1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Aserbaidschan will Michail Gorbatschow verklagen

5. Februar 2003

– Dem ehemaligen sowjetischen Staatschef wird vorgeworfen, mit der Entsendung von Truppen nach Baku im Januar 1990 gegen die Verfassung verstoßen zu haben

Köln, 5.3.2002, BAKILILAR.AZ, INTERFAX

BAKILILAR.AZ, russ., 4.2.2003

Die Aserbaidschaner wollen den "Vater der Perestrojka" nach Den Haag schicken. Wie es scheint, ist man in Aserbaidschan auf eine Idee gekommen, wie die Gesellschaft im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen im Herbst dieses Jahres konsolidiert werden kann. Sowohl das aserbaidschanische Staatsoberhaupt Hejdar Alijew als auch seine Gegner haben die Initiative des Oberhaupts der kaukasischen Muslime, Allahschukjur Paschasade, den ersten und letzten Präsidenten der UdSSR, Michail Gorbatschow, zur strafrechtlichen Verantwortung zu ziehen, unterstützt. Dem ehemaligen sowjetischen Staatschef wird vorgeworfen, im Januar 1990 gesetzwidrig Truppen nach Baku entsandt zu haben. Die Ermittlungsabteilung für besonders schwere Straftaten bei der aserbaidschanischen Staatsanwaltschaft prüft bereits den Fall und leitete ein Ermittlungsverfahren ein. Man will auch, dass dem ehemaligen Präsidenten der UdSSR der Nobelpreis aberkannt wird.

Michail Gorbatschow wird der Verstoß gegen Artikel 119 der Verfassung der UdSSR und Artikel 71 der aserbaidschanischen Verfassung vorgeworfen, denen zufolge eine Entsendung von Truppen gesetzwidrig war. Ihm wird ferner der Verstoß gegen UN-Konventionen zur Last gelegt, da damals der Ausnahmezustand ausgerufen wurde, ohne die Führung der Republik zu benachrichtigen.

Im Januar 1990 hatte Moskau zunehmend die Kontrolle über die Lage in Aserbaidschan verloren. Die Volksbewegung für die staatliche Unabhängigkeit gewann an Kraft. Die "Volksfront" rief zu Ungehorsam gegenüber den Behörden auf, aber nicht nur zu friedlichen Aktionen. Die Folge war, dass mehrere Kilometer der Befestigungen am Grenzabschnitt der sowjetisch-iranischen Grenze in Nachitschewan zerstört wurden. In einigen Bezirkszentren des Landes wurde die Staatsmacht gewaltsam gestürzt. Vielerorts kam es zu Streiks sowie zu Blockaden von Straßen und Eisenbahnlinien. Der territoriale Konflikt mit Armenien verstärkte den Nationalismus und Extremismus. Vor der Januar-Tragödie erklärte Michail Gorbatschow vor ausländischen Journalisten: "Alle Versuche, einen islamischen Staat in Aserbaidschan zu errichten, werden mit aller Kraft verhindert werden. Wir werden verantwortungsvoll und entschlossen vorgehen." Dieses entschlossene Vorgehen führte schließlich zu 132 Todesopfern und 612 Verletzten. 841 Personen wurden festgenommen. Der materielle Schaden, der in der aserbaidschanischen Hauptstadt entstand, wird auf mehr als 5,5 Millionen Rubel geschätzt. Dabei wird der Wert der Währung von 1990 zu Grunde gelegt.

In Baku will man ein Gerichtsverfahren gegen den "Vater der Perestrojka" bis zur letzten Instanz führen. Wenn Michail Gorbatschow aus irgendwelchen Gründen für die aserbaidschanische Justiz unerreichbar bleibt, dann will Baku sich an den Internationalen Gerichtshof in Den Haag wenden. (MO)

INTERFAX, russ., 4.2.2003

Der ehemalige Präsident der UdSSR, Michail Gorbatschow, ist der Meinung, dass die gegen ihn gerichtete Kampagne in Aserbaidschan auf innere Probleme des Landes zurückzuführen ist. (...)

Michail Gorbatschow erklärte gegenüber Interfax, die Entsendung von Truppen in die Republik sei ein "begründeter und notwendiger Schritt" gewesen. "Schon vor der Entsendung der Truppen waren der Oberste Sowjet der Republik sowie andere politische und staatliche Organe gelähmt. Dutzende von Menschen fielen dem Opfer Extremismus zum Opfer, in einigen Bezirken wurde die Staatmacht gewaltsam gestützt und etwa 200 Kilometer Staatsgrenze wurden zerstört. Um die Eskalation, die Gesetzlosigkeit, die Pogrome und die Zerstörung zu stoppen wurde der Ausnahmezustand verhängt", sagte Michail Gorbatschow. Seiner Meinung nach sind die Ereignisse vom Januar 1990 tragisch, aber in dieser konkreten Situation haben die ergriffenen Maßnahmen eine noch gefährlichere Zuspitzung der Lage verhindert.

Michail Gorbatschow geht davon aus, dass die aserbaidschanische Staatsmacht, indem sie nach 13 Jahren die Frage nach der Verantwortung für die Ereignisse in Baku aufwirft, ein "Ablenkungsmanöver" betreibt. "Es ist bekannt, dass sich die aserbaidschanische Opposition zu den Ergebnissen der Arbeit des Präsidenten äußert und ihm immer unangenehmere Fragen stellt. Deswegen wird ein solches Ablenkungsmanöver gebraucht", sagte der ehemalige sowjetische Staatschef. (MO)