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Politik

Arbour: "Migrationspakt ist ein großer Schritt"

13. Juli 2018

Die Vereinten Nationen arbeiten an einem Globalen Pakt, um Migrationsregelungen weltweit in Einklang zu bringen und Flüchtlinge besser zu schützen. Wie das gehen soll, erklärt die UN-Migrationsbeauftragte Louise Arbour.

Flüchtlinge im Kongo
Bild: picture alliance/dpa//Norwegian Refugee Council NRC/C. Jepsen

In Zeiten zunehmender Migration machen sich immer mehr Staaten Gedanken, wie illegale Einwanderung besser bekämpft werden kann. Die Vereinten Nationen wollen auf internationalem Niveau bessere Migrationsregelungen erreichen - mit einem "Globalen Pakt für eine sichere, geordnete und geregelte Migration". Ein Textentwurf soll noch in dieser Woche vorgelegt werden. Das Abkommen soll allen Länder helfen, die Ausarbeitung nationaler Migrationsregelungen zu koordinieren. Ziel ist es einerseits, illegale Einwanderung einzudämmen, aber andererseits auch, die Rechte von Migranten zu schützen. Kritiker halten das für zu ambitioniert und unrealistisch, auch weil der Pakt rechtlich nicht bindend ist. Den Inhalt und die erhoffte Wirkung des Dokuments erklärt die UN-Migrationsbeauftragte Louise Arbour im DW-Interview.

Deutsche Welle: Frau Arbour, warum brauchen wir überhaupt einen Globalen Migrationspakt?

Louise Arbour: Wir müssen nur schauen, was in Europa seit 2015 passiert ist. Dass die Vereinten Nationen sich bisher nie ernsthaft auf globalem Niveau mit dem Problem derartiger Wanderungsbewegungen befasst hat, führte zu einer Art Chaos - sowohl in Europa als auch in vielen anderen Weltgegenden, die weit weniger im Brennpunkt der Medien stehen. Dadurch ist, glaube ich, ein neues Bewusstsein entstanden: So sehr sich Staaten in Migrationsfragen gegen eine Einmischung in ihre Souveränität wehren mögen, so sehr begreifen sie, dass man nur dann zu Lösungen kommen kann, wenn man in einem kooperativen Rahmen danach sucht. An diesem Punkt stehen wir jetzt.

Manche europäische Länder sind bereit, Flüchtlinge aufzunehmen, andere nicht. Manche sind für, andere gegen verbindliche internationale Abkommen. Wie schwer ist es, alle gemeinsam auf neue Migrationsregelungen einzuschwören?

Es geht hier nicht um Regelungen an sich. Der Globalpakt ist eine Übereinkunft der Mitgliedstaaten, bei einer Reihe von Initiativen und Zielen zusammenzuarbeiten. Diese sollen auf der einen Seite eine sichere, geordnete und geregelte Migration sicherstellen und auf der anderen Seite unsichere, chaotische, illegale und irreguläre Migration eindämmen. Die Mitgliedstaaten sind in den Verhandlungen zu der Erkenntnis gelangt, dass es im Interesse aller ist, diese Ziele und Maßnahmen umzusetzen.

UN-Migrationsbeauftragte Arbour: "Der Migrationspakt ist ein großer Schritt - aber nur ein erster Schritt"Bild: picture-alliance/dpa/M. Skolimowska

Die US-Regierung hat sich im vergangenen Jahr aus den Verhandlungen zurückgezogen, sie boykottiert den Pakt, weil sie ihre nationale Souveränität beim Thema Migration in Gefahr sieht. Auch andere Länder scheuen sich davor, nationale Souveränität aufzugeben, zumal Populisten Ängste vor Migranten schüren. Werden diese Befürchtungen im Globalpakt berücksichtigt?

Der Pakt erkennt explizit das Vorrecht der Mitgliedstaaten und auch ihre Verantwortung an, ihre Grenzen zu schützen und festzulegen, wer sich unter welchen Voraussetzungen auf ihrem Territorium aufhält - sofern das natürlich im Einklang mit internationalem Recht steht. Ich glaube, die jetzige Situation zeigt, dass ein einzelner Staat seine nationale Migrationspolitik am besten dadurch stärkt, dass er mit anderen Staaten zusammenarbeitet.

Können Sie ein Beispiel geben, was dieser Globalpakt für die jetzige Situation in Europa bedeutet?

Nehmen wir zum Beispiel jemanden, der nach Europa kommt, um dort als Flüchtling anerkannt zu werden. In den meisten europäischen Ländern gibt es sehr ausgefeilte Prozesse, um die Anerkennung des Flüchtlingsstatus zu prüfen. Wenn der Antrag negativ beschieden wird, ist es unmöglich, eine Abschiebung zu vollziehen, wenn das Herkunftsland nicht kooperiert.

Länder wie Nigeria und nordafrikanische Staaten weigern sich bisher, Bürger wieder aufzunehmen, deren Asylantrag in Europa abgelehnt wurde. Legt der Migrationspakt diesen Ländern nahe, diese Menschen wieder aufzunehmen?

Es macht keinen Sinn, auf ein bestimmtes Land zu zeigen. Und man muss alle Faktoren berücksichtigen, die hier eine Rolle spielen. Was würde die Rückkehr abgelehnter Asylbewerber für ein Entwicklungsland bedeuten? Manche dieser Menschen würden zurückkehren in ein Land, in dem sie nicht wohnen wollen. Wahrscheinlich würden sie arbeitslos bleiben. Man muss auch berücksichtigen, dass sie, wenn sie in Europa blieben, Geld nach Hause schicken würden. Geld, das ihren Familien und ihren Dörfern zugute käme. Diese Überweisungen betragen insgesamt drei Mal so viel wie die Summe, die die Regierung durch Entwicklungshilfe bekommt. Es gibt viele Faktoren, die erklären, warum manche Herkunftsländer bei der Rückführung nicht zusammenarbeiten wollen.

Der Globalpakt wird für kein Land rechtlich bindend sein. Was kann er denn dann überhaupt erreichen?

Der Pakt schafft kein Paket neuer rechtlicher Verpflichtungen, sondern bestätigt diejenigen, die bereits bestehen. Es gibt ja zahlreiche Verpflichtungen, die zum Beispiel aus den internationalen Menschenrechten hervorgehen. Wenn ein tatsächlicher politischer Wille besteht, diesem Rahmen der Zusammenarbeit Leben einzuhauchen, dann wird das meiner Ansicht nach bessere Ergebnisse liefern. Wenn nun die Mitgliedstaaten beschließen, diese 23 Ziele ernsthaft auf internationaler Ebene zu verfolgen, dann wird es auch bessere Ergebnisse geben - nicht über Nacht, aber in absehbarer Zeit. Dies ist ein großer Schritt. Aber es ist nur ein erster Schritt. Damit sind wir noch nicht am Ziel angelangt. Ich glaube, dass wir in 20 Jahren zurückblicken auf das Jahr 2018 als Beginn des einzigartigen Bemühens, von Migration zu profitieren und seine negativen Aspekte zu bekämpfen.

Besteht nicht die Gefahr, dass es eine großartige Idee auf dem Papier bleibt, die nie Wirklichkeit wird?

Meiner Meinung nach hat bereits in einem gewissen Maße ein Gesinnungswandel eingesetzt. Wir sprechen wieder über die Realitäten und nicht mehr über Mythen. Und wir räumen mit falschen Vorstellungen über Migration auf. Es ist nicht sehr hilfreich darüber zu debattieren, ob Migration gut oder schlecht ist. Migration ist eine Tatsache: Menschen migrieren. Sie sind in der Vergangenheit immer migriert und werden es aller Wahrscheinlichkeit nach auch in Zukunft weiter tun. Und das ist in unser aller Interesse. Durch den Zustrom von Arbeitskräften und Talenten sind viele Volkswirtschaften aufgebaut worden. Und weil die Bevölkerungen in den entwickelten Ländern immer älter werden, brauchen sie einen weiteren Zustrom von Arbeitskräften, um die Wirtschaftsentwicklung in Schwung und den Lebensstandard hoch zu halten. Das Bewusstsein ist da, dass wir uns von ideologischen Identitätsdebatten verabschieden und der Wirklichkeit der Welt, in der wir leben, ins Auge blicken müssen.

Louise Arbour ist UN-Beauftragte für Internationale Migration. Zuvor war sie UN-Hochkommissarin für Menschenrechte. In ihrer Amtszeit als Generalstaatsanwältin bei den Internationalen Kriegsverbrechertribunalen für Ex-Jugoslawien und Ruanda schrieb sie Geschichte mit der ersten Anklage eines amtierenden Staatschefs, Slobodan Milosevic, sowie der ersten Verfolgung von Sexualdelikten als Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Das Interview führte Anke Rasper.

Anke Rasper Anke ist koordinierende Redakteurin, Autorin und Moderatorin in der DW Umweltredaktion.
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