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Armenische Opposition boykottiert Abstimmung über demokratische Reformen

24. November 2005

Am Sonntag (27.11.) findet in Armenien ein Referendum über die geplante Verfassungsreform statt. Obwohl die Opposition die Änderungen selbst gefordert hat, ruft sie zum Boykott der Abstimmung auf.

Präsident Robert Kotscharjan wirbt für eine Verfassungsreform, die seine eigenen Vollmachten beschneidetBild: dpa

Die armenische Opposition setzt ihre Blockadepolitik gegen die Regierung unter Präsident Robert Kotscharjan fort. Kotscharjan regiert das Land seit 1998. Im Mai 2003 war er für eine weitere fünfjährige Amtszeit gewählt worden - nach Meinung der Opposition nur dank massiver Wahlfälschungen. Aus Protest gegen diese umstrittenen Präsidentschaftswahlen boykottiert die Opposition die Sitzungen des Parlaments, und das bereits seit eineinhalb Jahren. Sie stellt die Legitimität der armenischen Regierung komplett in Frage. Walter Kaufmann, Direktor des Regionalbüros Südkaukasus der Heinrich-Böll-Stiftung, hält die Konsequenzen für problematisch: "Das Problem ist, dass die Opposition nach den hart kritisierten Präsidentschaftswahlen von 2003 sagt: 'Diese Regierung ist generell illegitim', und dass die Opposition versucht, jede Abstimmung zu einer Machtfrage und zu einer Abstimmung über die Regierung umzufunktionieren."

Anpassung an demokratische Standards

So auch bei der aktuellen Debatte um die Reform der Verfassung. Bereits seit Jahren ringen Regierung und Opposition um eine Anpassung des Grundgesetzes an demokratische Standards, wie sie auch der Europarat fordert. Nach einigen gescheiterten Anläufen hat das Parlament nun endlich einem Paket von Verfassungsänderungen zugestimmt. Demnach soll in Zukunft das Parlament den Ministerpräsidenten der Republik mitbestimmen. Der Präsident soll zudem nicht länger den Bürgermeister der Hauptstadt Jerewan ernennen können und auch nicht mehr automatisch an der Spitze des Justizrats stehen.

All dies sind Änderungen, die die Opposition lange gefordert hat. Dennoch rufen die beiden regierungskritischen Parteien "Nationale Einigkeit" und "Gerechtigkeit" zum Boykott des Referendums über die geplante Reform auf. Walter Kaufmann erklärt das so: "Es ergibt sich also die paradoxe Situation, dass diejenigen Oppositionsparteien, die selbst jahrelang diese Veränderungen gefordert haben und die unter dem Banner der Verwestlichung des Landes antreten, nun d a g e g e n aufrufen - aus dem Grund, dass die Änderungen sozusagen von der falschen Seite eingebracht werden."

Nämlich von der Regierung selbst. Und die genießt in Sachen Verfassungsreform die deutliche Unterstützung des Westens. Amerikanische, britische und deutsche Diplomaten haben bereits die armenische Bevölkerung dazu aufgerufen, für die Verfassungsänderung zu stimmen. Der Präsident der Parlamentarischen Versammlung des Europarats, René van der Linden, bezeichnet das Referendum als "entscheidendes politisches Ereignis" und warnt ausdrücklich vor einem Scheitern. Davon lässt sich die Opposition jedoch nicht beeindrucken. Sie ruft schon jetzt zu Protesten gegen absehbare Manipulationen auf und hofft, Präsident Kotscharjan mit Massendemonstrationen aus dem Amt drängen zu können.

Prestige im Westen

Doch der Präsident fühlt sich moralisch im Recht. Eine Ablehnung des Referendums, so Kotscharjan in einer Diskussion mit Studenten der Universität Jerewan, wäre schlecht für das Image des Landes. Außerdem sei Armenien als Mitglied des Europarats Verpflichtungen eingegangen, die es erfüllen müsse. Doch warum wirbt der Präsident für eine Verfassungsreform, die seine eigenen Vollmachten beschneidet? Walter Kaufmann vermutet eine langfristige Strategie: "Im Grunde ist das, was Kotscharjan anstrebt, das Prestige seiner Regierung im Westen zu erhöhen. Er will damit auch bessere Voraussetzungen zu schaffen, dass ein von ihm gewählter Nachfolger bei den nächsten Wahlen im Jahr 2008 ebenfalls gute Chancen hat.

Kotscharjan selbst kann bei den nächsten Präsidentschaftswahlen aufgrund verfassungsrechtlicher Bestimmungen nicht mehr antreten. Doch ihm bleiben noch knapp drei Jahre im Amt, um seine Position weiter zu stärken. Das geht nur mit Unterstützung des Westens - und so stilisiert er sich nun als Kämpfer für Recht und Demokratie.

Britta Kleymann
DW-RADIO, 25.11.2005, Fokus Ost-Südost