Die elamische Strichschrift galt lange Zeit als unlesbar. Nun behauptet ein Archäologen-Team, es habe das Schriftsystem nahezu entziffert. Doch andere Forscher bezweifeln das.
Anzeige
Rauten und Quadrate mit Punkten und Strichen versehen – auf diese geometrischen Schriftzeichen stießen französische Wissenschaftler bereits im Jahr 1903, als sie in der Stadt Susa im südwestlichen Iran Ausgrabungen vornahmen.
Schnell war Forschenden klar, dass es sich – neben der mesopotamischen Keilschrift, den ägyptischen Hieroglyphen und der Indus-Schrift – um eine der vier ältesten Schriften der Menschheit handelte. Das Volk der Elam nutzte sie in der Bronzezeit im späten 3. und frühen 2. Jahrtausend vor Christus.
Die mysteriösen Zeichen bekamen daher den Namen "Linear Elamite" oder auf Deutsch "elamische Strichschrift". Doch lange war unklar, wie man die Rauten und Quadrate lesen musste und was sie bedeuteten. Nur wenige Zeichen konnten eindeutig interpretiert werden.
Silberbecher geben Hinweise auf antikes Schriftsystem
Nun gehen der französische Archäologe François Desset und sein Team davon aus, die antike Schrift nahezu entschlüsselt zu haben. Als Grundlage dienten ihnen acht Silberbecher, auf denen sich besonders viele der Schriftzeichen aneinanderreihen.
"Die Becher befanden sich lange in Besitz von einem privaten Sammler und wurden erst vor kurzem der Forschung zugänglich gemacht", erklärt Desset, der an der Universität von Teheran im Iran und am Forschungslabor Archeorient in Lyon, Frankreich, arbeitet.
Wie lassen sich alte Schriften überhaupt entziffern?
Unbekannte Schriftzeichen versuchen Wissenschaftler zu entschlüsseln, indem sie zum Beispiel gleiche oder ähnliche Texte in verschiedenen Schriftsystemen vergleichen. So können sie die Zeichen in der unbekannten Schrift von der bekannten ableiten.
Stellen wir uns zum Beispiel vor, wir hätten einen Text auf Deutsch über Könige und direkt darunter die Übersetzung auf Chinesisch.
In der deutschen Version kommen sehr oft die Wörter "König Karl" vor. Finden wir nun in der chinesischen Version Zeichenabfolgen, die sich an den gleichen Stellen wiederholen, könnten das die richtigen Zeichen für "König Karl" auf Chinesisch sein.
So ähnlich ging das Forscherteam um Desset mit den Silberkrügen vor.
Auf den Bechern befinden sich Inschriften über die damaligen Könige und Herrscher in derselben Sprache (Elamisch), aber in zwei verschiedenen Schriftsystemen: die bereits bekannte mesopotamische Keilschrift und die unbekannte elamische Strichschrift.
Schritt für Schritt konnte das Team so die Zeichen ableiten.
"Die Becher waren der Schlüssel, den wir brauchten, um die Schrift zu entziffern", sagte Desset der DW. "Als Ergebnis können wir nun 72 Zeichen lesen." Lediglich vier Zeichen seien noch unbekannt, so der Forscher.
Die historischen Kulturstätten des Iran
Der Iran gilt kulturhistorisch als Wiege der Menschheit. Von der Bronzezeit über die Antike bis hin zu den Schah-Dynastien und der Islamischen Republik spiegelt sich die Geschichte des Landes in seinen Kulturdenkmälern.
Bild: Mohammad Reza Domiri Ganji
Persepolis
Die Ruinenstadt im Süden des Landes, 520 v. Chr. unter den Achämeniden gegründet, war eine der Hauptstädte des antiken Perserreichs, das in der Folge seine größte Ausdehnung erfuhr. 330 v. Chr. beendete Alexander der Große die Herrschaft der Achämeniden und ließ Persepolis 321 v. Chr. niederbrennen. Noch heute sind hier imposante Überreste von Palästen, Mausoleen, Säulen und Reliefs zu bewundern.
Bild: Mohammad Reza Domiri Ganji
Die Ruinenstadt Tschoga Zanbil
König Untaš-Napiriša, Herrscher des Reiches von Elam, baute Tschoga Zanbil im 13. Jahrhundert v. Chr. Die Elamiter lagen im ständigen Clinch mit den benachbarten Mächten Mesopotamiens, daher fiel die Residenzstadt äußerst wehrhaft aus. In der Mitte befinden sich die Überreste des ältesten religiösen Gebäudes des Iran. Der gigantische Tempelturm war einmal 52 Meter hoch und hatte fünf Stockwerke.
Bild: picture-alliance/dpa/H. D. Kley
Pasargadae
Die altpersische Residenzstadt Pasargadae liegt nordöstlich von Schiras und wurde von König Kyros II. im 6. Jahrhundert v. Chr. gegründet. Sie war die erste Residenz des Perserreichs unter den Achämeniden. Die Stadt verfügte über ein ausgeklügeltes unterirdisches Bewässerungssystem. Daneben finden sich hier auch prähistorische Monumente. Auf dem Bild ist das Grabmal Kyros des II. zu sehen.
Bild: picture-alliance/imageBroker/S. Auth
Das Kloster Sankt Thaddäus
Das ehemalige armenische Kloster liegt in der Provinz West-Aserbaidschan. Im Volksmund wird es "Schwarze Kirche" genannt. Die armenischen Christen gehen davon aus, dass es im Jahre 66 von Judas Thaddäus als erste Kirche der Welt gegründet wurde. Einmal im Jahr findet hier eine Messe anlässlich einer großen Wallfahrt statt, die von Armeniern aus dem Iran und seinen Nachbarländern besucht wird.
Bild: Mohammad Reza Domiri Ganji
Der historische Basar in Tabris
Tabris, an der historischen Seidenstraße gelegen, war lange eine der wichtigsten Städte Persiens. Der Basar war nicht nur ein Handelsplatz, sondern beinhaltete religiöse und Bildungseinrichtungen. Seine Blütezeit erlebte er im 13. Jahrhundert, als Tabris Hauptstadt des Safawidenreichs war. Später regierten die Safawiden in ganz Persien und etablierten den schiitischen Islam als Staatsreligion.
Bild: picture-alliance/Dumont/T. Schulze
Das Ensemble Scheich Safi ad-Din Khanegah in Ardabil
Safi ad-Din war Poet und Mystiker und der Namensgeber der Dynastie der Safawiden. Der gleichnamige architektonische Komplex, seit 2010 UNESCO-Weltkulturerbe, besteht aus einem ehemaligen Sufi-Zentrum und dem Grabmal des Scheichs. Er hatte hier das erste Sufi-"Kloster" der Region Aserbaidschan gegründet und hier auch mit seiner Familie gewohnt. Später wurde es für die Safawiden zum Grabheiligtum.
Bild: picture-alliance/Design Pics/P. Langer
Die Altstadt von Yazd
Yazd liegt ziemlich genau in der geographischen Mitte des Iran. Im dritten Jahrtausend v. Chr. entstand die Stadt in einer Oase zwischen der Salzwüste Kawir und der Lut-Wüste. Sie ist das Zentrum der zoroastrischen Religion und beherbergt zahlreiche Feuertempel. Für die Wasserversorgung entstand ein besonderes System aus Wasserkanälen und -röhren, sogenannte Qanate, zur Kühlung dienten Windtürme.
Bild: picture-alliance/ZB/R. Zimmermann
Der Feuertempel in Yazd
Für die zoroastrische Religion ist das Feuer das wichtigste der vier Elemente und der Feuertempel sein Hort. Die zoroastrische Glaubensgemeinschaft nutzt ihn jedoch nicht als Bethaus im klassischen Sinne, sondern als Ort der Zusammenkunft und des Austauschs, der Andacht und Erinnerung. Der Zoroastrismus hatte seine große Blütezeit zwischen dem 2. und 7. Jahrhundert n. Chr.
Bild: Mohammad Reza Domiri Ganji
Die Persischen Gärten
Die Persischen Gärten waren Lustgärten, die im Mittelalter und der Neuzeit entstanden. Sie lagen normalerweise an einem Wasserlauf, waren von hohen Mauern umgeben und beinhalteten einen Sommerpalast und ein Wasserbecken. Die Gartengestaltung bildete einen wesentlichen Bestandteil der persischen Kultur. Das altpersische Wort für Garten, Paradaidha, wurde als "Paradies" in viele Sprachen entlehnt.
Bild: Mohammad Reza Domiri Ganji
Die Si-o-se Pol in Isfahan
Die Si-o-se Pol ist eine von elf Brücken über den Zayandeh und besteht aus 33 Bögen. Das zweistöckige Viadukt wurde in der Safawiden-Zeit im frühen 16. Jahrhundert erbaut. Überdachte Arkaden fassen auf beiden Seiten den Hauptverkehrsweg ein, zu den Promenaden längs der Brücke führen breite Treppen. In mehreren überdachten Teehäusern auf der Brücke kann man Tee trinken und Wasserpfeife rauchen.
Bild: Mohammad Reza Domiri Ganji
Der Golestan-Palast in Teheran
Der ehemalige Regierungspalast der Kadscharen wurde Ende des 18. Jahrhunderts errichtet. Bis zur Islamischen Revolution war er offizieller Sitz des persischen Monarchen. Zwischen 1925 und 1945 wurde ein großer Teil des Palastes abgerissen, um Platz für neue Gebäude zu schaffen. Heute ist das Gebäude ein historisches Museum und seit 2013 eine der Weltkulturerbestätten der UNESCO im Iran.
Bild: picture-alliance/imagebroker/S. Auth
Der Freiheitsturm in Teheran
Der 45 Meter hohe Azadi Tower ("Freiheitsturm") ist das Wahrzeichen des modernen Teheran. Er wurde zwischen 1969 und 1971 anlässlich des 2500-jährigen Jubiläums der iranischen Monarchie erbaut. Damals hieß er noch "Shahyad" ("Denkmal der Schahs"). Das architektonische Meisterwerk ist mit über 25.000 weißen Marmorsteinen bedeckt und verbindet den islamischen und den sassanidischen Architekturstil.
Bild: Mohammad Reza Domiri Ganji
12 Bilder1 | 12
Überraschende Entdeckung?
Das eigentlich Überraschende sei jedoch die Art des Schriftsystems. Forschende gehen davon aus, dass die elamische Strichschrift eine Mischung aus phonographischer und logographischer Schrift ist.
Phonographische Schriftzeichen oder "Lautzeichen" sind einzelne Buchstaben und Silben; logographische Schriftzeichen oder "Wortzeichen" bedeuten wiederum ein ganzes Wort. Ein einfaches Beispiel für letztere sind unsere Ziffernzeichen: "1" steht etwa für "eins".
"Am Ende meiner Analyse stellte ich fest, dass die elamische Strichschrift eine rein phonographische Schrift ist", sagt Desset. "Das macht sie zur weltweit ältesten dieser Art – und verändert unseren Blick auf die gesamte Entwicklung der Schrift."
Anzeige
Entzifferung wird kritisch gesehen
In der Forschungsgemeinschaft stößt Dessets Entdeckung jedoch auf Kritik.
"Bis klare Beweise vorliegen, gilt die elamische Strichschrift als nicht entschlüsselt", sagt Michael Mäder im DW-Interview. Mäder ist Sprachwissenschaftler an der Universität Bern und wissenschaftlicher Leiter der schweizerischen Alice-Kober-Gesellschaft für die Entzifferung antiker Schriftsysteme. Bislang gebe es nur 15 Schriftzeichen mit gesicherter Aussprache und 19 plausible Vorschläge.
"Es kann durchaus sein, dass durch Dessets Arbeit weitere Zeichen auf der Liste der Vorschläge hinzukommen", so Mäder. "Aber dass wir für alle Zeichen Funktion und Aussprache kennen, ist erstmal nur eine Behauptung."
Auch an Dessets Aussage, die Schrift sei rein phonographisch, hat Michael Mäder "erhebliche Zweifel": "Mathematische Analysen zeigen, dass die elamische Strichschrift nur zu 70 Prozent aus Lautzeichen besteht", sagt der Sprachwissenschaftler. Der Rest seien Wortzeichen.
Ob Desset Recht hat oder nicht, bleibt erstmal offen. Im Oktober 2022 treffen sich Expertinnen und Experten für antike Schriften auf einer Fachkonferenz in Norwegen und werden über die Entdeckung diskutieren.