1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Armes reiches Deutschland

Rachel Gessat18. September 2012

Der Staat wird ärmer, die Bevölkerung reicher. Doch der Reichtum ist sehr ungleich verteilt. Das geht aus einem Entwurf des Arbeitsministeriums zum Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung hervor.

Goldbarren Foto: Bundesbank/dpa
Bild: picture-alliance/dpa

"Die öffentlichen Haushalte haben in den vergangenen zwanzig Jahren über 800 Milliarden Euro Vermögen verloren", so heißt es in dem Bericht des Arbeitsministeriums. Ralph Brügelmann vom Institut der Deutschen Wirtschaft zeigt sich im Interview mit der Deutschen Welle wenig überrascht davon: "Die Gründe sind recht offensichtlich: der Aufbau der starken Staatsverschuldung. Das Bruttovermögen, die Aktiva, sind bis 2009 durchaus gestiegen, aber die Schulden sind eben noch schneller gestiegen - daraus resultiert der Vermögensverlust."

Anders sieht es dagegen beim privaten Vermögen aus. Laut dem Bericht stieg das private Nettovermögen der Deutschen zwischen 1992 bis Anfang 2012 von knapp 4,6 Billionen auf rund zehn Billionen Euro an. Selbst in den Krisenjahren der Wirtschaft zwischen 2007 und 2012 wuchs das private Nettovermögen um 1,4 Billionen Euro.

Große Kluft zwischen Arm und Reich

01:30

This browser does not support the video element.

Der Finanzexperte Ralph Brügelmann erläutert, warum staatliche Schulden und privater Reichtum kein Gegensatz sind: "Die wirtschaftliche Tätigkeit ist in Deutschland grundsätzlich in privater Hand und die privaten Investitionen bringen tendenziell die größte Rendite."

Wenige haben viel, viele haben wenig

Der steigende Wohlstand ist in Deutschland extrem ungleich verteilt. Mehr als die Hälfte des gesamten Nettovermögens in Deutschland liegt im Besitz von rund zehn Prozent der Bevölkerung. Dagegen besitzen 50 Prozent der Bevölkerung nur ein Prozent des Gesamtvermögens.

Bestünde die Bevölkerung von Deutschland aus zehn Menschen und das private Nettovermögen aus insgesamt 10.000 Euro, dann besäße ein Mensch 5300 Euro, vier hätten je 1170 Euro zur Verfügung und fünf Personen hätten jeweils 20 Euro. Der reichste hätte also 265 Mal so viel wie die fünf ärmsten.

Michael Hartmann, Professor für Elite- und Organisationssoziologie an der Technischen Universität Darmstadt, ist überzeugt, dass eine solch ungleiche Verteilung von Reichtum eine Reihe von negativen Konsequenzen mit sich bringt: "Je größter die Ungleichheit, desto höher die Kriminalitätsrate, desto schlechter die Gesundheit, die Lebenserwartung und die Bildung der Gesamtbevölkerung."

Michael Hartmann plädiert für eine Annäherung der Vermögensverhältnisse in DeutschlandBild: picture-alliance/ ZB

Auch wirtschaftlich bringe die Ungleichverteilung Risiken mit sich, betont Hartmann im Gespräch mit der Deutschen Welle: "Ein Grund für den Ausbruch von Finanzkrisen ist immer die extreme Ungleichverteilung, weil dann am oberen Ende der Skala sehr viel Geld vorhanden ist, was nicht in den Konsum fließt, sondern in spekulative Anlagemöglichkeiten."

Staatliche Eingriffe oder freie Wirtschaft?

Seiner Ansicht nach sollte der Staat deswegen mit höheren Steuersätzen für Besserverdienende und Vermögende der Ungleichheit entgegenwirken. "Wenn wir heute dieselben Steuersätze hätten, die wir Mitte der 90er noch gehabt haben, würde das pro Jahr einen Unterschied von 40-50 Milliarden Euro an Mehrsteuereinnahmen bedeuten."

Gewerkschaften und Wohlfahrtsverbände fordern höhere Steuern für VermögendeBild: dapd

Ein Rezept, das Christoph Brügelmann vom Institut der Deutschen Wirtschaft nicht überzeugt: "Die Konjunktur springt an, das Wachstum aber nicht. Was kurzfristig gut für die Konjunktur ist, ist langfristig Gift für das Investitionsklima."

Eine These, der Michael Hartmann widerspricht: "Das ist ja das Mantra der Wirtschaftspolitik: Höhere Einkommen am oberen Ende garantieren Investitionen, Investitionen garantieren Arbeitsplätze. Das ist der trickle-down-Effekt, den man seit Jahren beschworen hat, aber der ist nicht eingetreten."

Reiche werden reicher, Arme bleiben arm

In der Tat belegen die alle vier Jahre erscheinenden Armuts-und Reichtumsberichte der Bundesregierung den Trend, dass die Kluft zwischen Arm und Reich im Lande im Laufe der Jahre immer größer wird. 1998 besaß die Gruppe der reichsten Haushalte rund 45 Prozent des gesamten Nettovermögens, 2008 waren es bereits mehr als 53 Prozent.

Die Occupy Bewegung gegen ökonomische Ungleichheit ist auch in Deutschland angekommenBild: REUTERS

Auch die Lohnentwicklung trage zu dem Auseinanderklaffen der Vermögensverhältnisse bei, konstatiert das Arbeitsministerium: Im oberen Bereich seien die Löhne gestiegen, im unteren Bereich hätten 40 Prozent der Vollzeitbeschäftigten Lohnverluste hinnehmen müssen.

Wo bleibt die Gerechtigkeit?

Michael Hartmann weist auf einen weiteren Effekt hin, den die Ungleichverteilung mit sich bringt: "Das hat sich so dramatisch in so kurzer Zeit verändert, dass die Masse der Bevölkerung das wahrnimmt und das als ungerecht empfindet."

Eine Einschätzung, die offenbar auch im Arbeitsministerium geteilt wird, heißt es doch in dem Bericht im Hinblick auf die Lohnentwicklung: "Eine solche Einkommensentwicklung verletzt das Gerechtigkeitsempfinden der Bevölkerung."