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Argentiniens überraschende Energiewende

22. August 2024

Der Energiesektor ist auf dem Weg ein wichtiger Stützpfeiler der argentinischen Handelsbilanz zu werden. Damit könnte ein dringend notwendiger Schritt zur finanziellen Konsolidierung gelingen.

Ein Mitarbeiter mit weißem Schutzhelm in einem Overall mit dem Aufdruck "Pampa Energia" steht vor einem Bohrturm im Öl- und Gasfeld Vace Muerta in der argentinischen Provinz Neuquen
Bohrturm im Öl- und Gasfeld Vaca Muerta in der argentinischen Provinz Neuquen Bild: Tomas Cuesta/REUTERS

Ein Blick auf die Zahlen der argentinischen Zentralbank macht deutlich, welches Potenzial im argentinischen Energiesektor schlummert. Fiel die Energie-Handelsbilanz im Jahr 2022 noch mit einem satten Minus von fünf Milliarden US-Dollar (4,49 Milliarden Euro) aus, soll sie 2024 erstmals seit vielen Jahren wieder einen Überschuss von fünf Milliarden US-Dollar erwirtschaften. Bis 2030 könnte der Überschuss sogar auf 25 Milliarden US-Dollar (22,43 Milliarden Euro) steigen. Für das hoch verschuldete Land wäre das eine enorme Entlastung.

Erstmals wieder ein Überschuss

"Nach Jahrzehnten mit einem negativen Saldo im argentinischen Energieaußenhandel wird für dieses Jahr ein Überschuss von mehr als 4,5 Milliarden US-Dollar (4 Milliarden Euro) erwartet. Dies ist darauf zurückzuführen, dass der Privatsektor die derzeitige Wirtschaftspolitik zu schätzen weiß. Die zielt darauf ab, 20 Jahre Interventionismus bei den Preisen für Rohöl und seine Derivate zu beenden", sagt Emilio Apud vom Think Tank "Libertad y Progresso" im Gespräch mit der Deutschen Welle.

Maßgeblich für die Zukunft Argentiniens: Der Energiekonzern YPF (links oben) und der Sitz der Regierung Casa Rosada in Buenos AiresBild: Tobias Käufer/DW

Das Parlament hat jüngst die rechtlichen Grundlagen für die laufenden Maßnahmen unterstützt. Das Vaca-Muerta-Feld in der Provinz Neuquen verfügt über ein großes Potenzial an Schiefergas und -öl. "Der diesjährige Handelsbilanzüberschuss ist auf einen starken Anstieg der Rohölexporte und einen Rückgang der LNG-Importe zurückzuführen, da der lokale Markt stärker mit lokalem Gas aus Vaca Muerta abgedeckt wird", sagt Apud. Als Vaca Muerta wird eine Ölschiefer-Lagerstätte im Becken von Neuquen bezeichnet, die sich über die Provinzen Neuquen, Rio Negro, La Pampa und Mendoza erstreckt.

"Nach ziemlich glaubwürdigen Prognosen der Regierung werden der Energiesektor und der Bergbau in den nächsten sechs oder sieben Jahren zum zweiten und dritten Stützpfeiler der Handelsbilanz. Neben der Agrarwirtschaft, die bisher quasi allein das Handelsdefizit aller anderen Wirtschaftszweige deckt", sagt Carl Moses, Analyst und Wirtschaftsberater mit Sitz in Buenos Aires im Gespräch mit der Deutschen Welle.

Hoffnung auf Investitionen in Milliardenhöhe

Die Milei-Regierung hofft laut einem Bericht der argentinischen Online-Zeitung Infobae nach Deregulierung des Sektors und der Einführung des Anreizsystems für Großinvestitionen (RIGI) auf Investitionen in Höhe von 54,3 Milliarden US-Dollar (48,7 Milliarden Euro) im Energiesektor. Diese Prognose stamme aus einer Präsentation, die der Vizepräsident der Zentralbank, Vladimir Werning, jüngst in New York bei mehreren Treffen mit Investoren vorstellte.

Durch diese Erdgasleitung soll das Gas aus dem Vaca Muerta-Vorkommen fließen Bild: Victoria Gesualdi/telam/dpa/picture alliance

Bau der Pipeline entscheidend

Zur Verbesserung der Lage habe sowohl die Vorgängerregierung unter Alberto Fernandez, als auch die aktuelle Regierung unter Javier Milei beigetragen: "Der erste Schritt zur drastischen Trendwende in der Handelsbilanz wurde bereits im letzten Jahr durch die Vorgängerregierung getan, als sie alle Hebel in Bewegung setzte, um die jahrelang verzögerte Nestor-Kirchner-Pipeline von Vaca Muerta nach Buenos Aires zumindest teilweise fertigzustellen. Das ermöglichte eine große Einsparung bei den Gasimporten", so Moses. Nun kommt das Gas aus dem eigenen Land.

Großprojekte werden in Angriff genommen

Nun drückt die aktuelle Regierung aufs Tempo: "Im Rahmen des RIGI-Förderprogramms für Großinvestitionen werden nun in allerkürzester Zeit diverse Großprojekte zum Ausbau der Exportinfrastruktur für den Öl- und Gasexport aus Vaca Muerta in Angriff genommen. Das größte Vorhaben ist dabei der Plan der staatlichen Ölfirma YPF und des malaysischen Ölkonzerns Petronas, die ein LNG-Terminal und die entsprechende Zuliefer-Infrastruktur bauen wollen, vor allem Pipelines, insgesamt mindestens 30 Milliarden US-Dollar (26,9 Milliarden Euro) Investitionen", sagt Moses.

Die Vaca-Muerta-Pläne werden Erneuerbare Energien und grüne Wasserstoff-Projekte bremsen, sagt der deutsche Wirtschaftsanalyst Carl MosesBild: Tobias Käufer/DW

Ausbau der Öl- und Gasproduktion hat Priorität

Die aktuellen positiven Prognosen beruhen vor allem auf den erhofften Großinvestitionen für die klassische Öl- und Gasindustrie. "Der Ausbau der erneuerbaren Energien und der Aufbau der Wasserstoffproduktion könnten nun deutlich langsamer an Fahrt gewinnen", glaubt Moses. Vor allem für den von den Europäern bevorzugten grünen Wasserstoff fehlt immer noch der gesetzliche Rahmen, den es in den Nachbarländern längst gibt. Sollte der globale Wasserstoffmarkt in zehn oder 20 Jahren allerdings tatsächlich die Reife erreichen, die heute erwartet wird, würde Argentinien auf diesem Markt als Lieferant eine große Rolle spielen können: "Kurzfristig hat aber der Ausbau der Öl- und Gasproduktion sowie der Aufbau einer Exportinfrastruktur, insbesondere für LNG, Priorität", sagt Moses.

Verlässlicher Markt für Europa

"Argentinien hat die besten Voraussetzungen für Wind- und Sonneneinstrahlung, die für Investitionen in erneuerbare Energien attraktiv sind. Es verfügt über eines der größten Lithiumvorkommen und die zweitgrößten Schiefergasressourcen der Welt und weiß, wie man sie effizient ausbeuten kann. Die meisten dieser Möglichkeiten sind für den Exportmarkt bestimmt", sagt Apud. Davon könnte auch Brüssel profitieren. "Europa muss sich aus geopolitisch verlässlichen Märkten versorgen, die sich mit dem Westen identifizieren", so Apud. Dies sei eine Konsequenz nach den schlechten Erfahrungen mit dem Gas aus Russland.

Künftige Energiepartner? Präsident Milei Ende Juni bei Bundeskanzler Scholz in Berlin Bild: Fabian Sommer/dpa/picture alliance

 

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