1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Argentinien - das russische Impflabor

Mikhail Bushuev
29. Januar 2021

Argentinien setzt als eines von wenigen Ländern weltweit zunächst allein auf den russischen Impfstoff Sputnik V. Kann das funktionieren?

Argentinien Präsident Alberto Fernandez Impfung Covid-19
Pieks gegen das Coronavirus: der argentinische Präsident Alberto Fernández am 21. Januar in Buenos AiresBild: The press service of the President of Argentina/dpa/picture alliance

Der Airbus 330 von Aerolineas Argentinas, der Weihnachten am Internationalen Flughafen Ezeiza in Buenos Aires landete, war nicht irgendein x-beliebiger Flug: Dutzende Kamerateams schalteten live in ihre Fernsehstudios, die Stewardessen brachen vor lauter Emotionen in Tränen aus und das gesamte 20-köpfige Bordpersonal aus Piloten, Co-Piloten und Technikern hatte stolz dunkelblaue Masken aufgesetzt, mit dem Schriftzug des Projektes, das bei vielen Argentiniern Hoffnung und bei einigen Misstrauen weckt: Operation Moskau - Dezember 2020.

An Bord waren die ersten 300.000 Impfdosen des russischen Vakzins Sputnik V, 300.000 weitere folgten zwei Wochen später, an diesem Donnerstag landete das dritte Flugzeug mit 220.000 Dosen. Argentinien ist weltweit das erste große Land nach Russland, das bis Ende März alle Karten auf den russischen Impfstoff setzt. Den Impfstoff also, dem zwar viele Wissenschaftler eine hohe Wirksamkeit bescheinigen, der aber nicht die wichtige und abschließende dritte Testphase durchlaufen hat. Aber - was blieb Argentinien schon anderes übrig?

Ein Flugzeug der Fluggesellschaft Aerolineas Argentinas brachte am Donnerstag die nächste Lieferung von "Sputnik V"Bild: Augustin Marcarian/REUTERS

Argentinien geht es so wie den meisten Ländern im globalen Süden. Im internationalen Supermarkt der Impfstoffe haben die reichen Staaten wie die USA, Israel oder die europäischen Länder das komplette oberste Regal mit den Impfstoffen von BioNtech/Pfizer und Moderna abgegriffen, alles ausverkauft. Argentinien konnte den vermögenden Dränglern nur hilflos zusehen - und muss sich jetzt mit dem mittleren Regal und der vermeintlichen B-Ware begnügen, das Russland und China nicht ganz uneigennützig befüllt haben.

Nebenwirkung: hitzige politische Debatten

"Sputnik V ist ein Impfstoff, der Nebenwirkungen hat, die nicht auf dem Beipackzettel stehen", sagt Josefina Edelstein, Journalistin und eine der führenden Gesundheitsexpertinnen Argentiniens, "und damit meine ich nicht etwa die medizinischen Nebenwirkungen, sondern die politischen, auch geopolitischen und wirtschaftlichen Kontroversen, die dieser Impfstoff auslöst."

"Die große Mehrheit der ersten Impfgruppe, das Gesundheitspersonal also, hat sich impfen lassen" - Josefina EdelsteinBild: DW/O. Pieper

Vor einer Woche ließ sich der argentinische Präsident Alberto Fernández als erster Staatschef Lateinamerikas gegen das Coronavirus impfen. Nach der Spritze scherzte er, er hätte jetzt Lust, einen Wodka zu trinken, und fragte die Krankenschwester, ob das die Nebenwirkung sei. Die Opposition, die den linken Staatschef schon seit Monaten für sein Corona-Krisenmanagement kritisiert, befürchtet allerdings andere Folgen: dass sich Argentinien in die Abhängigkeit eines Autokraten wie Wladimir Putin begibt.

Für Russland ein Marketing-Instrument fürs globale Image

Tatsächlich ist Sputnik V für Russland mehr als ein Impfstoff. Immerhin machte Putin, trotz der merkwürdigen Tatsache, dass er sich selbst noch immer nicht hat impfen lassen, die Werbung für das Vakzin zur Chefsache. Mit dem Namen "Sputnik" knüpft Russland verbal an die letzten großen Errungenschaften der einheimischen Wissenschaft aus der Raumfahrt aus dem vorigen Jahrhundert an. Moskau will sein zuletzt ramponiertes Image, Stichworte Syrien, Ukraine und Nawalny, mit dem neuen medizinischen Produkt aufpolieren. Und auf den Platz in der Welt zurückkehren, der dem Land nach eigenem Verständnis zusteht.

Der russische Präsident Wladimir Putin und der Impfstoff Sputnik V: Karikatur von Sergey Elkin

Was Russland global anstrebt, sorgt in Argentinien lokal für Ärger. "Die Regierung der Stadt Buenos Aires kritisiert Sputnik V heftig und spricht sich gegen Impfungen aus", sagt Edelstein - und damit auch gegen die Impfstrategie des eigenen Präsidenten. Für Argentinien, schon vor Corona durch die jahrzehntelangen Wirtschaftskrisen eines der nervösesten Länder der Welt, bietet die Impfung keinen Schutz gegen heftigste politische Attacken zwischen Regierung und Opposition.

Hätte Argentinien einen Plan B haben müssen?

"Argentinien hatte keine effiziente Strategie, sich verschiedene Impfstoffe zu besorgen, Impfdosen von AstraZeneca kommen erst im März", erklärt Sergio Berensztein. Mit Pfizer seien die Verhandlungen gescheitert, weil Argentinien die Vertragsbedingungen bezüglich der Haftung nicht akzeptieren wollte. "Dabei gehörten wir ja zu den Testländern für die dritte Impfstoffphase von Pfizer. Viele Menschen haben teilgenommen und alle haben gedacht, der Vertrag ist jetzt nur noch Formsache. Doch Argentinien hat keine einzige Impfdosis bekommen."

"Schon die finanzielle Unterstützung für die Menschen, die ihren Job verloren hatten, reichte nicht" - Sergio BerenszteinBild: privat

Berensztein ist Politologe und Unternehmensberater, mit einer eigenen Radiosendung, er ist omnipräsent in Zeitungen und im Fernsehen und hat gerade ein Buch mit dem Titel "Sind wir alle Peronisten?" veröffentlicht. Und selbst wenn die argentinische Regierung bei den gescheiterten Verhandlungen mit dem US-amerikanischen Pharmariesen wenig Schuld trifft, kritisiert er Präsident Fernández scharf: "Die Kommunikation der Regierung für die Impfung war schlichtweg mangelhaft."

Kritik an der Regierung wegen nicht gehaltener Versprechen

Die argentinische Staatsführung beging die gleichen Fehler wie andere Regierungen auch: vor allem Versprechen abzugeben, die sich im Nachhinein nicht halten ließen. Insbesondere bei den geplanten Impfterminen mussten Fernández und sein Gesundheitsminister Ginés González García ein ums andere Mal zurückrudern. Sergio Berensztein glaubt mittlerweile nicht mehr, dass er dieses Jahr noch geimpft wird.

"Die Wahrheit ist, es wäre sehr seltsam und schwer zu erklären gewesen, wenn eine argentinische Regierung ausgerechnet in der Corona-Krise einen guten Job gemacht hätte", lautet das vernichtende Urteil des Politikwissenschaftlers, "alle Regierungen hier zeichnen sich dadurch aus, dass sie immer scheitern, selbst bei den einfachsten Dingen wie zum Beispiel endlich die Inflation zu senken. Warum sollte sie also ausgerechnet bei einem so komplexen Thema gute Politik machen?"

Das Flugzeug, das an diesem Donnerstag aus Moskau kommend in Buenos Aires landete, sollte statt der 220.000 übrigens 600.000 Impfdosen nach Argentinien bringen. Wegen der hohen Nachfrage und Lieferengpässen, so die russischen Behörden, werde es außerdem weitere Verzögerungen bei der Versorgung von Impfstoff für Lateinamerika geben. Dauer: bis zu drei Wochen.