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Armenische Syrer auf der Flucht

Mona Naggar31. Dezember 2013

In Syrien lebt eine der größten armenischen Diasporagemeinden im Nahen Osten. Doch der Bürgerkrieg zwingt immer mehr armenische Syrer, ihre Heimat zu verlassen. Ob sie jemals zurückkehren werden, ist fraglich.

Ein Kind steht an einem Fenster und schaut hinaus Copyright: Andreane Williams, DW Mitarbeiterin, Lebanon, Oct. 2013
Bild: DW/A. Williams

Ani Shamamian (Name geändert) hält ihren Sohn auf dem Schoß. Der anderthalb Jahre alte Junge schaut sich im Fernsehen eine armenische Kindersendung an. Vor einem Jahr musste Ani mit ihrem Mann und den zwei Kindern Aleppo verlassen. Dort ist die 29-jährige Armenierin geboren und aufgewachsen. Der Krieg in der nordsyrischen Stadt hat sie gezwungen, der Heimat den Rücken zu kehren.

In Aleppo leben ungefähr 45.000 Armenier, die traditionell Christen sind. Ani wohnt nun in Bourj Hammoud, einem Stadtteil im Norden der libanesischen Hauptstadt Beirut. Die Einzimmerwohnung ist viel zu klein für die Familie, aber etwas Anderes kann sie sich nicht leisten. Hier sei das Leben sehr schwierig, alles sei teuer, sagt die junge Frau. "Wir kommen kaum über die Runden."

Beratung und Kleiderspenden

Unterstützung findet Ani Shamamian bei der Howard Karagheusian Association, einem sozialen und medizinischen Zentrum in Bourj Hammoud. Die Organisation arbeitet mit dem Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) zusammen und ist vor allem für armenische Flüchtlinge eine wichtige Anlaufstelle. Dort werden sie beraten, können ihre Kinder medizinisch behandeln lassen oder bekommen Kleiderspenden. Wie viele Armenier in den letzten Monaten Syrien verlassen haben, ist nicht bekannt. Nur diejenigen, die Hilfe brauchen, lassen sich registrieren. Bei der Karagheusian Association haben sich etwa 1300 armenische Familien aus Syrien gemeldet, sagt Serop Ohanian, Direktor des Zentrums.

Serop Ohanian ist Direktor der Karagheusian Association in BeirutBild: Mona Naggar

Die meisten armenischen Flüchtlinge aus Syrien hätten gedacht, dass sie nach einigen Tagen wieder nach Hause könnten, sagt der 35-Jährige. So seien viele mit wenig Kleidung und Geld angekommen. Sie wohnten bei Verwandten in Bourj Hammoud: "Aber die Lage ist immer schlechter geworden. An Rückkehr ist nicht mehr zu denken. Sie müssen eine Wohnung und Arbeit finden."

Eine armenische Ministadt

In Anis neuem Stadtviertel Bourj Hammoud heißen die Straßen Armenia und Jerevan oder tragen die Namen christlicher Heiliger. An einigen Balkonen hängen die libanesische und die armenische Fahne. An manchen Geschäften steht der Name auch in armenischer Schrift. Der Stadtteil macht einen bescheidenen Eindruck. Im Erdgeschoss der einfachen zwei- und dreigeschossigen Häuser sind kleine Handwerksbetriebe untergebracht - Nähstuben, Autoreparaturwerkstätten und Geschäfte mit Lederwaren. Die meisten Bewohner von Bourj Hammoud sind Armenier. Ebenso wie in Syrien sind sie Nachkommen der armenischen Minderheit, die von nationalistischen Türken 1915 im Osmanischen Reich ermordet oder in die Nachbarländer vertrieben wurden.

Der Sitz der Karagheusian Association in BeirutBild: Mona Naggar

In Syrien und im Libanon sind die christlichen Armenier ein fester Bestandteil der Gesellschaft. In Aleppo, Damaskus oder Beirut unterhalten sie eigene Schulen, Kulturvereine und Kirchen. Im Libanon leben ungefähr 240.000 Armenier, in Syrien etwa 100.000.

Auswanderung in den Westen

Je länger sich der Konflikt in Syrien hinzieht, desto mehr nimmt auch die Angst unter den Armeniern zu, dass ihre Gemeinschaft in den umkämpften Gebieten, besonders in Aleppo, ernsthaft gefährdet sein könnte. Noch harre die Mehrheit in ihren Stadtteilen aus, die unter Kontrolle der regulären syrischen Armee stehen, erzählt die Armenierin Maral Kesheshian Shohmelian, die vor über einem Jahr die Stadt verlassen hat. Sie steht in regelmäßigem Kontakt mit Verwandten in Aleppo. Die 36-jährige Ärztin arbeitet für die Karagheusian Association und für die Caritas. Sie ist hin- und hergerissen zwischen dem Wunsch nach einer Rückkehr und dem Drang, im westlichen Ausland Fuß zu fassen und dort ihre Fachausbildung zu machen.

Maral Kesheshian Shohmelian will in die USA oder Kanada auswandernBild: Mona Naggar

Sie denke wie die meisten jungen Leute, sagt die aufgeschlossene Maral: "Visa bekommen, ins Ausland gehen und arbeiten." Ihr Ziel sei es, die Fachausbildung zu machen, eine Familie gründen, zu arbeiten und vielleicht irgendwann nach Aleppo zurückzukehren. Sie und ihr Mann bereiten gerade die notwendigen Papiere vor, um den Auswanderungsantrag nach Amerika oder Kanada zu stellen.

Ungewisse Zukunft

Nach Armenien auswandern, kommt für Maral nicht infrage. Die Ärztin hat dort studiert und weiß, wie schwierig die Lebensbedingungen in der ehemaligen Sowjetrepublik sind. Vor allem die Gehälter seien sehr niedrig und würden kaum zum Leben reichen. Maral und viele andere stehen vor einer schwierigen Entscheidung. Avedis Guidanian, Direktor des Lokalradios "Voice of Van" in Bourj Hammoud, befürchtet, dass die Auswanderung in den Westen die Existenz der armenischen Gemeinschaften im Nahen Osten gefährden könnte.

"Als wir vor langer Zeit aus der heutigen Türkei vertrieben wurden, kamen wir nach Syrien und in den Libanon", erzählt Guidanian. "Für uns ist die Existenz in diesen Ländern, in der Nähe der Türkei und in der Nähe unseres Heimatlandes Armenien sehr wichtig." So unterstütze er es nicht, dass Armenier diese Region verlassen. Denn wenn die armenischen Flüchtlinge nach Europa auswanderten, dann kehrten sie nie mehr nach Syrien zurück, sagt der Direktor des Radios. Er tue alles, damit sie im Libanon bleiben. "Wir versuchen, ihnen so viel Hilfe wie möglich anzubieten. Vom Libanon aus ist die Rückkehr nach Syrien wahrscheinlicher."

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