Argentiniens boomender Drogenhandel
26. Juni 2014Rosario, eine argentinische Großstadt rund drei Autostunden von der Hauptstadt Buenos Aires entfernt, erhält dieser Tage wohl weniger willkommene Aufmerksamkeit: Die drittgrößte Stadt des Landes gehört mittlerweile zu den wichtigsten Drogenumschlagplätzen Argentiniens. Fast täglich werden neue illegale Drogenlabors entdeckt, eine Studie der Universität Rosarios zählte über 400 so genannte "Kioske", in denen Drogen verkauft und mehrere hundert Millionen Euro umgesetzt werden.
Mit dem zunehmenden illegalen Drogengeschäft wächst auch die Kriminalität in der Stadt: In der Millionenmetropole am Fluss Paraná wurden 2013 40 Prozent mehr Menschen getötet als noch im Vorjahr. Ein Großteil der Tötungsdelikte soll im Zusammenhang mit dem Drogenhandel stehen.
Doch nicht nur in Rosario blüht der Handel mit Kokain und seinen anderen berauschenden Nebenprodukten wie der Kokain-Paste Paco. Auch im Norden des Landes, nahe der Dreiländergrenze zu Paraguay und Brasilien, scheinen zahlreiche Drogenbanden unterwegs zu sein: So teilte der Staatssekretär für Sicherheit in Argentinien Sergio Berni mit, dass in dem Gebiet um die 1400 illegale Landebahnen entdeckt wurden. Man geht davon aus, dass sie von Drogenbanden gebaut und genutzt werden.
Allein im Jahr 2013 wurden in dem Gebiet rund 4000 Personen festgenommen, die in Drogengeschäfte verwickelt waren. Nach Brasilien und Kolumbien ist Argentinien mittlerweile der drittgrößte Kokainexporteur weltweit. Das stellte der Jahresbericht des Büro der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung (UNODC) fest.
Neue Schmuggelrouten führen durch Argentinien
Einer der Gründe für das boomende Drogengeschäft in Argentinien sind neue Schmuggelrouten. Über Argentinien und Uruguay finden sie ihren Weg nach Westafrika und dann weiter zu den Konsumenten in Europa oder Asien, erklärt Adriana Rossi. Die Professorin an der Universität von Rosario gehört zu den führenden argentinischen Forscherinnen auf dem Gebiet. "Argentinien ist nicht Mexiko und auch nicht Kolumbien", sagt Rossi: "Hier werden keine Kokapflanzen angebaut. Die Drogen, die über Bolivien und Paraguay ins Land kommen, werden bei uns in den Drogenlabors lediglich für den Endkonsumenten weiter verarbeitet und dann verkauft."
Viele internationale Kartelle seien nach Argentinien gekommen, da hier die Strafverfolgung lascher gehandhabt würde, sagt Edgardo Buscaglia. Der Kriminologe und Jura-Professor forscht an der Columbia-Universität in den USA und ist Vorsitzender des mexikanischen "Citizen Action Institute", das Opfer internationaler organisierter Kriminalität betreut und unterstützt. "Wegen der geringen Strafverfolgung zieht Argentinien Organisationen an, die ihr Geld mit Schmuggel, Piraterie und Menschenhandel verdienen", so Buscaglia.
Korrupte Politiker erleichtern Kartellen die Arbeit
Schuld an der wachsenden Anzahl krimineller Organisationen in Argentinien seien auch korrupte Politiker und fehlende Maßnahmen von Seiten des Staats, sagt der Experte: "Es gibt zahlreiche Gebiete im Land und im System, wo der Staat nicht vertreten ist und ein Vakuum besteht. Das erleichtert es den Kartellen, ins Land zu kommen und ihre Geschäfte zu machen."
Außerdem müsse es Programme seitens der Regierung geben, die den Drogenkonsum eindämmen, so Buscaglia. Warum diese Maßnahme wichtig ist, zeigt sich am Beispiel der Stadt Rosario: Auch hier steigt die Zahl der Drogenkonsumenten kontinuierlich: Gerade ärmere und jüngere Menschen sind abhängig. Viele dieser Jugendlichen arbeiten zudem für die internationalen Kartelle und verkaufen die Drogen weiter, um so auch an Geld für ihren Konsum zu kommen. Die Drogenhändler nennen sie "Soldaten". Ohne diese Jugendlichen würde auch das System der großen Kartelle nicht mehr funktionieren.
Dem Weg des Geldes folgen
Die schiere Unterdrückung und Repression von Drogensüchtigen sei keine Lösung, so Adriana Rossi: "Die Drogen werden nicht verschwinden solange wir in einer konsumorientierten Gesellschaft leben, in der die Menschen sich vergnügen wollen und aus dem Alltag fliehen möchten." Sie wünscht sich, dass das Geld, das in den Kampf gegen die Drogen gesteckt wird, in andere Bereiche fließt: "Wenn man das ganze Geld von Beginn an für Gesundheit und Bildung ausgegeben hätte, dann stünden wir heute vor einer ganz anderen Situation", sagt die Expertin aus Rosario.
Man müsse den Wegen des Geldes folgen, glaubt sie, und den Menschen, die von den illegalen Geschäften profitieren, nachgehen: "Das sind Personen aus der Mittelklasse wie Anwälte, Geschäftsmänner, Finanzexperten oder Buchhalter, die Briefkastenfirmen erfinden, um Geld zu waschen. Sie wollen ihr Einkommen aufstocken, indem sie mit den Drogenhändlern zusammen arbeiten." Doch stattdessen, so Rossi, würden die Jugendlichen kriminalisiert, die die Drogen auf der Straße verkaufen. Das sei nicht der richtige Ansatz.