Argentiniens umstrittener Präsident Milei in Deutschland
21. Juni 2024Der Mann mit der Kettensäge erhält auch in Deutschland sein geliebtes Motorgerät. Aber es ist eher unwahrscheinlich, dass der argentinische Präsident wirklich von dem Geschenk begeistert ist. Javier Milei, der die Kettensäge im Wahlkampf immer wieder symbolisch zur Zerstörung des alten politischen Systems anschmiss, wird vom Umweltinstitut München mit dem Negativpreis der "Rostigen Kettensäge" ausgezeichnet. Wegen "seiner Missachtung von Umweltschutz und Menschenrechten sowie seiner destruktiven Politik gegenüber Staat und Gesellschaft".
Bettina Müller sagt der DW: "Seine ganze Politik ist desaströs. Die massive Einschränkung des Demonstrationsrechts, die Suppenküchen, die seit Monaten keine Lebensmittel mehr bekommen, die eingefrorenen Renten, die soziale Fürsorge, die gar nicht mehr finanziert wird. Die Armutsrate ist auf 56 Prozent gestiegen, Menschenrechte werden mit Füßen getreten, Umweltgesetze total abgeschwächt."
Müller von der Nichtregierungsorganisation Power Shift hat mit weiteren Organisationen den "Anti-Milei-Monat" ausgerufen. Mit Paneldiskussionen, Vorträgen und Ausstellungen wird in vielen deutschen Städten gegen den Besuch des seit einem halben Jahr amtierenden argentinischen Staatschefs demonstriert. Das zivile Bündnis hat Bundeskanzler Olaf Scholz auch einen offenen Brief geschrieben und ihn aufgefordert, Milei keine Plattform durch einen offiziellen Besuch zu bieten.
Bisher habe Scholz jedoch nicht geantwortet. "Die Brandmauer gegen rechts wackelt auch in Deutschland, wenn man sich mit einem Präsidenten trifft, der offen mit rechtsextremen Politikern und Politikerinnen anbändelt", kritisiert Müller.
In Argentinien Proteste, in Deutschland eine Medaille
Von deutscher Regierungsseite ist man sichtlich bemüht, Mileis Besuch nicht allzu hoch zu hängen. Regierungssprecher Steffen Hebestreit sprach in der Bundespressekonferenz von einem "kurzen, konzentrierten Arbeitsbesuch", es sei kein "größerer gesellschaftlicher Aufschlag geplant". Es gibt keine Begrüßung mit militärischen Ehren, die gemeinsame Pressekonferenz und der Fototermin wurden kurzfristig abgesagt.
Gut möglich, dass Javier Milei nach Giorgia Melonis Einladung zum G7-Gipfel in Italien gar keinen Stopp in Deutschland eingelegt hätte, wenn da nicht eine Preisverleihung wäre, über die er sich tatsächlich freuen dürfte. Am Samstag überreicht ihm die rechtsliberale Hayek-Gesellschaft die Hayek-Medaille, weil er Argentinien die Chance biete, einen Weg einzuschlagen, "der dieses Land wieder auf einen Wohlstandskurs bringt". Es ist ein Heimspiel für Milei, der österreichische Ökonom Friedrich August von Hayek (1899-1992) gilt als Vater des Neoliberalismus.
Bukele statt Biden oder Brasilien
Schaut man sich die Auslandsbesuche von Milei ein wenig näher an, wird schnell ein Muster erkennbar: Kein Besuch beim Nachbarstaat und wichtigsten Handelspartner Brasilien, dessen Präsidenten Lula Milei im Wahlkampf als "wütenden Kommunisten" bezeichnet hatte. Dafür eine Reise zum salvadorianischen Präsidenten Nayib Bukele, der den Bitcoin als offizielles Zahlungsmittel einführte und Zehntausende Menschen ins Gefängnis gesteckt hat.
Kein Besuch auch beim US-amerikanischen Präsidenten Joe Biden, während Donald Trump bei einem gemeinsamen Treffen mit Milei im Februar in Washington "Make Argentina Great Again" skandierte. Eine Visite bei Elon Musk in Texas mit der Botschaft, gemeinsam "freie Märkte zu fördern". Und nicht zuletzt Mileis denkwürdiger Auftritt beim Weltwirtschaftsforum in Davos und seine Aussage, dass der "Kapitalismus mit freiem Handel der einzige Weg ist, um weltweit Armut zu bekämpfen".
"In Argentinien steht Milei heftig in der Kritik, weil er in seiner sechsmonatigen Amtszeit mehr als einen Monat in der Welt unterwegs war, ein Rekord. Er fliegt in die USA zum Grab eines vor 30 Jahren verstorbenen Rabbis, besucht Israel und die rechte Regierung von Benjamin Netanjahu und war in Spanien auf Einladung der rechtsextremen Vox. Und die Menschen fragen sich: Welchen wirtschaftlichen und politischen Nutzen hat das für Argentinien, wenn er noch nicht einmal aus Davos einen Peso mitbringt?", fragt Juan Luis González gegenüber der DW.
"Solidarität keine Kategorie für Milei"
González gehört zu denen, die den selbsternannten Anarchokapitalisten am besten kennen. Er hat über Milei ein Buch geschrieben und die Anfänge seiner politischen Karriere und den kometenhaften Aufstieg detailliert nachgezeichnet. "Der Verrückte" heißt der Bestseller über jemanden, den Gott angeblich auserwählt habe, argentinischer Präsident zu sein, der mit seinem toten Hund spricht und der schon seit seiner Kindheit zu den einsamsten Menschen der Welt gehörte.
"Es ist kein Zufall, dass Milei deswegen nicht an eine internationale Zusammenarbeit glaubt. Milei ist davon überzeugt, dass der freie Handel die Welt regieren muss. Das Leben der Menschen, Solidarität, Respekt und Altruismus sind für ihn alles Kategorien, die zu vernachlässigen sind. Es geht Milei nur um Interessen und Vorteile", sagt González.
Parallelen zu Donald Trump
Kann sich Bundeskanzler Olaf Scholz überhaupt auf ein Treffen mit so einem erratischen Politiker vorbereiten? Nein, ist sich Svenja Blanke sicher. Für die Leiterin des Büros der Friedrich-Ebert-Stiftung in Argentinien ist Milei ein Outsider, der genauso wie Donald Trump anders ticke als andere Politiker. Aber als Profi im Geschäft wisse Scholz sicherlich ganz genau, entsprechend zu reagieren.
"Deutschland gilt in Argentinien und Lateinamerika als seriöses Land, als ernsthaftes Land mit ernsthaften Interessen, was Investitionen angeht. Und das ist auch das Interesse von Milei. Andererseits würde ich einfach mal unterstellen, dass er auch Interesse hat, ein Foto mit Kanzler Scholz zu bekommen. Weil Milei vor allen Dingen sein Impact in den sozialen Medien interessiert", sagt Blanke der DW.
Mileis "ideologische Auslandsreisen"
Milei selbst verorte sich außerdem ganz eindeutig im ultrarechten Spektrum. Vor diesem Hintergrund dürfte auch seine letzte Brandrede in Madrid vor einem Monat zu verstehen sein. Eine Dreiviertelstunde lang teilte der argentinische Präsident gegen die Europäische Union aus, beschwor einen Kulturkampf und wetterte gegen das Krebsgeschwür des Sozialismus.
Tausende Teilnehmer der ultrarechten Vox-Wahlkampfveranstaltung feierten ihn frenetisch. Auch andere rechte Politiker wie Marine Le Pen vom französischen Rassemblement National, Ungarns Ministerpräsident Victor Orbán und die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni waren zugegen. Die Rede hatte ein diplomatisches Nachspiel: Weil Milei die Frau des spanischen Regierungschefs Pedro Sánchez als "korrupt" bezeichnet hatte, zog Spanien seine Botschafterin aus Buenos Aires zurück. Auf den Eklat kurz vor dem Deutschland-Besuch angesprochen, bewertete Regierungssprecher Steffen Hebestreit Mileis Aussage als "geschmacklos".
Svenja Blanke glaubt, dass sich Milei als globaler Influencer sehe. "Die Wahlen in Europa hat Milei kommentiert, dass auch er seinen Beitrag dazu geleistet habe, dass die ultrarechten Kräfte durchaus stärker geworden seien. Seine Auslandsreisen sind vor allen Dingen ideologische Auslandsreisen. Also besucht er Parteievents oder auch die Tech-Titanen in den USA. Das sind seine Helden in dem Narrativ der Freiheit und des freien Marktes."