Grundlage des Lebens
23. September 2010DW-WORLD.DE: Herr Röttgen, warum ist Artenschutz wichtig?
Norbert Röttgen: Unserer und meiner Wertvorstellung zufolge haben die Natur, die Tier- und Pflanzenarten ein eigenes Recht, zu überleben. Wir haben erstens nicht das Recht, Natur zu zerstören, sondern haben eine Schöpfungsverantwortung. Zweitens ist Artenschutz die Lebensgrundlage des Menschen. Das ist kein Luxus, sondern Lebensbedingung. Es geht auch um das Überleben unserer Kinder und Enkelkinder. Darum müssen wir und wollen wir Natur und Arten erhalten.
Angesichts der weltweiten wirtschaftlichen Probleme denken viele Menschen erst einmal an ihr Geld. Wie können Sie angesichts dieser Tatsache vermitteln, dass es für jeden einzelnen wichtig ist, auch in schwierigen Zeiten Arten zu schützen?
Wir haben die Finanzkrise als einen Exzess von Kurzfristigkeit und Kurzsichtigkeit erlebt. Und dass dieses Denken auch ökonomisch in eine Sackgasse führt. Natürlich könnte man weiter ausbeuten, zerstören, roden, Tier- und Pflanzenarten vernichten. Und wir könnten noch zehn oder zwanzig Jahre leben. Aber es geht um Zukunftssicherung. Es geht darum, dass wir in unserer Lebensweise heute nicht die Lebensgrundlagen unserer Kinder und Enkelkinder verzehren und zerstören. Insofern zahlt man für das alles künftig den Preis. Irgendwann werden die Produkte alle viel, viel teurer werden, und wenn wir heute schon die Natur in unser Wirtschaften integrieren, dann bedeutet das langfristige Ökonomie.
Wir haben auch eine Studie in Auftrag gegeben, die ausgerechnet hat, welche wirtschaftlichen Leistungen die Natur, Tier- und Pflanzenarten besitzen. Beispielsweise beim Küstenschutz oder als CO2-Speicher in Wäldern und Böden. Die Natur ist auch ein wirschaftlicher Dienstleister und man könnte eigentlich ein Preisschild an Bäume, Pflanzen und Flüsse hängen.
Offensichtlich ist gerade diese Tatsache der Öffentlichkeit besonders schwer vermittelbar, sonst hätten sie nicht so eine negative Bilanz des Millenniumszieles "Ökologische Nachhaltigkeit" gezogen, oder?
Ja, es ist schwierig. Es ist nicht nur schwierig, es den Regierungen deutlich zu machen, sondern auch den Gesellschaften. Es geht im Kern darum, dass wir heute etwas schützen, was unsere Kinder und Enkelkinder erst künftig als Lebensgrundlage brauchen. Wir sollen heute schon investieren, weil am Ende der Preis unbezahlbar wäre für die nachfolgenden Generationen. Das heißt, wir müssen heute verantwortlich sein für die Zukunft. Und unsere Lebensgewohnheit ist doch immer wieder sehr, sehr kurzfristig und kurzsichtig. Auch die Politik ist so.
Nun macht sich gerade Deutschland auch mit erheblichen Mitteln dafür stark, andere Länder nicht so sehr, ist das ein Zufall?
Das habe ich nicht neu erfunden, sondern das ist ein Kapital deutscher Politik und wurde von der Vorgängerregierung eingeführt. Wir sind in der wichtigsten internationalen Konvention und haben dort auch seit 2008 die Präsidentschaft inne: der Konvention über biologische Vielfalt. Die hat in Bonn getagt, wir übergeben die Präsidentschaft jetzt im Herbst 2010 an Japan. Und wir haben uns enorm engagiert in Verhandlungen, für Untersuchungen, in politischen Initiativen, aber auch finanziell. Sich für Nachhaltigkeit einzusetzen, auch international, ist ein Markenzeichen deutscher Politik. Ich glaube, dass das auch unsere Außenpolitik stärkt, dass wir dadurch wirtschaftlich erfolgreich sind, und dass wir auch Einfluss nehmen können, und auf die Entwicklung der Internationalen Gemeinschaft bereits nehmen.
Was haben sie in den zwei Jahren der Präsidentschaft ganz konkret erreicht? Was können Sie Ihrem Nachfolger Japan übergeben?
Wir haben zum Beispiel eine internationale Studie in Auftrag gegeben, deren Ergebnisse jetzt vorliegen. In dieser Studie wurde der Natur, den Tieren, Pflanzen, Arten, Flüssen und Wäldern ein Preisschild gegeben, um sichtbar zu machen, dass Natur ein wirtschaftlicher Dienstleister ist. Zweitens: Wir haben erreicht, dass wir eine internationale wissenschaftliche Einrichtung erhalten. So wie das "Intergovernmental Panel on Climate Change" (IPCC) den internationalen Klimaschutz vorangebracht hat, werden wir nun auch eine internationale wissenschaftliche Einrichtung bekommen, die die biologische Vielfalt untersuchen und auch der Politik Ratschläge geben wird.
Wer sind die Sorgenkinder beim Artenschutz?
Das kann ich nicht auf einzelne Länder herunter brechen. Europa ist hier eine gut zusammenwirkende Handlungseinheit. Wir müssen die großen Schwellenländer wie China dazu bewegen. China hat eine solche große wirtschaftliche Bedeutung, dass dem auch eine große politische Verantwortung nachfolgen muss. Das müssen die Chinesen anerkennen.
Norbert Röttgen ist seit dem 28. Oktober 2009 Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit.
Das Interview führten Christina Bergmann und Thomas Nehls (WDR).
Redaktion: Nicole Scherschun