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PolitikAsien

Die ASEAN zwischen den Rivalen China und USA

Enno Hinz | Hans Spross
21. Juni 2022

China sieht sich durch die Bündnispolitik der USA im Indo-Pazifik bedroht. Im Zentrum des Tauziehens um Einfluss stehen die Länder des ASEAN-Bundes.

U.S President Biden at US - ASEAN Summit
Bild: Adam Schultz/White House/Planet Pix/ZUMA/picture alliance

Nach einer zweijährigen, durch die Pandemie bedingten Pause hat in Singapur Anfang Juni wieder das sicherheitspolitische Forum "Shangri-La-Dialog"  stattgefunden, das wichtigste jährliche Treffen dieser Art im asiatischen Raum. Diesmal kam zu der schon bekannten chinesisch-amerikanische Rivalität in der Pazifik-Region der völkerrechtswidrige Angriff Russlands auf die Ukraine als dominierendes Thema hinzu. Der ukrainische Präsident Selenskyj hielt eine seiner Videoansprachen vor den rund 500 Teilnehmern des von der britischen Denkfabrik IISS organisierten Treffens; Russland war nicht vertreten. 

Zelensky wies auf die Gefahren von Hungersnöten und politischer Instabilität in Afrika und Asien als indirekte Folge der der russischen Aggression hin. Er rief die internationale Gemeinschaft zur "vollen Widerherstellung der Macht des Völkerrechts" auf, wie es vor der Invasion vom 24. Februar bestanden habe.

Singapurs Verteidigungsminister Ng Eng Hen 2019 im DW-Interview auf der Münchner Sicherheitskonferenz, dem europäischen Gegenstück zum Shangri-La-Dialog.Bild: DW

Letztere Mahnung dürfte bei nicht wenigen Delegierten der Region auf Resonanz gestoßen sein: Hat doch übermächtigen Nachbar China in jüngster Zeit wiederholt militärische Drohungen gegen das kleine Taiwan vorgebracht. Daraufhin haben die USA ihre Solidarität mit Taiwan bekräftigt, was den amerikanisch-chinesischen Gegensatz erneut verschärfte. 

"China als Bedrohung für Frieden im Indo-Pazifik"

Singapurs Verteidigungsminister Ng Eng Hen sagte mit Blick auf diese Krisen und Konfrontationen: "Die Weltgemeinschaft befindet an einem potenziell gefährlichen Punkt in der Geschichte”. Und stellte die düstere Diagnose: "Weltweit sind Zusammenarbeit und guter Wille zurückgegangen, statt dessen treten nun nackter Eigennutz und Verwundbarkeiten hervor."

US-Verteidigungsminister Austin: China als Bedrohung für Frieden und Sicherheit im Indo-PazifikBild: Caroline Chia/REUTERS

Sein amerikanischer Amtskollege Lloyd Austin wurde konkreter und ließ keinen  Zweifel daran, dass China, aus Sicht der USA, die größte Bedrohung für Frieden und Sicherheit in der Region darstellt. Die VR China gehe in Bezug auf ihrer territorialen Ansprüche "aggressiver" vor und übe "stärkeren Zwang aus" (als früher). Jedoch sollten die Länder des indo-pazifischen Raums keinesfalls unter "politischer Einschüchterung, wirtschaftlichem Zwang, oder Schikanen durch (Chinas) maritime Volksmilizen" leiden. Und Austin legte nach: "Die Schritte der VR China bedrohen Sicherheit, Stabilität und Wohlstand der Region." Aus dieser Lagebeurteilung folgt für Austin: "Das US-Verteidigungsministerium wird die (US-)Präsenz im gesamten Indo-Pazifik aufrechterhalten. Der Indo-Pazifik hat als Operationsgebiet (unserer Streitkräfte) heute oberste Priorität, und er ist im Zentrum der amerikanischen Gesamtstrategie."

Chinas Verteidigungsminister Wei Fenghe: "Anti-chinesische Bündnispolitik der USA durch Geiselnahme" Bild: REUTERS

Austins chinesischer Amtskollege Wei Fenghe sagte in seiner Rede, es sei "ein historischer und strategischer Fehler, China als Bedrohung oder Feind anzusehen. Wir fordern die amerikanische Seite auf, damit aufzuhören, China zu verleumden und einzuhegen, sich in Chinas innere Angelegenheiten einzumischen und Chinas Interessen zu verletzen." Wei beschränkte sich nicht darauf, China zu verteidigen, sondern attackierte die Politik der USA in der Region: "Kein Land sollte anderen Ländern unter dem Deckmantel des Multilateralismus seinen Willen aufzwingen oder andere einschüchtern." Die Strategie (der USA) bestehe darin, "im Namen eines freien und offenen Indo-Pazifik" Länder der Region als "Geiseln" zu nehmen, um deren Unterstützung für die anti-chinesische Politik der USA zu erzwingen. Diese "Strategie der Einhegung und Einkreisung anderer" führe zu "Konflikt und Konfrontation", sagte Wei.

Heterogene Gruppe: Empfang für die ASEAN-Führer im Weißen Haus Bild: Susan Walsh/AP/dpa/picture alliance

Im geographischen und strategischen Zentrum dieses sogenannten "indo-pazifischen Raums", der von der Ostküste Afrikas bis nach Hawaii reicht, befinden sich die Länder des Staatenbündnisses ASEAN. In diesem Gebiet rund um das Südchinesische Meer treffen amerikanische und westliche Vorstellungen von freier Schifffahrt und chinesische Territorialansprüche aufeinander, hier spielt China im Streit um Besitzansprüche seine materielle Überlegenheit gegenüber den kleinen Anrainern aus.

USA gehen in die diplomatische Offensive

Die USA unter Joe Biden bemühen sich um engere Beziehungen zu einzelnen ASEAN-Mitgliedern wie auch zu dem südostasiatischen Staatenbund insgesamt. Letzteres könnte sich als schwierig erweisen, denn einer gemeinsamen außenpolitischen Linie der ASEAN-Länder stünden die Prinzipien des Staatenbundes entgegen, sagt Südostasien-Experte Joshua Kurlantzick vom amerikanischen Council on Foreign Relations. Wichtige Entscheidungen würden im Konsultations- und Konsensverfahren getroffen, das von den Grundsätzen der Nichteinmischung in innere Angelegenheiten und der friedlichen Lösung von Konflikten geleitet wird. "Genau diese Konsensnorm ist es, die es der ASEAN unmöglich macht, eine koordinierte geopolitische Strategie in Fragen wie dem Südchinesischen Meer zu verfolgen, da die Mitglieder unterschiedliche Ansichten und Interesse haben." Aus diesem Grund verhandeln die meisten ASEAN-Mitglieder mit den USA und China auf bilateraler Basis und werden dies laut Kurlantzick auch weiterhin tun.

Die ASEAN-Staaten zwischen Indischem Ozean im Westen und Pazifik im Osten

Besonders die USA sind derzeit sehr aktiv bei der Stärkung dieser bilateralen Bündnisse mit ASEAN-Mitgliedern wie Thailand und den Philippinen. Darauf bezieht sich Wei Fenghei, wenn er von "Einkreisung" Chinas spricht.

Dessen ungeachtet ist China  der größte Handelspartner der ASEAN-Länder und investiert in der Region insgesamt größere Summen als die USA. Während Länder wie die Philippinen die militärische Zusammenarbeit mit den USA fortsetzen wollen, um ihre maritimen Ansprüche gegen Chinas Inbesitznahme im Südchinesischen Meer zu verteidigen, wollen andere Mitgliedstaaten ihre Handelsbeziehungen mit China nicht gefährden und halten sich von Sicherheitsbündnissen mit Amerika fern – zumindest vorerst.

Nutzungsrechte für China: Kambodschanische Marinebasis Ream am Golf von Thailand Bild: Heng Sinith/AP Photos/picture alliance

Ein Beispiel für die jüngste diplomatische Offensive der USA in der Region:  Austin reiste unmittelbar nach dem Shangri-La-Forum nach Bangkok zu Gesprächen mit dem thailändischen Regierungschef und Verteidigungsminister Prayuth Chan-ocha. Der hatte sich 2014 an die Macht geputscht und sich später in einem umstrittenen Wahlverfahren zum Ministerpräsidenten wählen lassen. Austins Besuch diente nach Angaben beider Seiten der Stärkung der bilateralen militärischen Beziehungen, die infolge des Putschs von den USA zeitweise heruntergestuft worden waren.

Asiatische Partner mit eigenen Interessen

Das benachbarte Kambodscha hingegen hat sich dem übermächtigem wirtschaftlichem und politischen Einfluss Chinas weitgehend ausgeliefert. Das Land blockiert dementsprechend schon seit Jahren eine gemeinsame Position der ASEAN gegenüber China zu den Territorialstreitigkeiten im Südchinesischen Meer. Die USA beobachten derzeit misstrauisch den Ausbau des kambodschanischen Marinestützpunkts Ream am Golf von Thailand, der von China finanziert wird; China erhält dafür laut Reuters auf einem Teil des Stützpunkts exklusive Nutzungsrechte. Andererseits hat Kambodschas Langzeit-Autokrat Hun Sen unlängst überraschende Eigenständigkeit auf außenpolitischem Gebiet bewiesen und im Gegensatz zum großen Bruder in Peking klar Stellung gegen Russlands Krieg in der Ukraine bezogen.

Sympathieverteilung in Südostasien zwischen China und USA

"Bei vielen südostasiatischen Ländern ist es so, dass sie Hedging (eigentlich Absicherung gegen Risiken beim Börsenhandel – Red.) betreiben”, erklärt Andreas Ufen vom deutschen GIGA-Institut in Hamburg im Gespräch mit der DW. In Bezug auf internationale Beziehungen wolle man sich nicht eindeutig pro-amerikanisch oder pro-chinesisch positionieren, sondern eher 'lavieren', um im Rahmen der wirtschaftlichen Möglichkeiten bestmöglich zu handeln.

"In erster Linie geht es bei der ASEAN um Freihandel und darum, sich informell abzustimmen und zu versuchen, Konflikte innerhalb Südostasiens zu vermeiden", so Ufen weiter. 1967, also zur Zeit des Vietnam-Krieges, als Bund zur wirtschaftlichen Zusammenarbeit und Förderung des Friedens in Südostasien gegründet, habe die ASEAN entscheidend zum wirtschaftlichen Aufschwung in der Region und der Vermeidung von Konflikten zwischen den Mitgliedsstaaten beigetragen.

"Soft Power der ASEAN"

Der indonesische Verteidigungsminister Prabowo Subianto empfahl dieses Erfolgsrezept auf dem Shangri-La-Dialog auch als Lösung oder zumindest Vorbild für die von seinem Amtskollegen aus Singapur angesprochenen Verwerfungen und bedrohlichen Szenarien der aktuellen Weltpolitik. "Aus unserer Sicht (der ASEAN-Länder – Red.) müssen wir nach Verständigung und Austausch streben. Wir haben der Welt bewiesen, dass ehemalige Rivalen und Feinde rund 50 Jahre lang friedliche Zusammenarbeit und Wirtschaftsaufschwung erzielen konnten. Wir haben den 'asiatischen Weg' zur Lösung solcher Herausforderungen gefunden."

Indonesiens Prabowo Subianto: "Asiatischer Weg" hat ASEAN zum Erfolg gemachtBild: Rifkianto Nugroho/Detik.com

Kritische Beobachter mögen diese schon öfter gehörte Beschwörung des "asiatischen Wegs" als Bemäntelung der politischen Wirkungslosigkeit der ASEAN belächeln. Andererseits gesteht Andreas Ufen vom GIGA-Institut der ASEAN eine Form von geopolitischer Macht zu, die nur schwer definierbar sei. "Es ist keine militärische Macht, sondern eher eine informelle Macht, wo es um Diskurs geht und in dem die ASEAN eine wichtige Vermittlerrolle einnimmt", so Ufen. Diese Art von "Soft Power" sei es, die die ASEAN auf der geopolitischen Weltbühne ausüben kann, nicht zuletzt um die Interessen der kleinen Länder vor dem Einfluss der Großmächte zu schützen.