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KonflikteArmenien

Armenien: Letzter Flüchtlingsbus hat Berg-Karabach verlassen

2. Oktober 2023

Damit seien nun gut 100.500 Bewohner von Berg-Karabach in Armenien eingetroffen, heißt es in Eriwan. Dort gibt es zugleich Berichte über den Beschuss eines armenischen Lieferfahrzeugs durch Aserbaidschans Armee.

Flüchtlinge aus Berg-Karabach in einem Bus in der armenischen Grenzstadt Goris
Flüchtlinge aus Berg-Karabach in einem Bus in der armenischen Grenzstadt GorisBild: Arschaluis Mghdesyan/DW

Nach der Rückeroberung der Südkaukasusregion Berg-Karabach durch Aserbaidschan hat nach armenischen Angaben der vorerst letzte Flüchtlingsbus das Gebiet verlassen. Damit seien nun genau 100. 514 zwangsweise umgesiedelte Bewohner in Armenien angekommen, sagte Regierungssprecherin Naseli Bagdassarjan in Eriwan. Menschen verließen Berg-Karabach auch mit Privatfahrzeugen. Viele Vertriebene hätten gesundheitliche Probleme oder seien bettlägerig. Wer noch in Berg-Karabach sei, solle sich an das Internationale Komitee vom Roten Kreuz wenden, hieß es. In anderen Berichten hatte es geheißen, nahezu alle der geschätzt 120.000 armenischen Einwohner hätten die Region in den vergangenen Tagen in Richtung Armenien verlassen.

Geflohene Bewohner Berg-Karabachs treffen im armenischen Grenzdorf Kornidsor einBild: Arschaluis Mghdesyan/DW

Die aserbaidschanische Führung hingegen betonte wie schon seit Tagen, dass es keinen Grund für eine Flucht gebe und die Menschen in das Leben gemäß den Gesetzen des Landes integriert würden. Die Südkaukasusrepublik Aserbaidschan ist anders als Armenien ein autoritär geführtes Land ohne Medienfreiheit oder demokratisch gewählter Führung. Das Land steht wegen Menschenrechtsverstößen international in der Kritik.

"Jetzt ist die Zeit gekommen, um Frieden zu schaffen"

Der aserbaidschanische Präsident Ilham Alijew betonte, dass sich das Land seit langem durch eine Gesellschaft mit vielen Ethnien und Konfessionen auszeichne. "Jetzt ist die Zeit gekommen, um Frieden zu schaffen im Kaukasus", sagte er aserbaidschanischen Medien zufolge bei einer Veranstaltung in der Hauptstadt Baku. Zuvor hatte Alijew die Ansiedlung von Zehntausenden Aserbaidschanern in Berg-Karabach angekündigt.

Dagegen wirft die armenische Regierung Aserbaidschans Behörden eine ethnische Säuberung in Berg-Karabach vor. Die Karabach-Armenier befürchteten Verfolgung und Gewalt. Aserbaidschan hatte in einer Militäroffensive in der vorvergangenen Woche die seit Jahrzehnten umkämpfte Region zurückerobert. Die Führung der international nicht anerkannten Republik Arzach (Berg-Karabach) hatte danach kapituliert und die Selbstauflösung zum 1. Januar 2024 besiegelt.

Schüsse auf Wagen mit Lebensmitteln für armenische Soldaten

Armenien warf der aserbaidschanischen Armee unterdessen auch vor, an der Grenze zwischen den Kaukasusstaaten das Feuer auf ein armenisches Fahrzeug eröffnet zu haben. "Nach dem Beschuss durch die aserbaidschanischen Streitkräfte" gebe es "Opfer auf armenischer Seite", teilte das Verteidigungsministerium in Eriwan mit. Am Abend gab es an, ein Mitarbeiter der armenischen Streitkräfte sei getötet und zwei weitere verletzt worden. Der Vorfall habe sich nahe dem Dorf Kut in Osten des Landes ereignet. Demnach transportierte das Fahrzeug Lebensmittel für armenische Grenzsoldaten. Die Führung in Baku bestritt die Vorwürfe.  

Mitglieder der armenischen Diaspora demonstrierten in Brüssel gegen die Regierung in BakuBild: Nicolas Landemard/Le Pictorium/IMAGO

"Armenische Zivilisation gegen aserbaidschanisches Gas" 

Nach dem Militäreinsatz Aserbaidschans in Bergkarabach haben am Sonntag tausende Armenier in Brüssel demonstriert.  Die Demonstranten warfen der Europäischen Union vor, wegen der Gaslieferungen aus Aserbaidschan die Augen vor dem Leid der Armenier zu verschließen. Auf einem Plakat der Demonstranten war zu lesen: "Verkaufe 2000 Jahre armenische Zivilisation gegen aserbaidschanisches Gas." Zu der Kundgebung im Europaviertel der belgischen Hauptstadt Brüssel waren Exil-Armenier aus zahlreichen europäischen Ländern gekommen, darunter auch Deutschland. Die Organisatoren gaben die Zahl der Demonstranten mit 10.000 an. In ihrem Aufruf hatten sie die Europäische Union zu einer "internationalen und humanitären Präsenz in Armenien" gedrängt und Sanktionen gegen Aserbaidschan gefordert.

Auch der Grünen-Politiker Anton Hofreiter stellte die Gaslieferverträge mit Aserbaidschan infrage. Der Vorsitzende des Europaausschusses im Bundestag sagte angesichts des Einmarsches aserbaidschanischer Streitkräfte in Berg-Karabach dem digitalen Mediendienst "Table Media": "Die Verträge mit Aserbaidschan über Gaslieferungen müssen umgehend geprüft werden." Zudem müsse die Europäische Union schnell Sanktionen gegen Aserbaidschan beschließen.

Der Grünen-Politiker Anton HofreiterBild: Mirko Hannemann/PublicAd/picture alliance

"Wir dürfen nicht die Fehler von unserem Umgang mit Russland wiederholen und uns von der nächsten Autokratie abhängig machen, um dann tatenlos zusehen zu müssen, wie die nächste Autokratie Menschen gewaltsam überfällt." Er forderte auch eine Aufstockung der EU-Mission vor Ort, um die Menschen zu schützen.

Hofreiters Parteikollege Jürgen Trittin rief derweil die Bundesregierung und die EU auf, schärfer gegen Aserbaidschan vorzugehen. Die "Scheuklappenpolitik" von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen habe den aserbaidschanischen Präsidenten Alijew "nur noch ermutigt", sagte Trittin der Zeitung "Rheinische Post". "Das war ein großer Fehler." Vor den Augen der europäischen Öffentlichkeit werde "ein Exodus einer ethnischen Bevölkerungsgruppe erzwungen". Europa müsse Alijew jetzt klarmachen, dass er "einen hohen Preis" für mögliche weitere Angriffe zahlen werde, etwa mit einem schnellstmöglichen Gasimport-Stopp, betonte Trittin.

UN-Mission in Berg-Karabach eingetroffen

Fast zwei Wochen nach dem Angriff Aserbaidschans auf Berg-Karabach ist eine UN-Mission in der mittlerweile nahezu menschenleeren Kaukasusregion eingetroffen. Ein Sprecher der aserbaidschanischen Präsidentschaft sagte der Nachrichtenagentur AFP, die UN-Mission sei am Sonntagmorgen in Berg-Karabach angekommen. Sie ist die erste für Berg-Karabach seit über 30 Jahren. Die Vereinten Nationen hatten zuvor mitgeteilt, von Baku grünes Licht für die Entsendung einer Mission in das Gebiet an diesem Wochenende erhalten zu haben. Nach Angaben aus Baku soll sie vor allem den humanitären Bedarf vor Ort einschätzen.

Tausende armenische Flüchtlinge strömen ins grenznahe Goris

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Papst wirbt für Dialog

Papst Franziskus setzte sich erneut für Gespräche zwischen den Konfliktparteien in Berg-Karabach ein. "Ich rufe erneut zum Dialog zwischen Aserbaidschan und Armenien auf", sagte der Papst nach seinem Sonntagsgebet auf dem Petersplatz. "Ich hoffe, dass die Gespräche zwischen den Parteien mit Unterstützung der internationalen Gemeinschaft zu einem dauerhaften Abkommen führen, das der humanitären Krise ein Ende setzt."

Berg-Karabach gehört völkerrechtlich zu Aserbaidschan, es lebten dort bisher aber überwiegend ethnische Armenier. Die Region hatte sich 1991 nach einem Referendum für unabhängig erklärt. Dieses wurde international nicht anerkannt und von der aserbaidschanischen Minderheit boykottiert.

sti/ehl/kle/se (afp, rtr, dpa) 

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