Einsamkeit: Jung, allein, deutsch, sucht: Freund(in)
26. Juli 2025
Vor drei Jahren begreift Felix Wunnike, dass er bei jungen Menschen einen Nerv getroffen hat. Immer, wenn der studierte Wirtschaftspsychologe auf seinem TikTok-Account Videos zum Thema "Freunde finden" postet, reagieren seine Follower wie auf Knopfdruck. Er sagt der DW:
"Selbst wenn ich nur im Video gesagt habe, schicke das Video deinem besten Freund, war immer der Top-Kommentar mit den meisten Likes so etwas in der Art wie: 'Ich habe keine Freunde'. Ich habe in meiner sehr jungen Community gemerkt, dass sich ein sehr großer Teil richtig einsam fühlt, die von sich behaupten, dass sie wirklich keine Freunde haben. Das hat mich persönlich sehr schockiert."
Laut einer aktuellen Studie der Weltgesundheitsorganisation ist jeder sechste Mensch weltweit von Einsamkeit betroffen. Unter Teenagern ist es sogar jeder fünfte. Während erwachsene Menschen es dadurch schwerer hätten, einen Arbeitsplatz zu finden oder zu behalten, steigt bei den Jüngeren demnach die Wahrscheinlichkeit für schlechtere Noten. Wunnike, der jetzt einen Ratgeber mit dem Titel "Alles, was du übers Freunde finden wissen musst" geschrieben hat, nennt für diesen Trend zwei Gründe:
"Zum einen COVID und was das mit uns allen gemacht hat, zum anderen die sozialen Medien. Mir ist es wichtig, trotz aller positiven Aspekte auch vor den Schattenseiten und den Gefahren zu warnen, nämlich dass wir das echte Leben vergessen. Wenn wir die Instagram-Stories unserer Bekannten schauen und gleichzeitig übersehen, im echten Leben Freundschaften aufzubauen."
Junge, einsame Menschen anfälliger für autoritäre Einstellungen
Claudia Neu hat sich die jungen Menschen, die sich bei Felix Wunnike psychologische Tipps gegen Einsamkeit holen, einmal detailliert angeschaut: vor allem mit der Frage, was passiert, wenn junge Menschen in ihrem Alleinsein politisch abdriften. Die Soziologin war federführend bei der Studie "Extrem einsam", die den Zusammenhang zwischen Einsamkeit und antidemokratischen Haltungen bei Jugendlichen in Deutschland untersuchte. Das bedrückende Ergebnis:
"Vor allem junge Menschen zwischen 16 und 23 Jahren sind anfälliger für Verschwörungserzählungen und die Billigung politischer Gewalt. Wichtig ist, wir finden statistisch einen Zusammenhang, das ist aber noch keine Kausalität. Nicht jeder einsame Mensch wählt AfD, genauso wenig, wie jeder AfD-Wähler erhöhte Einsamkeitswerte hat."
Einsame Menschen häufig Zielscheibe von Diskriminierungen
"Einsamkeit und Ressentiment" heißt das Buch, das Neu jetzt zu diesem Thema geschrieben hat. Ihre These: Wenn Menschen sich gesellschaftlich nicht mehr verbunden fühlen und, noch gefährlicher, darauf mit Ressentiments reagieren, hat dies durchaus demokratiegefährdendes Potenzial. Dabei seien einsame Menschen zunächst Opfer, hätten viel häufiger Diskriminierungserfahrungen erlebt als Menschen, die nicht einsam sind.
"Sie erfahren ständig Zurückweisung, zum Beispiel beim Grillabend, wo sie wieder niemanden kennenlernen und einsam nach Hause gehen. Und diese Art von Zurückweisung kann Ressentiments auslösen. Hier liegt auch der Kern des Ressentiments: Man hat ein Leid erfahren, von dem man glaubt, dass einem zu Unrecht geschehen ist, doch man kann nicht davon ablassen, steigert sich hinein, beschuldigt die Anderen und verbittert letztlich."
Wo Menschen leben, entscheidet auch über Einsamkeit
Claudia Neu ist seit knapp zehn Jahren Inhaberin des Lehrstuhls Soziologie ländlicher Räume an den Universitäten Göttingen und Kassel. Wer sich fragt, was dieser Forschungsschwerpunkt mit Einsamkeit zu tun hat, erfährt von ihr: eine ganze Menge. Denn die Wohnungssituation, die Lage und vor allem die Lebensverhältnisse können auch ein Treiber für Einsamkeit sein, Menschen seien auf Begegnung und Kommunikation angewiesen.
"Mangelt es an diesen Begegnungsmöglichkeiten, liegt etwa der nächste Park, eine Grünanlage oder eine Freizeitgelegenheit mehr als 20 Minuten weit von der eigenen Wohnung entfernt, dann ist das Risiko, einsam zu sein, deutlich erhöht." Hinzu kommt, sagt Neu der DW, dass chronisch einsame Menschen Räume anders wahrnähmen: "Sie sehen ihre Umwelt dunkler und unsicherer, sie fühlen sich weniger wohl, sowohl in der Öffentlichkeit als auch im privaten Raum. Und sie glauben weniger daran, dass ihre Gemeinde sich gut organisieren kann."
Führt der Anstieg von Single-Haushalten zu Einsamkeit?
Laut einer Umfrage der Techniker Krankenkasse geben rund 60 Prozent der Menschen in Deutschland an, im privaten Umfeld häufig, manchmal oder selten Einsamkeit zu empfinden. Doch gleichzeitig suchen immer Menschen hierzulande die Vereinzelung: In Deutschland leben laut Angaben des Statistischen Bundesamtes 17 Millionen Menschen allein – gut jede fünfte Person. Ein Anstieg um 22 Prozent in den vergangenen zwei Jahrzehnten. Die zunehmende gesellschaftliche Individualisierung hat für die Soziologin positive und negative Seiten:
"Einerseits haben die Menschen mehr Wahlfreiheiten in ihren Beziehungen. Eine unglückliche Beziehung lässt sich heute viel leichter auflösen als früher. Andererseits bedeuten Trennungen oft Verlustgefühle, und Alleinsein ist eben auch ein Risiko zu vereinsamen. Trotzdem würde ich vorsichtig sein, einen direkten Zusammenhang zwischen Alleinleben und Einsamkeit herzustellen."
Menschen in der Lebensmitte oft einsamer als Rentner
Bisher waren sich Wissenschaftler und Experten aber zumindest in einem Punkt einig: Rentnerinnen und Rentner seien einer höheren Gefahr von Einsamkeit ausgesetzt. Der Lebenspartner womöglich verstorben, vielleicht ebenso die Freundinnen und Freunde, die Familie unter Umständen weit verstreut.
Doch eine aktuelle Studie des Deutschen Zentrums für Altersfragen zeichnet ein differenzierteres Bild. Zwischen 43 und 65 Jahren fühlen sich die Menschen demnach einsamer als im hohen Alter. Bundesfamilienministerin Karin Prien sagt dazu: "Einsamkeit betrifft längst nicht nur ältere Menschen – auch in der Lebensmitte ist sie weit verbreitet, oft unsichtbar und unterschätzt."
Wohlstand und Armut entscheidende Faktoren für Einsamkeit
Stefan Stuth hat die Umfrage mit dem Titel "Einsamkeit in der zweiten Lebenshälfte" mitverantwortet. Er sagt der DW: "Frühere Untersuchungen mit früheren Generationen haben tatsächlich gezeigt, dass höheres Alter auch mit mehr Einsamkeit einhergeht. Das hat sich jetzt über die Generation verändert. Im Rentenalter entfällt die Norm, dass man erwerbstätig sein muss. Es gibt kein Stigma mehr, welches zu einem psychischen Leidensdruck führt."
Diesen Leidensdruck fühlten dagegen die Menschen in der Lebensmitte, die nicht erwerbstätig sind. Die Scham der Arbeitslosigkeit, gepaart mit der fehlenden sinn- und identitätsstiftenden Arbeit, könne Menschen in die mehr oder minder selbst gewählte gesellschaftliche Isolation treiben, erklärt der Wissenschaftler des Deutschen Zentrums für Altersfragen. Den größten Einfluss auf Einsamkeit habe aber der Wohlstand beziehungsweise die Armut.
"Je niedriger das Haushaltseinkommen ist, desto höher ist die Einsamkeit. Wer nur ein geringes Einkommen und geringe finanzielle Ressourcen hat, der hat weniger Möglichkeiten, am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben. Das wiederum begünstigt die soziale Isolation. Und dazu kommt dann noch die subjektive Bewertung der eigenen Einkommenssituation, die sich negativ auf das psychologische Wohlbefinden auswirkt."