Schatz unterm Elternhaus
20. September 2013Am Karfreitag des Jahres 1965 scheint die Sonne. Der 23-jährige Student Josef Gens hat gar keine Lust, seinem Bruder in den Keller des Elternhauses zu folgen, um dort mit Schaufel und Spitzhacke zu graben. Sein Bruder überredet ihn trotzdem, ihm zu helfen. Eigentlich wollen sie nur das Fundament für den Anbau ihres Elternhauses ausheben. Was folgt ist eine Art Indiana-Jones-Geschichte. Die Brüder machen in ihrem Keller eine sensationelle Entdeckung: Sie legen erst einen und dann mehrere alte Steine frei. Sie haben gleich den Verdacht, sie könnten aus der Römerzeit stammen - wie so vieles, was in Köln bei Bauarbeiten gefunden wird. Und dann entdecken sie auch noch auf der Rückseite die Figur des Hirtengottes Pan. "Es stand fest: Die können wir da unten nicht liegen lassen", erzählt Gens, der die ungewöhnliche Entdeckungsgeschichte in dem Buch "Grabungsfieber" aufgeschrieben hat.
Reise in die Vergangenheit
Schnell erweitert sich das Team der Hobby-Archäologen. Es gibt viel zu tun. Deshalb holen die Gens-Brüder noch fünf weitere Freunde in ihr Team. Sie wissen, dass sie nicht irgendwelche Steine gefunden haben. Pflichtgemäß informieren sie das für Kölner Bodendenkmalpflege zuständige Römisch-Germanische-Museum. Dort stoßen ihre Funde zwar auf Interesse, sie bekommen sogar die Bestätigung: "Diese Quader sind römischen Ursprungs." Doch sie müssen ihre Lust auf weitere Entdeckungen unter der Erde erst mal zurückstellen. Die Stadt Köln verbietet ihnen, weiter zu forschen, wird aber selber auch nicht aktiv. Es fehlt an Geld für kostspielige Grabungen. Deshalb kontrolliert das Bodendenkmalamt lediglich in losen Abständen, ob die Sieben ihr Graben auch wirklich einstellen.
Bergwerk unterm Elternhaus
Ein halbes Jahr lassen sie die Arbeiten ruhen. Dann packt sie erneut das Grabungsfieber. Hinter dem Rücken der Stadt legen sie wieder los. Gens und seine Freunde sind nicht nur gewiefte Entdecker, sondern auch gute Vertuscher. Die Grabungsstelle tarnen sie vor den Augen der Kontrolleure, in dem sie eine Kommode mit herausgebrochener Rückwand vor das Einstiegsloch stellen. So haben sie auch weiterhin heimlich Zugang zum Fundort. Je länger sie graben, desto professioneller gehen sie vor. Sie bauen mit ihren eigenen Händen ein unterirdisches Bergwerk sechs bis neun Meter unter Straßenniveau: mit Gängen, Stollen und Hohlräumen. Kein ungefährliches Vorhaben. "Wir wussten, dass wir ein Wagnis eingehen. Deshalb haben wir uns immer gegenseitig überwacht und nie alleine in den Gängen bewegt", so Gens. Akribisch führen sie Buch über jeden Stein, den sie zutage fördern. Sie fügen Inschriften, Kapitelle und Reliefs zusammen und türmen im Keller sogar eine vier Meter hohe Außenwand des Grabmals auf. Josef Gens und seine Freunde übernehmen in den folgenden drei Jahren die Arbeit der Archäologen. Ihnen ist es zu verdanken, dass das Grabmal des römischen Legionärs Poblicius, eines der größten nördlich der Alpen, heute einen Ehrenplatz im Römisch-Germanischen Museum hat.
Archäologie in situ
Von 1965 bis 1967 birgt die Truppe in mehr als 13 000 Feierabendstunden über 70 zum Teil tonnenschwere Quader des circa fünfzehn Meter hohen Grabmals. Die Geschichte macht Gens und seine Mitstreiter berühmt. Sogar Zeitungen in den USA berichteten damals über die ungewöhnliche Ausgrabungsstelle am Kölner Chlodwigplatz. Die Freunde eröffnen sogar ihr eigenes privates Museum. "Wir wollten diesen Fund unbedingt präsentieren. 15 000 Menschen sahen das Grabmal in unserem Elternhaus. Die Besucher waren restlos begeistert, weil sie Archäologie zum Anfassen erlebten: Die Quader waren noch unten im Erdreich zu sehen", erzählt Gens, dem immer noch die Augen leuchten, wenn er an das Abenteuer zurückdenkt. Aber nicht nur das: Das Grabmal ist damals an der Stelle zu besichtigen, wo es knapp 2000 Jahre zuvor an einer Ausfallstraße der Colonia Claudia Ara Agrippensium (Köln) errichtet worden war.
Grabungsfieber dauert an
Die Arbeit lohnt sich: Das Römisch-Germanische Museum, wo das Grabmal heute zu besichtigen ist, kauft ihnen das Poblicius-Grabmal im Jahr 1970 für rund 500 000 Mark ab. "Der Größe nach muss Poblicius ein verdienter Legionär gewesen sein", mutmaßt Josef Gens, der auch fast 50 Jahre nach seinem Fund mit seinen Forschungen noch lange nicht am Ende ist. "Es sind längst nicht alle Fragen geklärt." Zwischen den Säulen stehen die Statuen des Poblicius und seiner Familie. Gens hat Zweifel, ob ihre Position stimmt. "Zwischen den Säulen stand ein Gitter, deshalb müssen die Statuen weiter zurück gestanden haben. Vielleicht standen sie auch erhöht." Nächste Woche wird Gens das Depot des Römisch-Germanischen Museum aufsuchen und nach weiteren Quadern fahnden, die zum Poblicius-Grabmal gehören. Der Krimi geht also weiter.
Josef Gens: Grabungsfieber. Die abenteuerliche Entdeckung des Poblicius-Grabmals. Verlag Kiepenheuer & Witsch, 19.90 Euro