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Aserbaidschan: Erneut eine Wahl ohne Wahl

Evgenia Markova
31. August 2024

Die Bürger Aserbaidschans gehen zum zweiten Mal in diesem Jahr an die Wahlurnen - diesmal für ein neues Parlament. Warum zieht Präsident Ilham Alijew die Abstimmung vor? Und worüber stimmen die Menschen eigentlich ab?

Aserbaidschanische Flaggen hängen an Balkonen in der Hauptstadt Baku
Aserbaidschanische Flaggen hängen an Balkonen in der Hauptstadt BakuBild: Hannah Wagner/picture alliance/dpa

Es ist noch nicht lange her, dass die Wähler und Wählerinnen in Aserbaidschan vor der Zeit einen neuen Präsidenten bestimmen - beziehungsweise Langzeitherrscher Ilham Alijew im Amt bestätigen sollten. Das war im Februar. Am 1. September finden in der Südkaukasusrepublik erneut vorgezogene Wahlen statt, diesmal fürs Parlament. Bisher stellte die Regierungspartei Neues Aserbaidschan 70 der 120 Abgeordneten in der Nationalversammlung. Auch die restlichen Sitze waren mit mehr oder weniger regierungstreuen Politikern besetzt. Daran dürften die jetzigen Wahlen wenig ändern.

"Leider können wir nicht gegen alle Kandidaten votieren, weshalb ich dem schwächsten meine Stimme gebe. Das ist ein symbolischer Schritt. Oder ich mache den Stimmzettel einfach unbrauchbar", sagt Shahin Rzayev. Der Politikbeobachter lebt in der Ortschaft Surakhani unweit von Baku und war seit der Unabhängigkeit Aserbaidschans im Jahr 1991 bei allen Wahlen dabei. "Dieses Jahr gibt es in unserem Wahlkreis einen bekannten Favoriten der Regierungspartei, aber formal treten auch angebliche Konkurrenten an." Dabei seien die Wahlplakate einiger Kandidaten, darunter auch von Konkurrenten, diesmal völlig identisch gestaltet, erzählt Rzayev.

Opposition boykottiert die Wahlen

Die Wahlen zum aserbaidschanischen Parlament werden nach dem Mehrheitsprinzip abgehalten. Diesmal nehmen 1052 Kandidaten teil, 308 davon vertreten politische Parteien. Unter ihnen sind etwa 30 bis 40 Oppositionelle. Doch ein erheblicher Teil der Opposition hat sich entschieden, die Wahlen zu boykottieren - wie in den Vorjahren.

Die Bilder gleichen sich: Wahlplakate in SurakhaniBild: Privat

Die oppositionelle Volksfront-Partei Aserbaidschans begründet das damit, dass eine Beteiligung sinnlos sei. "Wenn die Wahlen zumindest teilweise transparent wären, dann würden wir antreten und siegen. Aber es gibt null Transparenz. Warum sollten wir dann teilnehmen?", sagt der Berater des Parteivorsitzenden Mamed Ibrahim.

Hikmet Babaoglu vom Vorstand der Regierungspartei hält das für Quatsch. Von einem Wahlboykott einer Partei könne man nur sprechen, wenn der Boykott auch Einfluss auf die Ergebnisse habe. Das sei nicht der Fall. "Die Volksfront-Partei versucht auf diese Weise einfach, ihren eigenen Bankrott zu vertuschen", mutmaßt Babaoglu.

Doch es gibt noch mehr Skeptiker. So hat sich auch die Koalition Nationaler Rat der Demokratischen Kräfte Aserbaidschans dem Boykott angeschlossen. Sie bezeichnet die Wahlen als "billige Farce". Es sei "aus Sicht nationaler Interessen unnötig und schädlich", sich an ihnen zu beteiligen.

Langzeitherrscher: Ilham Alijew ist seit 2003 Präsident AserbaidschansBild: Sean Gallup/Getty Images

Eigentlich sei ein Wahlboykott "eine Katastrophe", betont Azer Gasimli, Direktor des Instituts für politisches Management in der aserbaidschanischen Hauptstadt Bau. "Es wäre klug gewesen, wenn die Opposition seinerzeit an den Wahlen teilgenommen hätte. Sie hätte ihre Kräfte bündeln und eine Strategie entwickeln sollen." Nun sei es zu spät: "Wahlen sind so gut wie abgeschafft worden, wie faktisch die Opposition auch. Daher ist ihre Teilnahme an Wahlen mittlerweile tatsächlich bedeutungslos."

Flagge zeigen statt Boykott

Doch nicht alle politischen Gruppierungen lehnen die Wahl ab. Die große Oppositionspartei Musavat hat ihre Taktik geändert und diesmal Kandidaten aufgestellt. Laut Parteichef Arif Hajila will seine Partei "verhindern, dass die Regierung die Institution Wahlen als demokratischen Prozess untergräbt". Und die Partei wolle nicht, dass ihre Anhänger ihr Untätigkeit vorwerfen.

Mehrere Kandidaten hat auch die Republikanische Alternative aufgestellt. Einerseits gilt sie als oppositionell und andererseits wird ihr oft eine zu große Loyalität gegenüber der Regierung vorgeworfen. So hat es ihrem Ansehen geschadet, dass ihr Abgeordneter Erkin Kadirli der aserbaidschanischen Delegation bei der Parlamentarischen Versammlung des Europarates (PACE) angehörte.

Wählen, wie es dem Staatchef beliebt

Eigentlich hätten die Parlamentswahlen im November 2024 stattfinden sollen. Sie sollten die ersten in der Geschichte des unabhängigen Aserbaidschans sein, die auch im zurückeroberten Gebiet Berg-Karabach stattfinden. Doch im Dezember 2023 verkündete Staatschef Ilham Alijew, die ersten Wahlen dieser Art markierten den Beginn einer neuen Ära und sie müssten darum Präsidentschaftswahlen sein. Daher zog er die Abstimmung über seinen Posten um fast eineinhalb Jahre vor. Sie fanden im Februar 2024 statt und Alijew wurde mit rund 92 Prozent der Stimmen für eine fünfte Amtszeit bestätigt.

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Im Juni löste Alijew das Parlament auf und setzte vorgezogene Neuwahlen für den 1. September an. Offiziell begründete er das damit, dass im November in Baku die UN-Klimakonferenz COP29 stattfinden wird. Das sei höchstwahrscheinlich wahr, glaubt Azer Gasimli. Dennoch sei der vorgezogene Urnengang "ein weiterer Beweis dafür, dass es sich bei diesen Wahlen nur um ein formelles, unbedeutendes Verfahren handelt, dessen Termin aufgrund gewisser Ereignisse einfach verschoben werden kann".

Gender-Aktivistin einzige unabhängige Kandidatin

In Aserbaidschan werden die jetzigen Wahlen unterdessen häufig mit den vorherigen Parlamentswahlen im Jahr 2020 verglichen. Damals trat ein Dutzend unabhängiger Kandidaten aus der Zivilgesellschaft an - Linke, Feministinnen, Umweltaktivisten und andere. Keiner von ihnen zog letztlich ins Parlament ein, aber ihre Teilnahme brachte deutlich mehr Leben in den Wahlkampf.

In diesem Jahr genießt die einzige unabhängige Kandidatin die geschlossene Unterstützung der Zivilgesellschaft: die Gender-Aktivistin Vafa Nagi. Sie tritt in der Region Neftchala im Südosten des Landes an. 2019 konnte sie dort schon einen Sieg erringen und wurde in den Gemeinderat eines Dorfes gewählt. Bei den jetzigen Wahlen, räumt sie ein, habe sie "keine Chance auf einen Sieg". Aber es sei einen Versuch wert. Denn sie sei durch die Region gereist, um die Unterschriften zu sammeln, die sie für die Zulassung zur Wahl brauchte, und sie habe Wahlkampf gemacht, und bei all dem habe sie mit sehr vielen Menschen gesprochen und von ihren Problemen erfahren.

Adaption aus dem Russischen: Markian Ostaptschuk

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