Mit dem Mies van der Rohe Award feiert Europa die zeitgenössische Architektur des Kontinents. Diesmal macht ein umgebauter Sozialbau in Bordeaux das Rennen.
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Ausgezeichnet: "Europas beste Bauten"
Europa feiert das Können seiner zeitgenössischen Baumeister: Der Mies van der Rohe Award zeigt auch 2019 wieder das Spektrum architektonischer Höhepunkte.
Bild: David von Becker
Ankunft der Außerirdischen?
Als sei ein zarter Ballon aus dem All herabgeschwebt und in der rauhen Extramadura Westspaniens gelandet - so wirkt der Neubau dieses Kongresszentrums. Entworfen hat ihn das Architekturbüro SelgasCano aus Madrid. Mit dem Standort kurz vor der portugiesischen Grenze zeigt es, wie mutig auch im Hinterland gebaut werden kann. Ein großer Wurf - und deshalb unter den Finalisten des Mies Award 2019.
Bild: Iwan Baan
Neues Innenleben für die Psychiatrie
Die belgische Psychiatrie "PC Caritas Melle" war in die Jahre gekommen. So erhielt die 1908 im Pavillonstil erbaute Klinik eine gründliche Runderneuerung. Abriss und Neubau kamen nicht in Frage: Die Architekten "De Vylder Vinck Taillieu" reduzierten den historischen Bau bis auf die Mauern und verhalfen ihm zu einem neuen Innenleben aus Stahl, Glas und Beton. Die Preisjury fand ihn nachhaltig gut.
Bild: Filip Dujardin
Cité du Grand Parc in Bordeaux
Drei schlichte Hochhäuser mit vorgesetzten Wintergärten räumten diesmal den Mies van der Rohe Award 2019 ab. Profitiert haben vor allem die Bewohner der Cité du Grand Parc in Bordeaux: Durch den Umbau gewannen sie innen zusätzlichen Wohnraum zu ihren Sozialwohnungen. Ein Abriss wurde so vermieden. Mit dem Architekturpreis Mies Award würdigt die EU seit drei Jahrzehnten vorbildliches Bauen.
Bild: Philippe Ruault
Speisen fast wie draußen
Dank seiner strengen, konzentrierten Form erinnert dieser lichte Schulanbau an einen Sakralraum. Doch ist er keine Kirche, sondern der neue Speisesaal für eine Schule im französischen Städtchen Montbrun-Bocage. Für die Schüler fühlt es sich an, als säßen sie mitten in der Landschaft. Das Projekt des Büros "BAST" wurde als innovative "Emerging Architecture" ausgezeichnet.
Bild: BAST
Vom Paradeplatz zum Lieblingsort
Der Skanderbeg-Platz im Zentrum Tiranas war unter dem Regime des Kommunisten Enver Hoxha (1908-1985) ein Paradeplatz, wo er die Truppen des Balkanstaates aufmarschieren ließ. In den 1990ger Jahren rotierte hier ein chaotischer Kreisverkehr. Seit der Umgestaltung durch das Architekturbüro "51N4E" ist der Platz ein Lieblingsort der Albaner. Das Projekt kam unter die Finalisten des Mies Award 2019.
Bild: Filip Dujardin
Radikaler Umbau
Modernes Innenleben: Putz und Kacheln des historischen Gebäudes ließen die Architekten abschlagen und zogen neue Stahl- und Betonstreben ein. Noch hinterher bleiben die Wunden des Gebäudes sichtbar. Wohl deshalb rief der radikale Umbau auch die Kritiker auf den Plan. "Ein Anblick, der schmerzt", kommentierte eine Autorin des Fachblattes "Bauwelt".
Bild: Filip Dujardin
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Das Siegerprojekt kommt völlig unscheinbar daher. Und doch leuchten die drei umgebauten Wohnblöcke, errichtet in den 1960-er Jahren für weniger betuchte Menschen, wie ein Wahrzeichen des neuen Bauens. Der Grund: Die unansehnlichen, schlecht isolierten Blocks des Cité du Grand Parc wurden komplett mit Wintergärten bestückt.
″Hier hat man Alltagsarchitektur wiederbelebt - gut für die Menschen, gut für die Umwelt", sagt Ursula Kleefisch-Jobst vom Museum der Baukultur NRW, ″eine sehr kluge Entscheidung der Jury!"
Das ″Museum der Baukultur", eine Institution ohne festes Domizil, zeigt die Ausstellung einen Monat lang (bis 20.11.2020) im Landeshaus in Köln, dem Hauptgebäude des Landschaftsverbandes Rheinland, noch dazu als einziger Station in Deutschland. Vorher war die Schau in Wien zu sehen. Der Preis selbst wurde bereits 2019 vergeben und hat sich, wie Kleefisch-Jobst sagt, wieder einmal als ″Seismograph" für zeitgemäßes Bauen bewährt.
Ökologischer Umbau statt Abriss
So schützt die neue Außenhaut den Siegerbau in Bordeaux zwar vor Hitze und Kälte. Doch sind die lichten Wintergärten mehr als nur ein thermischer Puffer: Die Bewohner der 540 Sozialwohnungen profitieren auch von zusätzlicher Fläche, auf der sie sich treffen und unterhalten können.
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Geplant wurde der Umbau von den Architekturbüros Lacaton & Vassal und Frédéric Druot und Christophe Hutin. Ihr Konzept vermeidet so Abriss und Neubau. ″Das war wirtschaftlicher, ökologischer und sozialer", befand die Jury.
Die Kölner Ausstellung stellt aber nicht nur die fünf Finalisten anhand von Modellen, Fotos und Videos vor. Zu bestaunen gilt es auch die übrigen 35 Bauten der sogenannten Shortlist – von rund 400 nominierten Projekten insgesamt.
Was sagen Architekten zum Umgang mit Ressourcen? Was zum Wohnraummangel, zu explodierenden Bodenpreisen, zu neuen Orten sozialer Begegnung? Was heißt Nachhaltigkeit beim Bauen – über energetische Standards und den Einsatz ressourcenschonender Materialien hinaus?
Wohlfühloptik statt Monumentalität
Manche kreative Antwort lässt sich an den 40 Shortlist-Projekten ablesen: Fast zur Hälfte sind es - Ressourcen schonende - Umbauten oder Erweiterungen vorhandener Gebäude.
Dazu zählt etwa auch der Umbau des historischen Pavillons einer psychiatrischen Klinik im belgischen Melle, den das Büro ″architecten de vylder vinck taillieu" in einen vertikalen Freiraum ohne Seele verwandelte.
Mit dem Plasencia Auditorium mit Kongresszentrum entstand im spanischen Plasencia ein futuristisch anmutendes Ensemble mitten in einer strukturschwachen Region. Der umgestaltete Skanderbeg-Platz in Albaniens Hauptstadt Tirana führt vor, wie die Monumentalität der aus kommunistischen Zeiten stammenden Anlage aufgebrochen wurde – zugunsten neuer Wohlfühloptik.
Ins Finale des Mies Award 19 hat es auch ein Bauwerk aus Deutschland geschafft: Der Lobe Block in Berlin, errichtet von den Büros ″Brandlhuber + Emde, Burlon" und ″Muck Petzet Architekten", lässt durch seine außen liegenden Treppen und Terrassen öffentlichen und privaten Raum miteinander verschmelzen - ein radikales Experiment mit unansehnlichem Ausgang.
Den Nachwuchspreis des Mies Award 2019 erhielt das französische Büro ″BAST" für den minimalistischen Anbau einer Schul-Mensa in Montbrun-Bocage nahe Toulouse.
Der Mies van der Rohe Award reiht sich ein in Europas prestigeträchtige Preise für Architektur. 1987 von der Europäischen Kommission, dem EU-Parlament und der Fundació Mies van der Rohe ins Leben gerufen, wird die mit insgesamt 80.000 EUR dotierte Auszeichnung alle zwei Jahre verliehen.
Ausgezeichnet werden Projekte, deren "innovativer Charakter als Orientierung, wenn nicht sogar als Manifest für die Entwicklung zeitgenössischer Architektur dient", wie es in den Statuten heißt. Seit der Verleihung des Mies van der Rohe Awards 2019 im vergangenen Jahr tourt die Ausstellung durch Europa.
Baumeister der Moderne: Erinnerung an Mies van der Rohe
Er war einer der erfolgreichsten und innovativsten Baumeister. Für viele internationale Architekten ist Ludwig Mies van der Rohe ist Vorbild und Kultfigur. Am 17. August 1969 ist der ehemalige Bauhaus-Direktor gestorben.
Bild: picture-alliance/Arcaid/D. Clapp
Mies van der Rohe
Der Architekt, kurz "Mies", wurde 1886 in Aachen geboren. Er war schon berühmt, als er 1930-1933 letzter Direktor des Bauhauses in Dessau wurde. Van der Rohe hatte den Pavillon für die Weltausstellung in Barcelona gebaut und andere private Häuser, die Ikonen des Internationalen Bauhaus-Stils wurden. 1933 emigrierte er in die USA. 1969 starb er in Chicago, wo er einige Hochhäuser gebaut hatte.
Bild: picture-alliance/dpa
Barcelona-Pavillon, 1929
Der Pavillon der Weltausstellung in Barcelona war 1929 eine temporäre Einrichtung. Damals sollte er das neue Deutschland präsentieren: einfach und offen. 1930 wurde er abgerissen. Doch Mies van der Rohe hatte eine Fotoserie entwickelt. 46 Jahre gab es ihn nur als Reproduktion - ein Ikone der Baukunst. 1986 bauten katalanische Architekten den Pavillon nach Originalplänen wieder auf.
Bild: picture-alliance/Arcaid/D. Clapp
Barcelona-Chair, 1929
Für den deutschen Pavillon in Barcelona entwarf Mies van der Rohe auch einen extrem schlichten Sessel, der bis heute zu den berühmtesten Sitzgelegenheiten weltweit zählt. Darauf sollte das Königspaar Platz nehmen. Das Neue an dem Barcelona-Chair: die sich kreuzenden Stahlbeine und die Sitzkissen, die von Gurten gehalten wurden.
Bild: picture-alliance/dpa/J. Bauch
Weissenhof-Siedlung, 1927
1925 beauftragte der Deutsche Werkbund Ludwig Mies van der Rohe mit der Organisation der Ausstellung "Die Wohnung". Die Schau gliederte sich in vier Bereiche aus 21 Häusern mit insgesamt 60 Wohnungen. Mies selbst beteiligte sich mit einem viergeschossigen Wohnblock aus vier Reihenhäusern, bei denen er zum ersten Mal ein Stahlskelett verwendete. Die Wohnflächen waren damit variabler nutzbar.
Bild: picture-alliance/imageBROKER/M. Hauser
Haus Lange, Haus Esters, 1930
In Krefeld entwarf Mies van der Rohe zwei nebeneinander liegende Villen, 1927/28 gebaut für die befreundeten Seidenindustriellen Lange und Esters. Auffallend ist ihre geometrisch einfache Form, das Flachdach, der rechte Winkel, die Offenheit durch große Fensterflächen. Die meisten tragenden Gebäudeteile bestehen aus Stahl, so dass große und hohe Räume entstehen konnten.
Bild: picture-alliance/dpa/J. Bauch
Villa Tugendhat
In Brünn steht die "Villa Tugendhat". 2002 wurde sie in die UNESCO-Liste als Weltkulturerbe aufgenommen. Von der Straße her ein unscheinbarer weißer Kasten, aber zum Garten hin öffnet sich ein Manifest der modernen Architektur mit einem rundum verglasten offenen Wohnbereich. Fertiggestellt wurde sie 1930. Purer Luxus samt Lift, mit dem das Frühstück direkt ins Schlafzimmer der Ehefrau gelangte.
Bild: picture alliance / dpa
Neue Nationalgalerie, Berlin
Den Entwurf für die Neue Nationalgalerie konnte Mies aus der Schublade ziehen. Eigentlich sollte der Bau in Kuba entstehen, aber die Revolution kam dazwischen. Als der Auftrag aus Berlin kam, konnte der Architekt 1968 zügig liefern, nahm aber ein paar Veränderungen vor. 1200 Tonnen Stahl mussten hochgeständert werden. Darunter ist ein großzügiger Raum mit gläsernen Wänden entstanden.
Bild: picture-alliance/imageBROKER/J. Henkelmann
Lake Shore Drive-Hochhaus, 1949/50
Schon früh interessierte sich Mies für Hochhäuser. Den Höhepunkt bildete die Errichtung des Lake Shore Drive-Towers in Chicago - eine Konstruktion aus Glasfassade und Stahltragwerk. Damit realisierte er sich einen Traum, den er in Deutschland so nie hätte verwirklichen können. Mehr noch: Schon kurze Zeit später galt Mies van der Rohes Architektur als Inbegriff der modernen Architektur in den USA.