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Argentinien: Vollzieht Milei eine Wende zum Westen?

5. Januar 2024

Distanz zu China, Nähe zu den USA: Argentiniens neuer Präsident Javier Milei will das Land umkrempeln - und damit auch die internationale Ausrichtung. Was bedeutet das für den Handel, Mercosur und BRICS?

Buenos Aires | Argentiniens neuer Präsident Javier Milei winkt
Argentiniens neuer Präsident Javier MileiBild: Agustin Marcarian/REUTERS

Kein Land schuldet dem Internationalen Währungsfonds (IWF) so viel Geld wie Argentinien. Es sind derzeit  31,1 Milliarden US-Dollar.

An diesem Freitag treffen IWF-Vertreter in Buenos Aires ein, um mit der Regierung über die Rückzahlungen zu sprechen. Der neue Präsident Javier Milei rechnet mit erfolgreichen Verhandlungen.

Sein Sparkurs sei "härter", als es der IWF verlange, schreibt die spanische Tageszeitung El Pais. Seit dem Staatsbankrott 2001 hat es das Land nicht geschafft, die Staatsfinanzen zu stabilisieren.

Erst Auslandsreise nach Washington

Die Annäherung an den in Argentinien äußerst unbeliebten IWF ist ein Zeichen für Mileis Wiederannäherung an Washington. Der Präsident werde sich für die Beziehungen zu den ihm ideologisch näher stehenden USA und der EU einsetzen, meint Detlef Nolte vom German Institute for Global and Area Studies (GIGA) in Hamburg.

Dass Mileis erste Auslandsreise nach seiner Wahl zum Präsidenten Ende November 2023 in die USA ging und nicht - wie es Tradition ist - nach Brasilien, sei nur eines von vielen Zeichen dafür.

Die grundsätzliche Richtung von Mileis Außenpolitik liegt für Nolte auf der Hand: "Milei wird Argentinien, das können wir glaube ich sagen, näher zum westlichen Lager rücken."

Ein Bekenntnis zum Westen? Argentiniens neuer Präsidenten Milei empfängt bei seiner Amtseinführung seinen ukrainischen Amtskollegen Wolodymyr Selenskyj Bild: Gustavo Garello/AP/dpa/picture alliance

Dazu gehört auch Mileis Solidarität mit der Ukraine und Israel. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj nahm auf Mileis Einladung an dessen Amtseinführung am 10. Dezember 2023 teil. Seit dem Terroranschlag der Hamas auf Israel am 7. Oktober hat Milei zudem mehrfach seine Verbundenheit mit Israel und der jüdischen in Buenos Aires betont.

Dollar statt Peso

Wirtschaftspolitisch will der selbst erklärte "Libertäre" und "Anarchokapitalist" Argentiniens lang anhaltende Wirtschaftskrise durch radikale Maßnahmen beenden. Arbeitnehmerrechte sollen eingeschränkt, Sozialprogramme gekürzt und der Handlungsspielraum des Staates auf ein Mindestmaß zurechtstutzt werden.

Um die Inflation in den Griff zu bekommen, will Milei den argentinischen Peso abschaffen und den US-Dollar zur Landeswährung machen. Dies werde Regierungen daran hindern, Geld nach Bedarf zu drucken.

Der Präsident hat seinen Vorgängern mehrfach "zügellose Finanzpolitik" und "klientelistische Subventionspolitik" vorgeworfen. Ein schier undurchdringliches Dickicht aus Wirtschafts- und Handelsrestriktionen habe die Wirtschaft zusätzlich geschwächt, lautet seine Kritik.

Doch die geplante Schocktherapie ist umstritten. Die der ehemaligen Regierung peronistischen Regierung nahe stehende und größte Gewerkschaft des Landes hat bereits Großdemonstrationen abgehalten. Am Donnerstag setzte ein argentinisches Gericht nach einer Klage das Dekret des Präsidenten zur Arbeitsrechtsreform bis auf weiteres aus. 

Bei Protesten gegen Präsident Milei stoßen Demonstranten in Buenos Aires mit der Polizei zusammenBild: Victoria Gesualdi/telam/picture alliance

Immer mehr Armut

Das einst wohlhabende Land kämpft seit Jahrzehnten mit massiven Wirtschaftsproblemen. Zwischen 1983, dem Jahr der Wiedereinführung der Demokratie in Argentinien, und 2021 ist das Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Kopf um gerade einmal 29 Prozent gestiegen.

Zum Vergleich: In der Region Lateinamerika und Karibik als Ganzes stieg dieser Wert im selben Zeitraum um 48 Prozent, weltweit sogar um 87 Prozent.

Die Wirtschaftskrise hat sich in den vergangenen Jahren weiter verschärft. So stieg die offizielle Armutsquote seit 2016 von 32,2 auf mehr als 40 Prozent im ersten Halbjahr 2023. Nachdem die jährliche Inflationsrate jahrelang zweistellige Raten aufwies, stieg sie 2023 auf offiziell 161 Prozent.

Handelsverträge ja, aber nicht multilateral

In der Außenwirtschaftspolitik setzt Milei auf bilaterale statt multilaterale Bündnisse. So hatte er erklärt, den gemeinsamen südamerikanischen Markt Mercosur, in dem Argentinien mit Brasilien, Paraguay und Uruguay verbunden ist, verlassen zu wollen - es sei denn, es gelänge, einen "größeren, besseren Mercosur" zu schaffen.

Daniel Raisbeck, Lateinamerika-Analyst des libertären US-Thinktanks "Cato Institute", hält das für einen sinnvollen Angang: "Der Mercosur ist eine Zollunion und als solche ein großes Hindernis für Argentiniens Handel mit dem Rest der Welt. Deshalb sollte Milei bei seinem Plan bleiben, sich daraus zurückzuziehen, es sei denn, der Mercosur wird radikal zu einer echten Freihandelszone ausgebaut." Dass dies gelingt, hält Raisbeck allerdings für unwahrscheinlich.

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Ganz ähnlich sieht es Federico Foders, emeritierter Ökonom vom Institut für Weltwirtschaft Kiel. Wie schwierig multilaterale Verhandlungen seien, zeige sich an den seit Jahren ergebnislosen Verhandlungen zwischen Mercosur und Europäischer Union.

Als Hauptgründe nennt Foders den Widerstand der französischen Agrarlobby, aber auch den offenkundigen Willen Brüssels, den lateinamerikanischen Partnern "die Umweltpolitik zu diktieren".

BRICS: Zwischen Ideologie und Pragmatismus

Insofern überraschte es kaum, dass Milei auch den geplanten BRICS-Beitritt von Argentinien absagte. In den offiziellen Absage-Briefen trug er seinen BRICS-Kollegen stattdessen die Vertiefung der jeweiligen bilateralen Handelsbeziehungen an.

Nach Plänen der alten Regierung hätte sich Argentinien, zusammen mit fünf weiteren Schwellenländern, zum 1. Januar 2024 dem losen Staatenbund angeschlossen. Benannt ist die Gruppe nach den Anfangsbuchstaben der Gründungmitglieder Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika.

Mileis Außenministerin Diana Mondino erklärte Ende Dezember in einem Live-Interview mit der argentinischen Tageszeitung "La Nación", dass die Entscheidung vor allem eine praktische sei. Sie räumte aber auch unumwunden eine ideologische Komponente ein.

Im Wahlkampf hatte Milei angekündigt, die Beziehungen mit autoritären und kommunistisch regierten Ländern abzubrechen, zu denen er China, Russland und auch Brasilien zählte. 

Als Präsident gibt sich Milei mittlerweile deutlich staatsmännischer. Denn Brasilien und China sind die mit großem Abstand wichtigsten Handelspartner Argentiniens. Und China ist - nach dem Internationalen Währungsfonds (IWF) - auch der größte Gläubiger des hochverschuldeten Staates.

Jan D. Walter Jan ist Redakteur und Reporter der deutschen Redaktion für internationale Politik und Gesellschaft.
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