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Aschaffenburg: Was wir über den Messerangriff wissen

23. Januar 2025

Zwei Menschen sind tot, darunter ein Kleinkind. Drei weitere sind schwer verletzt. Nach der Gewalttat in Bayern bemüht sich die Polizei um Aufklärung. Politiker fordern Konsequenzen.

Kerzen auf einer Bank im Schöntal-Park in Aschaffenburg, davor zwei Menschen in Winterkleidung mit Regenschirm
Nach der Gewalttat: Kerzen leuchten im Schöntal-Park in AschaffenburgBild: Daniel Löb/dpa/picture alliance

Was ist in Aschaffenburg passiert?

Der Angreifer kam am Mittwoch, dem 22. Januar, offenbar wie aus dem Nichts. Er verwandelte einen idyllischen Park in wenigen Minuten in einen Ort des Grauens. Dort, im Schöntal-Park mitten im bayrischen Aschaffenburg, ging der Mann kurz vor Mittag mit einem Messer auf eine Kindergartengruppe los. Der mutmaßliche Täter, ein 28-jähriger Afghane, tötete ein Kind und einen Erwachsenen.

Passanten verfolgten den Verdächtigen. Nach wenigen Minuten konnte die Polizei ihn festnehmen. Sie stellte die Tatwaffe sicher. Der Verdächtige soll versucht haben, über Bahngleise zu fliehen. Deshalb wurde der Bahnverkehr in der 73.000-Einwohner-Stadt zeitweise eingestellt.

Die Tat mache sie mehr als fassungslos, sagt die Aschaffenburger Bundestagsabgeordnete und Innenexpertin Andrea Lindholz (CSU) im DW-Interview. "Zum einen, dass kleine Kinder Ziel des Angriffs waren. Und zum anderen die Brutalität in der Tatausführung. Unfassbar, am hellichten Tag mitten in unserer Stadt." Bei der Kranzniederlegung im Park habe sie heute zahlreiche Menschen erlebt, die nicht nur erschüttert seien und mit den Angehörigen trauerten, sondern auch viele Fragen hätten.

Wer sind die Opfer und wie geht es den Verletzten?

Unter den beiden Getöteten ist ein zweijähriger Junge, dessen Familie aus Marokko stammt. Die zweite getötete Person ist ein 41-jähriger Passant. Er soll versucht haben, den Täter zu stoppen. Durch sein Einschreiten seien "weitere Kinder vor dem Tod bewahrt" worden, sagte der Innenminister des Bundeslandes Bayern, Joachim Herrmann (CSU).

Trauer: Am Donnerstag kamen zahlreiche Aschaffenburger an den Tatort, um ihr Mitgefühl auszudrücken - auch Menschen mit MigrationshintergrundBild: Daniel Löb/dpa/picture alliance

Die drei Verletzten, ein zweijähriges syrisches Mädchen, ein 72-jähriger Mann und eine 59-jährige Erzieherin wurden in ein Aschaffenburger Krankenhaus gebracht. Sie sind außer Lebensgefahr. Das zweijährige Mädchen hatte der Angreifer mit seinem Messer am Hals verletzt, den Mann am Oberkörper. Die Erzieherin der Kindergartengruppe brach sich bei einem Sturz den Unterarm.

Was wissen wir über den Tatverdächtigen?

Bei dem mutmaßlichen Täter handelt sich offenbar um den 28-jährigen Afghanen Enamullah O.. Er wohnt in einer Asyl-Unterkunft nahe Aschaffenburg. Nach Angaben der bayerischen Behörden war der Mann psychisch erkrankt. Zudem trat er "bereits in der Vergangenheit mehrfach polizeilich in Erscheinung", heißt es in einer Pressemitteilung des Polizeipräsidiums Unterfranken.

Die Durchsuchung der Wohnräume des Verdächtigen ließe nicht darauf schließen, dass er ein politisches Motiv gehabt habe, sagte der bayerische Innenminister Herrmann. "Im Moment geht die Mutmaßung sehr stark in Richtung seiner offensichtlich psychischen Erkrankung". In seiner Unterkunft seien Psychopharmaka gefunden worden.

Tatort: Die Polizei hat einen Teil des Parks abgesperrtBild: Heiko Becker/REUTERS

Herrmann forderte, die Maßstäbe für die Unterbringung von psychisch Kranken zu überprüfen. "Es ist natürlich auch in unserem Freiheitsverständnis nicht einfach zu entscheiden: Da kommt jemand in eine geschlossene Einrichtung und wird dann eingesperrt", sagte er dem Bayerischen Rundfunk. "Aber wir müssen natürlich auch sehen, welche Risiken für unsere Bevölkerung ganz offensichtlich da sind."

Der mutmaßliche Täter war zuvor auch wegen Gewalttaten und Drogendelikten auffällig geworden. Im Dezember sei sogar eine Betreuung angeordnet worden, erklärte der bayerische Innenminister. Dennoch: "Die genauen Hintergründe der Tat und ein mögliches Motiv sind bislang unklar und Gegenstand der laufenden Ermittlungen", schreibt das zuständige Polizeipräsidium.

Warum war der Mann noch in Deutschland?

Der Tatverdächtige war im November 2022 - offenbar über den EU-Staat Bulgarien - nach Deutschland eingereist. Vor zwei Monaten hatte er angekündigt, freiwillig in seine Heimat Afghanistan zurückreisen zu wollen. Sein Asylverfahren sei daraufhin geschlossen worden und er sei ausreisepflichtig gewesen.

Unter Ausreisepflicht versteht man in Deutschland die Verpflichtung, das deutsche Hoheitsgebiet zu verlassen. Das betrifft Personen, die über keine deutsche Staatsangehörigkeit und kein Aufenthaltsrecht verfügen. Das traf auf den Tatverdächtigen zu, der aus Afghanistan stammt. Nach EU-Regeln hätte er nach Bulgarien zurückgeschickt werden können. Er selbst hatte angegeben, sich um Ausreisepapiere nach Afghanistan bemühen zu wollen. Was daraus geworden ist: unklar.

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Nach Angaben der Experten des Mediendienstes Integration waren Ende 2024 in Deutschland rund 221.000 Menschen ausreisepflichtig. Rund 80 Prozent von ihnen haben eine sogenannte Duldung. Das heißt, sie können aus verschiedenen rechtlichen Gründen nicht abgeschoben werden. Die meisten ausreisepflichtigen Personen mit einem abgelehnten Asylantrag (Stand Juni 2023) kommen aus Afghanistan (12,3 Prozent).

Häufen sich Straftaten durch Asylsuchende?

Auf X bezeichnete der Terrorismus-Experte Peter Neumann vom King's College in London die Tat als "Ergebnis eines gescheiterten Systems". Seine Begründung: In Deutschland würden zahlreiche junge Asylbewerber jahrelang ohne sinnvolle Tätigkeit oder Perspektive in Unterkünfte gesteckt. "Ergebnis sind alle möglichen Formen von Dysfunktionalität", so Neumann: darunter Radikalisierung, Gewaltkriminalität und psychische Erkrankungen. Dieses System nutze weder der Gesellschaft noch den Asylsuchenden. Man müsse deshalb entweder mehr in Integration investieren oder die Zahl der Asylsuchenden einschränken.

Im vergangenen Jahr ist die Zahl von Ausländern, die als Tatverdächtige von Straftaten gelten, um 13,5 Prozent gestiegen. Dabei sind Verstöße gegen das Aufenthaltsrecht nicht berücksichtigt. Laut Bundeskriminalamt (BKA) liegt dies an den insgesamt hohen Zuwanderungsraten, aber auch den Lebensbedingungen in den Unterkünften, an wirtschaftlicher Unsicherheit und Gewalterfahrungen von Migranten.

Andrea Lindholz Bild: Jens Krick/Flashpic/picture alliance

Andrea Lindholz (CSU) fordert im DW-Interview Änderungen in der Migrationspolitik. "Der Rechtsstaat muss sein Recht durchsetzen. Das heißt, Ausreisepflichtige müssen unser Land verlassen. Wenn sie dies nicht freiwillig tun, muss der Staat noch konsequenter als bislang dafür sorgen." Lindholz verweist zudem darauf, dass Kommunen und Behörden beim Thema Migration überfordert seien. "Wir müssen, weil alle überlastet sind, den Zustrom nach Deutschland begrenzen, wir brauchen einen faktischen Aufnahmestopp."

Wird das Thema Migration nun zum Wahlkampfthema Nummer eins?

Politiker aller größeren Parteien zeigen sich entsetzt über die Gewalttat. Sie fällt in eine besondere Zeit: In einem Monat wird in Deutschland der Bundestag neu gewählt. Im Wahlkampf wird auch heftig über die Themen Migrationund Abschiebunggestritten. Laut Umfragen sehen die Deutschen Migration derzeit als wichtigstes Problemfeld für die Politik.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) erklärte: "Wir werden diesen Fall schnell aufklären und die nötigen Konsequenzen ziehen. Jetzt." Scholz zeigte sich erstaunt darüber, dass der Täter noch in Deutschland war. "Ich bin es leid, wenn sich alle paar Wochen solche Gewalttaten bei uns zutragen", sagte er. 

Oppositionsführer Friedrich Merz von der konservativen CDU kündigte an, als Kanzler werde er ein "faktisches Einreiseverbot" für alle Menschen ohne gültige Einreisepapiere verhängen. Nach aktuellen Umfragen gilt er als wahrscheinlichster nächster Bundeskanzler. Merz sagte, er werde an seinem ersten Tag als Regierungschef eine entsprechende Anweisung an das Bundesinnenministerium erlassen.

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Die Kanzlerkandidatin der AfD, Alice Weidel, schrieb bei X: "Meine Gedanken sind bei den Angehörigen und Verletzten. Remigration jetzt!" Als Remigration bezeichnet die rechtspopulistische und in Teilen rechtsextreme Partei die Rückführung von Menschen in ihre Herkunftsländer. Dabei geht es häufig darum, dass ausreisepflichtige Ausländer konsequenter abgeschoben werden sollen. In anderen Fällen wird gefordert, dass Asylbewerber generell das Land verlassen sollen. Extreme Stimmen fordern, dass auch deutsche Staatsbürger mit Migrationshintergrund das Land verlassen sollen.

"Längst wird von Seiten der AfD versucht, die Tat im Wahlkampf zu instrumentalisieren", erklärt Konstantin von Notz, Fraktionsvize und Innenexperte der Grünen, auf Anfrage der DW. "Wir warnen eindringlich vor derartigen, pauschalen Verurteilungen und vermeintlichen, völlig unterkomplexen Antworten. Sie helfen keinen Schritt weiter. Die Innere Sicherheit erhöhen sie keinen Deut."

Der Aschaffenburger Oberbürgermeister Jürgen Herzing (SPD) warnte vor Hass und Hetze. "Wir können und dürfen die Tat eines Einzelnen niemals einer ganzen Bevölkerungsgruppe anrechnen", sagte er am Donnerstag bei einer Kranzniederlegung am Tatort im Schöntal-Park: "Die furchtbare Tat eines Einzeltäters darf keine Spirale der Gewalt und des Hasses in Gang setzen."

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