Würden Sie ihr Leben opfern, um ein historisches Denkmal zu retten – wie der syrische Archäologe Khaled al-Asaad? Sein Tod unterstreicht die Gefahren, denen Archäologen in Konfliktzonen ausgesetzt sein können.
Der syrische Archäologe Khaled al-Asaad wurde 2015 in Palmyra getötetBild: picture alliance/AP Photo
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Vor wenigen Tagen berichteten syrische Staatsmedien, dass möglicherweise die Überreste von Khaled al-Asaad entdeckt worden seien. Der Archäologe, der 2015 im Alter von 82 Jahren von Kämpfern der Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) enthauptet wurde, war über 40 Jahre lang Leiter der Ausgrabungen der antiken Stadt Palmyra. "Ich bin aus Palmyra und ich werde hier bleiben, auch wenn sie mich töten", soll Asaad gesagt haben, nachdem der IS Palmyra besetzt hatte.
Ein digitales Archiv für Syriens Kulturerbe
Seit sechs Jahren sammeln deutsche und syrische Wissenschaftler in Berlin Dokumente über Syriens Kultur- und Naturschätze, denn viele von ihnen wurden im Krieg zerstört.
Bild: Peter Heiske
Eine der ältesten Moscheen der Welt
Die Umayyaden-Moschee von Damaskus zählt zu den ältesten Moscheen weltweit. Erbaut wurde sie zu Beginn des 8. Jahrhunderts. Die Moschee liegt in der historischen Altstadt, die seit 1979 als Ganzes zum UNESCO-Welterbe gehört. Diese Aufnahme stammt aus dem Jahr 2007.
Bild: Issam Hajjar
Im Tal der Gräber von Palmyra
Die Ausgrabungen in der antiken Oasenstadt Palmyra gehören zum UNESCO-Weltkulturerbe. Das Bild aus dem Jahr 1981 zeigt Bankettreliefs und Architekturteile aus einem Tempelgrab, das von 1981 bis 1985 in einer Kooperation des Deutschen Archäologischen Instituts und und der Syrischen Antikendirektion ausgegraben wurde.
Bild: Sammlung M. Meinecke/A. Schmidt-Colinet
Ein alter Gottestempel
Der 2000 Jahre alte Tempel des Gottes Baal war einer der am besten erhaltenen Tempel in der Oase von Palmyra. Sein Allerheiligstes, die Cella, wurde 2015 vom sogenannten Islamischen Staat gesprengt. Auf diesem Bild aus dem Jahr 1963 ist sie noch zu sehen.
Bild: Staatliche Museen zu Berlin, Museum für Islamische Kunst/E. Wirth
Trümmer rund um die Zitadelle
Die im 13. Jahrhundert erbaute Zitadelle von Aleppo zählt zu den ältesten Festungen der Welt und gehört seit 1986 zum UNESCO-Weltkulturerbe. Durch den Krieg wurden die Umgebung sowie Teile der Zitadelle zerstört. Inzwischen kann sie allerdings wieder besichtigt werden.
Bild: Sultan Kitaz
Einst ein intaktes Ensemble
So sah die Umgebung rund um die weltberühmte Zitadelle vor den Kämpfen aus. Der Sultaniyya-Moschee-Komplex aus dem 13. Jahrhundert, direkt vor der Zitadelle von Aleppo gelegen, wurde während des Krieges stark zerstört.
Bild: Staatliche Museen zu Berlin, Museum für Islamische Kunst/E. Wirth
Aleppos weltberühmter Basar
Der Basar in Aleppo war mit seinen mehr als 1000 kleinen Läden das Herz der Stadt. Durch den Krieg in Syrien wurde er extrem in Mitleidenschaft gezogen. Weite Bereiche des Basars sind heute verwüstet.
Bild: Issam Hajjar
Aleppos Wahrzeichen vor dem Krieg
Ein Bild aus dem Jahr 2001, als die Zitadelle von Aleppo noch friedlich über der Altstadt thronte. Zu dem Zeitpunkt der Aufnahme war das Minarett der Großen Moschee gerade eingerüstet.
Bild: Peter Heiske
Die Folgen der Kämpfe
Aleppo ist zum Symbol des Bürgerkriegs in Syrien geworden. Weite Teile der einst blühenden Wirtschaftsmetropole sind nicht mehr wiederzuerkennen. Auch der Ibshir-Mustafa-Pasha-Gebäudekomplex (links) und das Bahramiyya-Hammam (rechts) in Aleppo wurden durch die Kämpfe stark beschädigt. Diese Aufnahme wurde im Oktober 2018 gemacht.
Bild: Nabil Kasbo
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Antike Ruinenstadt
Palmyra, gerühmt als "Oase in der syrischen Wüste", wurde erstmals im 1. und 2. Jahrhundert v. Chr. in den Archiven von Mari, einer antiken Siedlung im Osten Syriens, erwähnt. Im September 2015 zerstörten IS-Kämpfer große Teile des UNESCO-Weltkulturerbes mit der Begründung, sie seien "anti-islamisch". Khaled al-Asaad wurde ermordet, weil er sich weigerte, den Standort von antiken Objekten preis zu geben, bei deren Ausgrabung er geholfen hatte.
Kulturartefakte und historische Symbole tragen zur kollektiven Identität einer Gruppe oder eines Landes bei, was die Arbeit der Archäologen nicht nur zu einem sensiblen Thema macht sondern oft auch zu einem gefährlichen, wie der Mord an al-Asaad in Syrien zeigt.
Symbolträchtige historische Denkmäler werden oft zur Zielscheibe von Gruppen, die ihre Vorherrschaft behaupten oder den Status quo in Frage stellen wollen. 2001 zerstörte das Taliban-Regime in Afghanistan die Buddha-Statuen von Bamiyan mit der Begründung, sie würden als Götzen dienen. 1992 zerstörten Hindu-Extremisten in der indischen Stadt Ayodhya die Babri-Moschee aus dem 16. Jahrhundert, die wiederum auf einem alten Hindu-Tempel errichtet worden war.
Zugang zu Ausgrabungen wird kontrolliert
Selbst in Friedenszeiten wachen Regierungen strengstens darüber, wer ihre archäologischen Stätten betreten darf und welche Stätten bei der Forschung Vorrang erhalten. Grabungen zu erlauben liege allein in der Hand der jeweiligen Regierungsbehörden, erklärte Susan Pollock, Professorin am Institut für Vorderasiatische Archäologie der Freien Universität Berlin, im Gespräch mit der Deutschen Welle.
Archäologische Schätze des Jahres 2020
Weltweit arbeiten Archäologen trotz Pandemie in ihren Grabungsstätten. Das Jahr 2020 brachte spektakuläre Funde wie Sarkophage, Marmorstatuen, Goldmünzen zu Tage.
Bild: Khaled Desouki/AFP/Getty Images
Fundort: Sakkara
Die altägyptische Nekropole von Sakkara, ca. 30 Kilometer südlich von Kairo, zählt neben dem Tal der Könige und den Pyramiden von Gizeh zu den bedeutendsten archäologischen Grabungsorten in Ägypten. 2020 war sie gleich mit mehreren spektakulären Funden in den internationalen Schlagzeilen: Bereits im September und Oktober fanden die Wissenschaftler dort prachtvoll verzierte Holzsärge.
Bild: Samer Abdallah/dpa/picture alliance
Sarkophage aus altägyptischer Zeit
Im November wurden erneut dutzende Sarkophage in der Totenstadt von Sakkara entdeckt. Die kunstvoll bemalten Holzsärge seien über 2500 Jahre alt, erklärten ägyptische Wissenschaftler auf einer Pressekonferenz vor Ort. Bei einzelnen Sarkophagen öffneten die Forscher vorsichtig den Deckel, um das Innere näher zu untersuchen. Die Funde in Ägypten waren die archäologische Sensation 2020.
Bild: Khaled Desouki/AFP/Getty Images
Ältestes Ortsschild der Welt
Eine mehr als 5000 Jahre alte Inschrift auf einem Felsbrocken haben 2020 Ägyptologen der Uni Bonn entschlüsselt. Entdeckt wurde sie im Wadi Abu Subeira, nordöstlich von Assuan. In Zusammenarbeit mit dem ägyptischen Antikenministerium, das die Grabungen aller Forschungsteams überwacht, fanden die Wissenschaftler heraus, dass es sich um ein antikes Ortsschild aus dem 4. Jahrtausend vor Chr. handelt.
Bild: Ludwig Morenz
Fundort: Ruinen von Pompeji
Die Ausgrabungsstätten der römischen Stadt Pompeji, südlich von Neapel, warten seit Jahrzehnten immer wieder mit archäologischen Überraschungen auf. Beim historischen Vulkanausbruch des Vesuv im Jahr 79 nach Chr. begruben Schlamm, Ascheregen und flüssige Lava den Ort unter sich, Menschen und Tiere starben. Erst im 18. Jahrhundert wurden die antiken Überreste von Archäologen wiederentdeckt.
Bild: picture-alliance/Jens Köhler
Antiker "Schnellimbiss"
Kurz vor Weihnachten präsentierten die Archäologen in Pompeji ihren spektakulärsten Fund des Jahres: eine "Thermopolia", ein antikes Straßenrestaurant mit einem bemalten Tresen. In den Aussparungen waren Warmhalte-Behältnisse für die Speisen eingelassen, vermuten die Wissenschaftler. Gerichte mit Ente, Hühnchen und anderem wurden den Bewohnern von Pompeji hier zum Verkauf angeboten.
Bild: Luigi Spina/picture alliance
Fundort: Jerusalem
Auch neue wissenschaftliche Erkenntnisse brachte das Jahr 2020: Nach jahrelangen Grabungen auf dem Gebiet des heutigen Jerusalems legte ein Forscherteam um den deutschen Archäologen Dieter Vieweger Teile der antiken Stadtmauer frei, die aus byzantinischer und der Zeit von König Herodes stammen. Damit ist klar, dass das historische Jerusalem deutlich kleiner war als bisher angenommen.
Bild: DW/T. Krämer
Dorf aus dem 2. Jahrhundert
In Jerusalem schwelen bis heute politische und religiöse Konflikte. Die verschiedenen archäologischen Schichten beinhalten tausende Jahre multikulturelle Geschichte. Im Frühjahr 2020 wurden mitten in Jerusalem die Mauerreste eines Dorfes aus dem 2. Jahrhundert ausgegraben. Spuren des Alltagslebens geben Aufschluss über die Siedlungen dieser Zeit.
Bild: picture-alliance/NurPhoto/A. Widak
Goldmünzen-Schatz
Die Archäologen trauten ihren Augen nicht, als sie die Fundstelle in Israel weiter freilegten: Ein Schatz aus 425 Münzen aus massivem Gold, in einem Tongefäß versteckt. Zwei Jugendliche hatten ihn bei einer Hobby-Grabung entdeckt und zum Glück den Fachleuten der archäologischen Grabungsstelle gemeldet. Die Nachprüfung ergab, dass die Münzen aus der Zeit der Abbasiden vor circa 1100 Jahren stammen.
Bei Arbeiten in der Kanalisation von Athen stießen Bauarbeiter auf den massiven Kopf einer antiken Skulptur. Bei näherer Untersuchung stellte er sich als wertvolles Kulturgut heraus: Der Marmorkopf des Gottes Hermes stammt - laut griechischem Kulturministerium - aus dem 3. oder sogar 4. vorchristlichen Jahrhundert. In der Altstadt von Athen werden immer wieder archäologische Funde gemacht.
Bild: Greek Culture Ministry/picture alliance/dpa
Geheimnis von Stonehenge
Ob Stonehenge ein Tempel, eine antike Opferstätte oder ein Himmelsobservatorium ist, ist bis heute nicht geklärt. Aber Forscher konnten 2020 die Herkunft der weltberühmten Steine in Südengland herausfinden. Nach einer aktuellen Studie stammen die tonnenschweren Felsbrocken aus dem umliegenden Hügelland der Westwoods. Wie die bis zu 7 Meter hohen Steine transportiert wurden, bleibt rätselhaft.
Bild: picture-alliance/Bildagentur-online/Tetra
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Laut Pollock kann der archäologische Dienst eines Landes, also eine Regierungsbehörde, zu dem Ergebnis kommen, dass geplante Projekte nicht ihren Prioritäten entsprechen und daher Änderungen verlangen - oder gleich die Erteilung einer Lizenz verweigern. Das war in Syrien der Fall bevor der Aufstand gegen Präsident Bashar Assad im März 2011 begann, der zu einem gewaltsamen Konflikt führte.
"Vor dem Krieg war die größte Herausforderung der Zugang zu den Stätten und zu archäologischen Geräten", meint Lubna Omar, eine syrische Archäologin die sich immer wieder vergeblich bemüht hatte, an nationalen Projekten mitzuarbeiten. "Die Regierung hatte die Ausgrabungsgenehmigungen fest im Griff."
Arbeiten in Konfliktzonen
Mit Beginn der Kämpfe wurde jegliche Erforschung der antiken Ruinen praktisch unmöglich und gefährlich, so Omar gegenüber der DW.
Archäologen, die in Konfliktgebieten arbeiten, sehen sich oft mit logistischen Problemen konfrontiert, die wiederum für sie und ihre Teams sicherheitsrelevant seien, meinte Pollock, die während des Ersten Golfkriegs in den 1980er Jahren als Archäologin im Irak arbeitete. Als Außenstehende hätten Archäologen selten "Einblick in die Interna eines Konfliktes oder Zugang zu aktuellen Informationen", fügte sie hinzu.
Asaad, der Chefarchäologe von Palmyra, wollte die Ruinen nicht im Stich lassen und arbeitete auch nach der Belagerung der Stadt durch den IS weiter in Palmyra. "Khaled Asaads Identität ist Palmyra", erklärte Omar, die seit Jahren in den USA lebt.
Asaads Engagement für Palmyra ist unbestritten, sein Tod aber wirft laut Pollock eine ethische Frage auf: "Ist es angemessen, archäologische Forschung während eines andauernden gewaltsamen Konflikts zu betreiben? Wenn ja, wo liegen die Grenzen?"
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Keine Vergangenheit, keine Zukunft
In Syrien steht die Archäologie vor einer ungewissen Zukunft. Die Arbeit im Bereich des Kulturerbes wurde eingestellt, und wie Omar sind viele Archäologen aus dem Land geflohen. Die, die geblieben sind, müssen sich mit dem Krieg und den schwindenden Aussichten auf Arbeit in ihrem Beruf arrangieren.
Omar hat mittlerweile in Japan promoviert, da es in ihrer Heimat keine Möglichkeit dazu gegeben habe, schrieb sie der DW in einer E-Mail. Sie durfte zwar syrische Artefakte untersuchen, aber nur solche, die vor Jahrzehnten nach Tübingen gebracht worden waren. Wie vielen ihrer Landsleute habe der Krieg in Syrien ihr keine andere Wahl gelassen.
Archäologie zu betreiben bedeutet, vor Ort zu sein und zu bleiben, so wie es Asaad bis zu seinem Tod tat. In Omars Fall war das gar nicht erst möglich. "Was die Zeit nach dem Krieg angeht, kann ich weder meine Fähigkeiten noch mein Wissen nutzen. Ich habe Syrien 2012 verlassen und bin seitdem nicht mehr zurückgekehrt", schrieb sie.
"Seit ich 2016 in die USA gezogen bin, kann ich nicht mehr reisen, zuerst wegen Donald Trumps Einreiseverbot und jetzt, weil ich keinen gültigen Reisepass habe. Ich habe keine Chance, ihn zu erneuern, während ich in den USA bin. Kurz gesagt, ich bin gefangen, und meine Forschung ist leider gestorben."