eingebrochen, auch Chinas Immobilienblase ist geplatzt. Die Arbeitslosen auf dem Liuliqiao-Markt wissen, dass ihnen harte Zeiten bevorstehen. Die Stimmung in der Menge ist gedrückt - und zugleich aggressiv.

Keinerlei finanzielle Reserven

"Der Druck ist enorm", sagt Yang Hui aus Hubei. "Es geht für uns ums Überleben." Denn von dem Geld, das die Wanderarbeiter verdienen, leben auch die Familien zuhause in den Dörfern. Yang hat eine schulpflichtige Tochter und seine alten Eltern zu versorgen. Sie alle brauchen Geld. Denn die winzigen Felder in den Bergen von Hubei können die Familie nur mit dem Nötigsten versorgen. "Ohne das Geld von uns Wanderarbeitern kommt niemand über die Runden", sagt Yang. Nur selten kommt Bewegung in die Menge an der Liuli-Brücke: Dann schiebt sich ein Auto langsam durch die wartenden Menschen, aus den Fenstern werden Zettel mit Jobangeboten gereicht. Sofort drängen sich Dutzende von Arbeitern um das Fahrzeug. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite warnen rote Banner vor illegalen Schlepperbanden.

Früher haben sie beinahe rund um die Uhr geschuftet, heute gibt es kaum noch etwas zu tun - Bauarbeiter in PekingBild: Eric Pawlitzky

Von der Uni in die Arbeitslosigkeit

Aber die Wanderarbeiter sind nicht die einzigen, die um ihre Zukunft bangen. Auch junge Hochschulabgänger haben es in Krisenzeiten schwer. Im Juni werden rund sechs Millionen Uni-Absolventen auf den Arbeitsmarkt drängen. Sie konkurrieren mit anderen Jungakademikern um Jobs. Denn schon im vergangenen Jahr ging etwa ein Viertel der Uni-Absolventen leer aus. Zu den Jobbörsen, die derzeit in vielen Städten stattfinden, kommen regelmäßig zehntausende von Studenten. Auch in den Hallen des internationalen Messegeländes von Peking im Osten der Stadt. 700 Firmen haben ihre Stände aufgebaut – aber anders als in den vergangenen Jahren sind viele große Unternehmen erst gar nicht gekommen.

Kellnern statt Karriere

Auch die chinesischen Studenten stehen vor einer ungewissen ZukunftBild: picture-alliance/ ZB

Am Stand einer Restaurantkette drängen sich Dutzende von Studenten, geben ihre Lebensläufe ab und werden in einem kurzen Gespräch sofort einer ersten Eignungsprüfung unterzogen. Das Unternehmen ist eines der ganz wenigen auf der Jobbörse, die in größerem Stil noch junge Leute einstellen. "Wir haben über 100 freie Stellen, da wir gerade expandieren", sagt Personalmanager Liu Xiao Dong. Schon am ersten Tag der Jobbörse landeten mehrere hundert Bewerbungen auf seinem Tisch. Aber nicht alle Firmen sind erpicht auf Hochschulabgänger. Am Rande der weitläufigen Messehallen ruht sich der 23jährige Lu Fei aus Anhui von den Strapazen der Job-Suche aus. Bei Dutzenden von Firmen hat er bereits seine Unterlagen abgegeben. Bislang vergeblich. "Wenn überhaupt, suchen sie nur Leute mit Berufserfahrung", sagt er. "Für uns Uni-Absolventen sind die Anforderungen zu hoch." Lu hat an einer guten Pekinger Uni studiert, einst war das ein Garant für einen sicheren, gut bezahlten Job. Aber wegen der angespannten Lage haben viele Hochschulabgänger ihre Erwartungen bereits deutlich heruntergeschraubt. Mit seinem Abschluss in Chinesischer Literatur bewirbt sich Lu jetzt als einfache Schreibkraft. "Wenn ich mich anstrenge, finde ich hoffentlich wenigstens eine befristete Arbeit", sagt er.

Jeden Job um (fast) jeden Preis

Unter jungen Leuten ist die Arbeitssuche mittlerweile das Thema Nummer Eins. "Jeder fragt: Hast Du schon einen Job?", erzählt die 21jährige Wang Na aus Hebei. "Es ist fast schon wie eine Begrüßung, es ist immer der erste Satz." Wie viele Studenten würde Wang, die im Juni ihren Abschluss in Wirtschaftsenglisch macht, mittlerweile fast jede Arbeit annehmen, so lange sie nur irgendwie über die Runden kommt. 150 bis 200 Euro im Monat würden schon reichen, sagt sie. Das ist nicht mehr, als die Wanderarbeiter auf den Baustellen jetzt verdienen. Man muss halt bescheiden sein, sagt Wang. Unter ihren Lebenslauf hat sie in großen schwarzen Schriftzeichen geschrieben, zur Not würde sie auch für weniger Geld arbeiten - oder sogar umsonst.

Den nächsten Abschnitt Top-Thema überspringen

Top-Thema

Den nächsten Abschnitt Weitere Themen überspringen