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Politik

Spielt Modi Corona gegen Muslime aus?

Hans Spross | Srinivas Mazumdaru
22. April 2020

Übertreibt die Schriftstellerin Arundhati Roy, wenn sie der Regierung Modi vorwirft, die Corona-Krise zu nutzen, um die Muslime zu unterdrücken? Das mag so sein, sagen Experten, aber sie legt den Finger in eine Wunde.

Indien Neu Delhi - Autorin Arundhati Roy
Indische Schriftstellerin Arundhati RoyBild: Getty Images/AFP/M. Sharma

In einem Interview mit der DW am vergangenen Freitag hat die bekannte indische Schriftstellerin Arundhati Roy scharfe Kritik an der Regierungspartei BJP geübt. Diese instrumentalisiere die durch die Corona-Epidemie ausgelöste nationale Gesundheitskrise zur verstärkten Unterdrückung der Muslime Indiens, so der Vorwurf. 

Roy ging noch weiter und zog einen Vergleich der aktuellen Lage in Indien mit Deutschland in der Zeit des Nationalsozialismus und behauptete: "Die Situation erhält allmählich Züge eines Völkermords." Zur aktuellen Lage in Indien sagte sie: "Covid-19 hat Dinge über Indien ans Tageslicht gezerrt, über die wir schon vorher Bescheid wussten. Wir leiden nicht nur unter Covid, sondern unter einer Krise des Hungers und des Hasses."

Die Schriftstellerin sieht diese "Krise des Hasses" im direkten Zusammenhang mit einem "Massaker in Delhi, welches das Resultat von Straßenprotesten gegen das geänderte Staatsbürgerschaftsgesetz (CAA) war."

Muslime in Indien beten in AhmadabadBild: picture-alliance/AP/A. Solanki

"Engagiert, aber einseitig"

Die Regierungspartei BJP um Premier Modi und ihre Anhänger sind mit Roy wegen ihrer Aussagen scharf ins Gericht gegangen. Parteisprecher Nalin Kohli erklärte gegenüber der DW, dass er Roys Position vollständig zurückweise, ihre Behauptungen seien "irreführend, falsch und durch und durch rassistisch." Ein Parteimitglied  forderte auf Twitter, dass Roy wegen "Landesverrat" der Prozess gemacht werden sollte.

Der deutsche Religionswissenschaftler und Indien-Experte Martin Kämpchen, der das Land aus langjähriger Nahbeobachtung kennt, hat zu Arundhati Roy und ihren Thesen eine differenziertere Meinung. Roy habe sich, "wie immer, wenn es in Indien 'brennt', zu Wort gemeldet. Sie ist eine Predigerin gegen Korruption, Ungerechtigkeit, Machtmissbrauch und Grausamkeit gegenüber der einfachen Bevölkerung. Sie hat damit Recht, aber sie formuliert einseitig und schrill. Damit erreicht sie ein breites Publikum, die sie liest und ihr zuhört, auch global, aber sie wirbt damit nur wenige Parteigänger für ihre gute Sache", urteilt Kämpchen.

Geschürter Hass gegen Muslime

02:47

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Vergleich mit Nazi-Deutschland "uninformiert"

Auch ihre Analyse der Strategie Modis und der BJP hält der Indien-Experte für zu simpel: "Dass Modi und seine Regierung anti-muslimisch eingestellt sind, ist allen bewusst. Aber die Mehrheit der indischen Bevölkerung ist nicht antimuslimisch. Und mit den 'Extremisten' (lunatic fringe) der Muslimhasser lassen sich keine Wahlen gewinnen. Arundahati Roy erfasst meines Erachtens nicht, dass Modi und seine Leute ihre Ziele viel subtiler verfolgen." 

Ihren Vergleich mit der Judenverfolgung in Nazi-Deutschland nennt Kämpchen "schlicht Sensationsmache und uninformiert". Auch indische Experten wollten sich im DW-Gespräch die Ansicht nicht zu eigen machen, dass die indische Regierung bewusst interreligiöse Konflikte anfache mit dem Ziel, völkermordähnliche Verhältnisse herbeizuführen. Sie stimmen allerdings der Analyse zu, dass die aktuelle durch die Pandemie bestimmte Lage den Graben zwischen Hindus und Muslimen vertieft.

Diskriminierung ja, Ghettoisierung nein

So sagte der Soziologe Sanjay Srivastava vom Institute of Economic Growth in Neu Delhi: "Ich würde nicht so weit gehen und sagen, dass Indiens Muslime ausgesondert würden wie die Juden im Deutschland des Nationalsozialismus. Aber es trifft definitiv zu, dass die muslimische Bevölkerung in Indien derzeit diffamiert wird."

Eine ähnliche Sichtweise vertritt Nilanjan Mukhopadhyay, Journalist und Modi-Biograf. Er hält den Vergleich zwischen der Lage der Juden im Nationalsozialismus und derjenigen der Muslime in Indien für "verfrüht". Allerdings habe die Diskriminierung der Muslime in Indien eine lange Geschichte, die sich bis zur Gründung des Staates 1947 zurückverfolgen lasse. 

Verschärfte interreligiöse Spannungen

Michael Kugelman, Südasien-Experte in Washington D.C., verweist im DW-Gespräch auf eine "aufhetzende anti-muslimische Sprache", derer sich mehrere Spitzenpolitiker aus den Reihen der BJP bedient haben, und die von Modi "schweigend übergangen" werde. Auch das habe - neben den umstrittenen politischen Maßnahmen im Zusammenhang mit der Staatsbürgerschaft und mit dem Status  der mehrheitlich muslimischen Region Jammu und Kaschmir - die Spannungen zwischen Hindus und Muslimen verschärft.

Hinzugekommen ist nun der Ausbruch des neuartigen Coronavirus. Die Ängste um Gesundheit und Leben ergeben in Verbindung mit religiös grundiertem Misstrauen eine gesellschaftlich giftige Mischung. "Gruppengemeinschaft, etwa Nachbarschaften und Dörfer, die sich sonst stützend und schützend um Einzelpersonen kümmern, werden jetzt aus Angst zu aggressiven Mobs", schreibt Martin Kämpchen in einem aktuellen Essay.

Gefährliche Verbreitung von Feindbildern

"Es gehört zu den tragischen Schwächen der indischen Gesellschaft", so Kämpchen, "dass sie Feindbilder stets bei religiösen oder gesellschaftlichen Minderheiten sucht. Als eine größere Anzahl von Muslimen nach einer Versammlung positiv getestet wurde, erkannte man sogleich in ihnen jene, die diese Krise herauf beschworen hatten." 

Es handelte sich um eine Versammlung der missionierenden muslimischen Sekte Tablighi Jamaat im März in Neu Delhi. Die Behörden identifizierten die Versammlung als die bis dahin größte Konzentration ("Cluster") von Corona-Infizierten in Indien. Daraufhin verbreiteten sich Hashtags wie #CoronaJihad. 

"In sozialen Medien und manchen Mainstream-Medien wird das Bild verbreitet, dass die Muslime selbst die Krankheit und der Kern der Gesundheitskrise sind, und das ist gefährlich", sagt der Soziologe Sanjay Srivastava. Und er kritisiert: "Die politische Klasse schweigt dazu und lässt es geschehen."

Nach Ausschreitungen gegen Muslime in der Hauptstadt Delhi im März 2020Bild: DW/T. Godbole

Aufruf zur Mäßigung

Offenbar sah die indische Regierung dann doch die Gefahr, dass sich unkontrolliert verbreitende Diffamierungen von einzelnen Gruppen und Gemeinschaften aus dem Ruder laufen könnten. Sie veröffentlichte Anfang April einen offiziellen Ratgeber mit der Aufforderung an die Bevölkerung, in sozialen Netzwerken keine Namen, Identitäten oder Aufenthaltsorte von Infizierten oder unter Quarantäne Stehenden zu nennen. "Bezeichnen Sie keine Gruppe und keinen Ort als Auslöser für die Verbreitung von Covid-19", hieß es in dem Ratgeber. Außerdem solle man keine Furcht und Panik verbreiten.

Um jedoch die spaltende Rhetorik zwischen den Religionsgemeinschaften zu beenden und eine Annäherung zwischen Hindus und Muslimen zu bewirken, müsste eine viel stärkere Botschaft von der Staatsführung kommen, fordert Michael Kugelman. "Premier Modi und seine maßgeblichen Minister sollten nachdrücklich für Solidarität in der Krise werben und Maßnahmen zur Förderung eines gedeihlichen Zusammenlebens zwischen den Religionsgemeinschaften auf den Weg bringen." Er räumt zugleich ein: "Interreligiöse Harmonie steht nicht auf der gesellschaftlichen Agenda der BJP, im Gegenteil." Außerdem seien die Spannungen und das Misstrauen derzeit so tief, dass offizielle Initiativen, um Muslime und Hindus stärker zusammenzubringen, derzeit einfach nicht realistisch seien.

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